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Schwachstelle Netz

17. März 2011

21.500 Windkraftanlagen erzeugen in Deutschland Strom. 8000 davon arbeiten in Ostdeutschland. Das bedeutet manchmal Stress für die Stromnetze. Denn Ostdeutschland produziert viel Windstrom, braucht aber wenig Energie.

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Höchstspannungsleitungen in Deutschland (Foto: Bilderbox)
Ein Drittel des in Ostdeutschland erzeugten Stroms ist bereits regenerativBild: BilderBox

An Feiertagen ist die Lage für Hans-Peter Erbring manchmal besonders kritisch. Dann brauchen die 18 Millionen Menschen in seinem Kontrollgebiet wenig Strom, der Wind aber weht trotzdem weiter, mitunter stark.

Hans-Peter Erbring, Leiter Systemführung und Sicherheit bei 50 Hertz Transmission (Foto: DW)
Hans-Peter Erbring, Leiter Systemführung und Sicherheit bei der Firma "50 Hertz Transmission"Bild: DW

Erbring und seine Kollegen vom 50-Hertz-Kontrollzentrum sind für den Schutz der Stromversorgung Ostdeutschlands verantwortlich. Und dass seit März 2010 - damals übernahm der belgisch-australische Netzbetreiber das Netz für die sogenannten Höchststromleitungen vom Energiekonzern Vattenfall.

Infografik Die vier Ebenen des deutschen Stromnetzes (Grafik: DW)

Viel Wind, wenig Verbrauch: In solchen Extremsituationen liefern die dort installierten Windkraftanlagen zusammen mit den konventionellen Kraftwerken drei bis vier Mal so viel Strom wie eigentlich nötig ist. 14 Gigawatt Leistung schwirren durchs Netz, aber nur vier Gigawatt werden an solchen sogenannten Schwachlast-Tagen in Ostdeutschland verbraucht. Damit ist das ostdeutsche Stromnetz bis an seine Grenzen hin überlastet, ein Zusammenbruch droht.

Viel Windstrom, wenig Strombedarf

Zu Jahresbeginn hatte bereits der liberale Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle vor häufigeren Stromausfällen gewarnt - nicht etwa wegen zu wenig, sondern wegen zu viel Ökostrom im Netz. Die vier großen Netzbetreiber in Deutschland - TenneT, Amprion, EnBW TNG und 50-Hertz - kämpfen mit dieser Situation gleichermaßen. Dass die Gefahr von Blackouts aber vor allem in Ostdeutschland merklich gestiegen ist, dass erleben die 600 Mitarbeiter der 50-Hertz-Transmission GmbH beinahe täglich. Von Berlin aus wird von ihnen das Höchstspannungsnetz für die fünf neuen Bundesländer und Hamburg überwacht. Das sind 10.000 Kilometer Stromtrassen, die direkt ab Großkraftwerken und Offshore-Windparks den Strom aufnehmen, um ihn über weite Strecken in Freileitungen zu transportieren.

50 Hertz Kontrollzentrum in Berlin-Marzahn (Foto: DW)
50 Hertz Kontrollzentrum in Berlin-Marzahn: Von hier werden Kraftwerke dirigiert, damit die Spannung im Netz konstant bleibtBild: DW

Der Kontrollraum in dem gelben Zweckbau am Berliner Stadtrand wirkt ein wenig wie ein kleiner Kinosaal. Nur sitzen auf den halbrund angeordneten Arbeitsplätzen keine Besucher, sondern hochspezialisierte Techniker. Und auf der Leinwand vor ihnen laufen keine Filme, sondern dort steht eine überdimensionale Schautafel, die anzeigt, wie viel Strom aktuell in jedem Kraftwerk ins Netz eingespeist wird.

Jeden zweiten Tag müssen die Mitarbeiter inzwischen eingreifen, damit das Stromnetz stabil bleibt, nicht kollabiert. Der Hauptgrund ist die Windkraft, denn die kommt und geht, manchmal im Minutentakt. 2006, als es noch wenig Windkraftanlagen gab, musste das ostdeutsche Stromnetz nur an 80 Tagen im Jahr stabilisiert werden. Damals verbrannten mit Kohle, Gas oder Atomkraft betriebene Großkraftwerke gleichmäßig so viele fossile Brennstoffe wie auch verbraucht wurden. Das garantierte über Jahre hohe Netzstabilität, sorgte aber auch für viel klimaschädlichen Kohlendioxidausstoß und Atommüll.

Jetzt liefern allein die ostdeutschen Windräder bei voller Leistung mehr Strom als Kohle- und Gaskraftwerke zusammen. Elf Gigawatt Windstrom werden hier derzeit produziert, das entspricht der Leistung von elf kleinen Atomkraftwerken.

Damit kamen 2010 nach Zahlen des Windlobby-Verbands GWEC rund 40 Prozent der deutschen Windstromproduktion aus Ostdeutschland, was derzeit immerhin sechs Prozent der weltweiten Produktion ausmacht.

Wenig Zeit, viele Akteure

Im März 2011 wird mit "Baltic 1" ein weiterer gigantischer Offshore-Windpark in der Ostsee angeschlossen, 13 weitere stehen in den kommenden Jahren in der Schlange. "Wir gehen heute an vielen Stellen von Hochrechnungen aus", sagt Erbring, der gespannt auf die Kontrolltafel schaut.

