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Politik

"Kampf um die bürgerliche Mitte"

6. Oktober 2017

Nicht mehr zwischen rechts und links, sondern zwischen Befürwortern und Gegnern der Modernisierung verläuft der Graben in der deutschen Demokratie. Zu dieser Erkenntnis kommt eine Studie der Bertelsmann Stiftung.

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Berlin Bundestagswahl Stimmzettel und Wahlurne
Bild: Reuters/S. Loos

Es ist eine dramatische Ansage. Robert Vehrkamp spricht mit Blick auf die Bundestagswahl von einer "neuen Konfliktlinie der Demokratie zwischen Modernisierungsskeptikern und -befürwortern". Diese Linie zeige sich in der "Spaltung" der Wählerschaft. Der Wissenschaftler ist einer der Autoren einer umfassenden Studie zur Bundestagswahl, die die Bertelsmann Stiftung unter dem Titel "Populäre Wahlen" an diesem Freitag vorlegt.

Dabei analysierten die Experten mit Hilfe von zwei Meinungsforschungsinstituten 621 bundesweit repräsentative Stimmbezirke und befragten gut 10.000 Deutsche in den Tagen nach der Wahl zu ihrem Abstimmungsverhalten.

Die AfD und die bürgerliche Mitte

Eine wesentliche Erkenntnis: Im Kampf um die bürgerliche Mitte macht die AfD vor allem den Unionsparteien Konkurrenz. In diesem Milieu erreichte die "Alternative für Deutschland" als "klar rechtpopulistische Partei" 20 Prozent aller Wählerstimmen. Das sind 14,6 Prozentpunkte mehr als bei der Bundestagswahl 2013. Die AfD habe da "überdurchschnittlich gewonnen", so Christina Tillmann, Direktorin des Programms "Zukunft der Demokratie" der Bertelsmann Stiftung. Zugleich brachen CDU und CSU in diesem Milieu der bürgerlichen Mitte regelrecht ein. Mit einem Minus von 15 Prozentpunkten lag der Verlust höher als in jedem anderen gesellschaftlichen Lager.

Robert Vehrkamp
Robert Vehrkamp: Parteien "ohne Kernmilieu"Bild: K. U. Oesterhelweg

Vehrkamp ist unsicher, was dieser Befund längerfristig für das Unionslager bedeutet. Und er zieht den Vergleich zur SPD. Die Sozialdemokraten seien heute - das zeige auch das Ergebnis vom 24. September - keine Partei mehr, "die ein Kernmilieu hat". Stattdessen gebe es eine irgendwie geartete partei-eigene Milieustruktur. Zuletzt habe die SPD diese eigene Klientel, die Arbeiterschaft und die untere Mittelschicht, bei der Bundestagswahl 1998 erreicht. Damals löste Gerhard Schröder mit dem rot-grünen Projekt das ermattete unionsgeführte System von Helmut Kohl ab. Danach verlor die SPD dieses Milieu. Nun sei, so Vehrkamp, die Frage, "ob die Union angesichts der Verluste in den Milieus einen ähnlichen Weg nehmen wird wie die SPD in den letzten 15 bis 20 Jahren".  Die etablierten Parteien müssten sich mit den Milieus, "die sie wirklich zu verlieren drohen, wieder stärker beschäftigen".

Die Spaltung

Eine zweite wesentliche Erkenntnis für die Wissenschaftler: Die gestiegene Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl habe "zu einer spürbaren Verringerung ihrer sozialen Spaltung geführt".  Das beschreibt die Kluft zwischen einer hohen Beteiligung an den Wahlen in wirtschaftlich und sozial starken Wohnvierteln und einem niedrigen Wert in wirtschaftlich schwachen Vierteln. 2013 lagen zwischen diesen beiden gesellschaftlichen Gruppen 29,5 Prozentpunkte, nun waren es noch 26,7 Punkte.

Christina Tillmann
Christina Tillmann: Keine "wahlkampffreien Zonen"Bild: S. Krinke

Dieses Zusammenschrumpfen, so Christina Tillmann, sei positiv zu bewerten "und wichtig für die Demokratie". Aber sie formuliert daraus eine deutliche Mahnung. Es dürfe in Deutschland keine Räume oder Regionen geben, "in denen die etablierten Parteien mit ihren Aktivitäten aufhören, in denen es zu wahlkampffreien Zonen kommt". 

Für das Zusammenschrumpfen habe auch die AfD gesorgt, weil sie Nichtwähler wieder zur Wahlurne gebracht habe, so Tillmann. Zu mehr als 65 Prozent seien das Modernisierungsskeptiker. Es sei dann eine ganz andere Frage, ob die AfD - für die Experten der Stiftung eine "klar rechtspopulistische Partei" - für diese Menschen ein Programm mache.

Die Integrationskraft der Demokratie

"Das wird", sagt Robert Vehrkamp mit Blick auf die Bewältigung der Spaltung, "eine sehr wichtige Frage für die kommenden Jahre". Die Demokratie habe "immer eine hohe Integrationskraft". Das habe sie immer wieder bewiesen, und das müsse sie nun neu unter Beweis stellen.

Autoren Robert Vehrkamp (Mitte) und Christina Tillmanm
Autoren Vehrkamp und Tillmann: Die kommenden Jahre werden wichtigBild: DW/J. Thurau

Die Studie, sagt Vehrkamp, war auf der Zielgeraden und noch nicht veröffentlicht, als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Tag der deutschen Einheit in Mainz seine vielbeachtete Rede zur Lage Deutschlands 27 Jahre nach der Wiedervereinigung hielt und von "neuen unsichtbaren Mauern" sprach. Er habe, sagt Vehrkamp, "das auch nur in den Medien verfolgt". Aber die Rede erfreute ihn spürbar. Dabei werden die Bertelsmann-Experten noch deutlicher und sprechen von "Spaltung" und "Konfliktlinie". Und sie zeigen, wie wichtig die kommenden politischen Jahre für Deutschland werden.