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Umstritten: zivil-militärische Zusammenarbeit

1. Dezember 2010

Verteidigungsminister Guttenberg ist für eine Kooperation von Zivilisten und Militärs, humanitäre Organisationen sind überwiegend dagegen. Gibt es Spielraum für Kompromisse? Ein Kongress in Berlin diskutierte darüber.

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Bundeswehrsoldaten, beobachtet von Afghanen (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Zivil-militärische Zusammenarbeit - Ein Bündnis für die Zukunft?" Diese Frage wollte die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag zumindest diskutieren. Denn dass es darauf keine endgültige Antwort geben würde, war dem Initiator der Veranstaltung und entwicklungspolitischen Sprecher der Konservativen, Holger Haibach, schon von vornherein klar. Dafür ist das Thema viel zu komplex. Vorurteile gibt es sowohl auf Seiten der Bundeswehr als auch auf Seiten der zivilen Organisationen. Deshalb warb der deutsche Verteidigungsminister auf dem Kongress für eine "Kultur des gegenseitigen Vertrauens".

Karl-Theodor zu Guttenberg (Foto: dapd)
Karl-Theodor zu GuttenbergBild: dapd

Eines stellte Karl-Theodor zu Guttenberg gleich zu Beginn des Kongresses in Berlin klar: Es gehe nicht darum, ob das Militär und zivile Organisationen zusammenarbeiteten, sondern darum, wie sie es täten. Den Befürwortern dieser umstrittenen Kooperation empfiehlt der deutsche Verteidigungsminister, salopp gesagt, mehr Mumm. Sie täten sich in der öffentlichen Kommunikation schwer mit ihrer Überzeugung. "Manchmal zucken wir in vorauseilender Schüchternheit vor uns selbst zurück, weil wir meinen, es könnte eine unangenehme Wahrheit damit verbunden sein", bedauerte zu Guttenberg die Zurückhaltung in den eigenen Reihen.

Notfalls spricht man auch mit den Taliban

Die Geschäftsführerin der in Stuttgart ansässigen Hilfsorganisation "Kinderberg", Suzana Lipovac, befindet sich im Zwiespalt. Einerseits wisse sie aus eigener jahrelanger Erfahrung, wie wichtig pragmatisches Handeln sei, anderseits zweifelt sie aber, ob die Zusammenarbeit mit dem Militär beispielsweise in Afghanistan der Weisheit letzter Schluss sei.

Suzana Lipovac (Foto: Steffen Diemer)
Suzana LipovacBild: Steffen Diemer

Die Zweifel haben wohl auch damit zu tun, dass ihre Organisation in den großen Versammlungen, den so genannten Dschirgas, notfalls sogar mit den Feinden der alliierten Truppen Kontakte unterhält. Ihr Projekt lebe davon, dass afghanische Dorf-Älteste, Imame, aber auch Taliban an den Dschirgas teilnähmen, berichtete Lipovac den staunenden Zuhörern. Mit ihrer medizinischen Arbeit würden sie versuchen, ein UN-Millenniumsziel umzusetzen, nämlich die Verringerung der Kinder- und Müttersterblichkeit. Ob der von ihrer Organisation eingeschlagene Weg der richtige sei, wisse sie nicht, gab Lipovac offen zu. Der Ansatz von "Kinderberg" sei ein rein humanitärer.

Gute Erfahrungen in Bosnien

Dass Soldaten mitunter behilflich sein können, habe sie während des Jugoslawien-Krieges in Bosnien erlebt. Dort sei die Bundeswehr von der Bevölkerung nicht als Besatzungsmacht gesehen worden.

Zivil-militärische Zusammenarbeit kann also funktionieren. Das belegen offenbar auch die Ergebnisse einer Studie der Freien Universität, auf die Lipovac verweist. In der Untersuchung ging es unter anderen darum, worauf es den Menschen in Kriegs- und Krisenregionen vor allem ankommt. "Die körperliche Sicherheit kam weit vor Ernährung, einem Arzt, sogar vor einer Flasche Wasser in einem Flüchtlingslager", fasst Lipovac eine zentrale Erkenntnis aus der Studie zusammen. Damit werde von den Helfern in Krisenregionen etwas gefordert, was ihre Organisation gar nicht bieten könne. Deshalb sei sie zu dem militärisch Verantwortlichen gegangen. Der habe ihr gesagt, wenn der Schutz und die Sicherheit für die Bevölkerung gewährleistet seien, gehe es im nächsten Moment um Wasser und Ernährung.

Mit anderen Worten: Soldaten müssten mitunter die Voraussetzungen dafür schaffen, dass überhaupt humanitäre Hilfe geleistet werden kann. "Und die müssen wir dann leisten", weiß Lipovac. Deshalb habe sie in Bosnien auch keine Berührungsängste mit dem Militär gehabt.

Venro: Zusammenarbeit gefährdet Leben

Strikt gegen ein Zusammenwirken mit der Bundeswehr oder internationalen Truppen ist der Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen (Venro). Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Afghanistan ist Robert Lindner. Er warnt vor einer Kooperation, egal ob es sich um heftig umkämpfte oder eher ruhige Regionen handele oder solche, in denen es nur wenige Projekte gibt, beispielsweise in Daikundi.

Dort wie überall sonst hätten militärische Wiederaufbauhelfer - so genannte Provincial Reconstruction Teams (PRTs) - nichts zu suchen. Das Leben ziviler Helfer sei ansonsten gefährdet. Autoritäten in der Provinz Daikundi hätten gewarnt: "Bitte keine Projekte von PRTs!" Man sollte schon darauf hören, was die Menschen in Afghanistan selber dazu sagen, rät Lindner.

Brigadegeneral Frank Leidenberger (Foto: AP)
Brigadegeneral Frank LeidenbergerBild: AP

Brigade-General Frank Leidenberger, der über jahrelange Afghanistan-Erfahrung verfügt, räumt Versäumnisse in der Vergangenheit ein. Kein Soldat habe sich darum gerissen Wiederaufbau zu leisten, das sei nicht die Aufgabe der Bundeswehr. Trotzdem sei man mitunter in diese Rolle geschlüpft - aus rein menschlichen Erwägungen. "Wir haben definitiv militärische Fehler gemacht, weil uns die zivil-humanitäre Lage, die Zusammenhänge der Entwicklungsarbeit nicht klar waren", bedauert Leidenberger. Es sei ja auch keiner da gewesen, mit dem er hätte reden können, beschreibt der Brigade-General die anfänglichen Defizite.

Konzept der vernetzten Sicherheit

Mit dem Konzept der so genannten vernetzten Sicherheit will das Nordatlantische Verteidigungsbündnis (Nato) die aus seiner Sicht nötigen Lehren für das weitere Afghanistan-Engagement ziehen. Für Konflikt- und Krisenbewältigung sei ein breites Spektrum an Instrumenten nötig, sagt Verteidigungsminister zu Guttenberg: diplomatische, entwicklungspolitische, wirtschaftliche, polizeiliche und erforderlichenfalls auch militärische.

Der Strategie-Wechsel, weg von der reinen Aufstandsbekämpfung, hin zu mehr Schutz und Sicherheit für die Bevölkerung, sei "sehr, sehr spät" gekommen. Man habe wertvolle Zeit verstreichen lassen, sei aber in der neuen Rolle als Sicherheits-Allianz "zumindest ein Stück weitergekommen", meint zu Guttenberg. Der Verteidigungsminister sieht es letztlich so, wie sein Brigade-General Frank Leidenberger: die zivil-militärische Zusammenarbeit sei "alternativlos".

Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Kay-Alexander Scholz