Höchstspannungsleitungen und Windräder südlich von Berlin (Foto: 50Hertz Transmission GmbH)
Manchmal "glühen" die Leitungen vor lauter WindstromBild: 50 Hertz Transmission

Wenn der Windstrom in die Leitung drückt, bleibt Hans-Peter Erbring und seinen Kollegen oft nicht einmal eine Stunde, um zu reagieren und Notrufe zu versenden. Noch fehlen Möglichkeiten, Strom in großen Mengen zu speichern. Das heißt, dass alles, was produziert wird, auch von irgendwem verbraucht werden muss. 1500 Akteure müssen dann koordiniert werden, darunter Kraftwerke, Stadtwerke und kleinere Stromnetzbetreiber, die Verteilnetze bis zum Endkunden betreiben.

Besonders brisant ist, dass das Überangebot an ostdeutschem Ökostrom dazu führt, dass an manchen Tagen die Strompreise ins Minus rutschen. Wer dann Strom kauft, der bekommt dafür an der Leipziger Strombörse Geld, statt selbst zu zahlen. Das klingt paradox, dient aber der Stabilisierung des Stromnetzes.

Zum Stromexport verdammt

50-Hertz hat dann also alle Hände voll damit zu tun, den Strom auf Reise zu schicken, damit die eigenen Leitungen nicht platzen. Im Jahr 2009 wurden an Tagen mit Starkwind nach Unternehmensangaben bereits 6,5 Gigawatt Strom zu benachbarten Stromnetzbetreibern nach Westdeutschland, Polen oder Tschechien exportiert. Hält der Bauboom von Windkraftanlagen an Land und zur See an, dann wird der Exportbedarf schon bis 2013 weiter steigen. "Wir müssen dann aus unserer Zone hinaus 80 Prozent mehr transportieren, als wir das 2009 getan haben", sagt Erbring.

Vor allem in die stromintensiven Industriezentren Süddeutschlands und des Rheinlandes soll Strom exportiert werden - satte 11,7 Gigawatt. Doch bislang fehlen sowohl die dafür ausgelegten Stromtrassen wie auch die Kuppelstellen, die das ostdeutsche Hochspannungsnetz an benachbarte Stromnetze anschließt.

Windland Ostdeutschland (Grafik: DW)
Ein Tag mit Starkwind: Massive Stromexporte werden nötig sein, um das ostdeutsche Stromnetz stabil zu halten (Szenario Übertragungsnetzbetreiber)

Möglich wäre auch, in Phasen mit Starkwind bestimmte Windparks einfach vom Netz zu nehmen. Doch den Befehl zum Abstellen der Windräder darf das Kontrollzentrum Betreibern nur in Ausnahmefällen geben, denn das in Deutschland gültige Erneuerbare-Energien-Gesetz verpflichtet 50-Hertz, Ökostrom immer mit Vorrang ins Stromnetz zu lassen. Nur wenige Ausnahmen sind erlaubt. Bevor also ein Windrad abgestellt werden darf, müssen erst alle Kohle-, Gas- oder Atomkraftwerke bis zur Schmerzgrenze heruntergefahren werden. Die werden von ihren Betreibern bislang aber nie ganz heruntergefahren, denn ihre gleichmäßige Stromproduktion balanciere das Stromnetz aus, diene als Notreserve für plötzlich auftretende Windstillen, sagen diese. Windstromfans bezweifeln dieses Argument, beschimpfen die fossilen Kraftwerke dagegen als Netzverstopfer. Hans-Peter Erbring ist stolz, 2010 in seiner Zone kein Windrad zur Drosslung aufgefordert zu haben. Wie lange das noch gut geht, weiß er allerdings nicht.

Massiver Netzausbau und Bürgerproteste

Landschaft in Thüringen (Foto: dpa)
Eine Hochspannungsleitung soll mitten durch den Thüringer Wald - keine Chance, sagen AnwohnerBild: picture-alliance/akg-images

Deshalb erscheint für viele der Netzausbau als Rettung. Eine Netzstudie der Deutschen Energie Agentur ermittelte im Jahr 2005 einen Bedarf für 850 Kilometer neue Stromtrassen. 2010 ermittelte die Nachfolgestudie bereits einen vier Mal so großen Ausbaubedarf bis 2020.

Der Bundestag beschloss ein Jahr zuvor, die gröbsten Stromnetzunzulänglichkeiten zu beheben - durch 24 Pilotprojekte. Eines der anstehenden Projekte ist die sogenannte Südwestkuppelleitung, die verhindern soll, dass das ostdeutsche Stromnetz platzt. Über dieses Verbindungsstück zwischen Thüringer Wald und Oberfranken soll Strom nach Süden fließen. Doch Bürgerinitiativen protestieren gegen den Bau neuer Strommasten. Bei 50-Hertz ist man deswegen angespannt. Gelingt es nicht, in den nächsten zwei oder drei Jahren den Brückenschlag zu machen, sieht 50-Hertz-Sicherheitsexperte Erbring schwarz: "Dann werden wir weiter große Netzsicherheitsprobleme haben."

Im Kontrollzentrum richtet man sich schon Mal auf alle Eventualitäten ein. Dazu gehört auch, in Zukunft häufiger Windparks zu drosseln. Auch wenn Erbring weiß, dass dann nicht die Stromnetze, wohl aber die Telefondrähte bei dem Energieunternehmen glühen werden.

Autor: Richard Fuchs
Redaktion: Kay-Alexander Scholz