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Stromkonzerne auf dem Vormarsch

Klaudia Prevezanos17. September 2002

Bis 2004 sollen alle Stromkunden ihren Lieferanten wählen können. Einige EU-Regierungen fürchten um ihren Einfluss am Energiemarkt. Derweil wachsen die Konzerne weiter.

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Strom soll fließen - kreuz und quer durch EuropaBild: AP

Am 22. September sind nicht nur Bundestagswahlen, dann stimmen auch die Schweizer über ein Elektrizitätsmarktgesetz ab. Sie entscheiden, ob das Land seinen Energiemarkt für andere Anbieter öffnen soll und damit ganz auf europäischer Linie liegt. Wie weit die EU- und andere europäische Länder ihren Strommarkt bereits freigegeben haben, ist allerdings noch sehr unterschiedlich. Nicht überall können sich Kunden gleichermaßen aussuchen, wer ihnen Energie liefert.

Norwegen hat seine Handelsschranken schon vor mehr als zehn Jahren abgebaut. Auch Schweden und Finnland, wo die Stromrechnungen rund ein Drittel niedriger sind als in Spanien, Italien oder Portugal, haben ihre Märkte für Energie schon lange geöffnet. "Vor allem in Ländern, wo ein staatliches Monopol herrscht oder der Staat einen großen Anteil an wichtigen Energieunternehmen besitzt, gibt es Widerstand gegen einen offenen Markt", sagt Wolfgang Irrek im Gespräch mit DW-WORLD. "Es geht um den politischen Einfluss", so der Projektleiter in der Energieabteilung des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie.

Private Kunden ohne Wahl

Besonders vehement wehrt sich noch Frankreich gegen einen allzu offenen Energiemarkt und hält sich streng an die Vorgaben der Europäischen Union (EU). So sieht die EU-Richtlinie vor, dass nur gewerbliche Kunden ihren Lieferanten frei wählen können. Und das muss nicht mal für alle gelten, denn die EU-Vorgabe verlangt für Strom nur einen Marktöffnungsgrad von 30, für Gas von 20 Prozent.

Erst 2004 sollen alle gewerblichen Energieverbraucher frei wählen können. Mindestens 60 Prozent des gesamten Marktes von Strom und Gas sollen dann für den Wettbewerb offen stehen. Privatkunden sind jedoch weiter ausgeschlossen. Grund der französischen Zurückhaltung: Die Pariser Regierung hält die Versorgung privater Haushalte für einen unverzichtbaren Teil der staatlichen Grundversorgung. Irrek vom Wuppertal Institut kann das jedoch nicht glauben: "Wenn wirklich Kundeninteressen eine Rolle spielen würden, wäre die Deregulierung am Energiemarkt schon weiter." Frankreichs staatliches Versorgungsunternehmen Electricité de France (EdF) ist der größte europäische Energiekonzern.

Druck auf Regierungen

Auch in Italien ist der Strommarkt für den Wettbewerb noch nicht freigegeben. Die ENEL-Gruppe, die zu 65 Prozent dem Staat gehört, wird weiterhin der dominante Stromanbieter bleiben. Auch wenn der Konzern - nach EdF der zweitgrößte Stromversorger Europas - ab nächstem Jahr höchstens die Hälfte des inländischen Stroms erzeugen darf. Grund für Italiens Regierung, diese Regelung zu erlassen, war sicher Druck der Europäischen Kommission, die EU-Richtlinie einzuhalten. "Aber auch Unternehmen machen Druck auf die Politik", sagt Energieexperte Irrek. "Mehr Wettbewerb liegt ganz in deren Interesse."

Deutschlands Energiemarkt gilt hingegen als offen, sogar weitreichender, als von Brüssel bisher verlangt. Hierzulande können theoretisch alle Kunden – gewerblich und privat – sich aussuchen, wer ihnen Strom oder Gas liefern soll. Allerdings haben seit April 1998, als die neue Regelung in Kraft trat, bis Ende 2001 nur 3,7 Prozent aller Haushalte den Energieanbieter gewechselt. Bei den gewerblichen Kunden liegt die Zahl nur wenig höher. Dabei entscheiden sich die meisten Kunden für einen inländischen Anbieter.

Anteile an deutschen Versorgern

Das sieht aber nur auf den ersten Blick so aus, denn die Energiekonzerne der Nachbarländer kaufen sich in Deutschland ein. Dem niederländischen Unternehmen Essent gehören Anteile der Bremer Stadtwerke, die französische EdF hält ein Drittel der baden-württembergischen EnBW und der schwedische Vattenfall-Konzern hat sich gleich mehrere ostdeutsche Versorger gekauft.

Eine Entwicklung, die nicht nur in Deutschland stattfindet. Die Unternehmensberatung A. T. Kearny erwartet, dass in fünf Jahren nur noch fünf Unternehmen den europäischen Energiemarkt bestimmen. Entscheidend sei letztlich die Größe des Konzerns. Ganz so eindeutig sieht Irrek die Zukunft des Marktes nicht: "Das Sterben der Stadtwerke und kleiner Versorgungsunternehmen wurde schon vor Jahren vorausgesagt, und blieb bisher aus", sagt der Energieexperte. "Es werden immer ein paar kleine Anbieter übrig bleiben."

Gegner der Marktöffnung in der Schweiz fürchten ebenfalls, dass große Energiekonzerne bald den Markt beherrschen. Wie der Entscheid ausgeht, ist ungewiss. Irrek meint jedoch, dass Wettbewerb dem Energiemarkt letztlich gut tut: "Wenn die Öffnung fair gestaltet wird – für alle Anbieter und Kunden."