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Studentenabulanz für Obdachlose

28. Februar 2011

Ihre Patienten sind arm und oft ungepflegt. Aber auch sie brauchen Hilfe. Studenten der privaten Universität Witten-Herdecke engagieren sich im Obdachlosenprojekt "Luthers Waschsalon". Und können dabei eine Menge lernen.

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Eingang des Obdachlosenprojekts 'Luthers Waschsalon' der Hagener Bahnhofsmission (Foto: DW / Sabine Damaschke)
"Luthers Waschsalon" in HagenBild: DW/Damschke

Im weißen Arztkittel steht Korbinian Benz vor dem Behandlungsstuhl und passt die erste Totalprothese seines Zahnmedizinstudiums an. "Das ist ein großer Moment für mich", sagt er. "Ich habe lange und viel daran gearbeitet, dass dieses künstliche Gebiss gut sitzt." Patient Uwe Bauer ist noch nicht zufrieden. "Es drückt unten etwas", sagt der 51-jährige arbeitslose Mann schüchtern, der keinen einzigen Zahn mehr im Mund hat. Korbinian Benz nimmt einen kleinen Bohrer und bearbeitet damit die Unebenheiten in der Prothese.

Der pensionierte Hagener Zahnarzt Hans Ritzenhoff (links) und der Wittener Zahnmedizinstudent Korbinian Benz (Foto: DW / Sabine Damaschke)
Korbinian Benz und Zahnarzt Hans RitzenhoffBild: DW/Damaschke

Worauf er dabei achten muss, erklärt ihm der pensionierte Zahnarzt Hans Ritzenhoff. Er unterstützt die Studenten der privaten Universität Witten-Herdecke bei ihren wöchentlichen Behandlungen in "Luthers Waschsalon", einem Obdachlosenprojekt der Bahnhofsmission und evangelischen Lutherkirche in Hagen. Während eine Etage tiefer die dreckige Kleidung der Besucher gewaschen wird, sie duschen und frühstücken können, behandeln die Zahnmedizinstudenten oben Karies, ziehen Zähne oder passen Zahnersatz an.

Zu arm für den Hausarzt

"Für mich ist es eine große Chance, dass ich hier mitarbeiten kann", sagt der 24-jährige Student. „Ich lerne nicht nur medizinisch viel, sondern begegne hier auch Patienten, mit denen ich sonst kaum zu tun hätte.“ Menschen eben, die in deutschen Arztpraxen selten zu finden sind: Obdachlose, Arbeitslose, Drogen- und Alkoholkranke, bettelarme Rentner. Viele sind nicht sozialversichert oder haben so wenig Geld, dass sie die in Deutschland übliche Praxisgebühr für eine ärztliche Behandlung nicht bezahlen können. Auch Medikamente, Stützstrümpfe oder Krücken, zu denen deutsche Patienten einen finanziellen Beitrag leisten müssen, sind für sie unerschwinglich. In der Ambulanz von "Luthers Waschsalon" gibt es all das kostenlos.

Der Wittener Zahnmedizinstudent Korbinian Benz vor dem Behandlungsstuhl in der zahnmedizinischen Ambulanz (Foto: DW / Sabine Damaschke)
Korbinian Benz im BehandlungszimmerBild: DW/Damschke

Seit einem Jahr engagiert sich Korbinian Benz in dem Projekt, das die Bahnhofsmission in Hagen 1997 gründete. Mit damals fünf ehrenamtlichen Mitarbeitern. Heute sind es 25. Hinzu kommen die Zahnmedizinstudenten aus der Nachbarstadt Witten, für die ein Praktikum im Projekt verpflichtend ist, sowie fünf Medizinstudenten. Susanne Greischel gehört dazu. Während ihr Kommilitone mit der Zahnprothese beschäftigt ist, behandelt sie im Nebenraum einen Patienten, der seit zwei Jahren eine offene Wunde am Bein hat.

Kleine Wunden, große Probleme

Helmut Berner gehört zu den Stammgästen des Projekts. "Die Ärzte und Studenten sind sehr nett und bemüht um uns", lobt er. "Sie bekommen kein Geld dafür und nehmen sich trotzdem viel Zeit für uns." Der obdachlose 54-jährige Mann erlebt es selten, dass Mediziner in der Praxis oder Klinik ihm so aufmerksam zuhören und so viel nachfragen. "Die medizinische Behandlung ist oft keine große Herausforderung", erklärt Susanne Greischel. Meistens müsse sie Wunden versorgen, Blutdruck messen oder bei Erkältungen helfen.

Die Wittener Medizinstudentin Susanne Greischel mit Patient Helmut Berner (links) bei der Versorgung einer Beinwunde (Foto: DW / Sabine Damaschke)
Medizinstudentin Susanne Greischel mit Patient Helmut Berner (links)Bild: DW/Damaschke

Doch hinter den Beschwerden steckten nicht selten psychische Probleme, Traumatisierungen oder Süchte. "Welche Medikamente ich dann geben darf und wie ich die Patienten davon überzeugen kann, dass sie noch andere Hilfen brauchen, das ist die eigentliche Herausforderung." Patienten mit Krankheiten, die Susanne Greischel nicht behandeln darf, verweist sie an Spezialisten oder auf den Montagstermin im Waschsalon, an dem ein Arzt, der Rezepte ausstellen darf, vor Ort ist. "Ich erlebe die Menschen hier als sehr geduldig und dankbar für jede noch so kleine Hilfe, die wir ihnen geben", sagt die 23-jährige Studentin. "Das freut und motiviert mich ungemein." Berührungsängste mit diesen zum Teil schwierigen Patienten, die auch mal ungewaschen, betrunken oder aggressiv in die Ambulanz kommen, hat sie nicht.

Wut auf die deutsche Politik

Korbinian Benz dagegen gibt zu, dass er zu Beginn seines Engagements in "Luthers Waschsalon" mit Vorurteilen und Ängsten zu kämpfen hatte. "Aber die wurden ganz schnell entkräftet", erzählt er. "Die meisten Patienten haben so schlimme Schicksalsschläge erlebt, dass ich mich immer wieder über ihren Lebensmut und ihre Fröhlichkeit wundere." Häufig bekomme er "richtig Wut" auf die deutsche Gesundheitspolitik, die diese Menschen ausgrenze oder auf die Wirtschaft, die ihnen keinen Job mehr geben wolle und damit in die Armut stürze.

"Als Zahnarzt möchte ich mich später anders verhalten", betont der Student. Und spricht damit Projektleiterin Heike Spielmann-Fischer aus dem Herzen. Sie hat vor zehn Jahren bewusst Studenten in "Luthers Waschsalon" geholt, damit sich im Gesundheitssystem etwas ändert. "Wenn die Studenten später im Beruf auf diese Menschen treffen, dann werden sie ihnen freundlich und offen begegnen", hofft Spielmann-Fischer.


Autorin: Sabine Damaschke

Redaktion: Gaby Reucher