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Gesellschaft

Hunderte medizinische Fachkräfte gezielt getötet

15. März 2017

Die Helfer werden selbst zu Zielscheibe: Laut einer Studie werden im Syrien-Krieg Mediziner systematisch angegriffen. Die Folgen sind katastrophal: Hundertausende leben mittlerweile ohne medizinische Grundversorgung.

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Syrien Luftangriff auf ein Krankenhaus bei Atareb nah Aleppo
Bild: Reuters/A. Abdullah

Seit dem Beginn des Krieges in Syrien vor sechs Jahren sind in dem arabischen Land mehr als 800 Mitarbeiter des Gesundheitswesens Opfer von Kriegsverbrechen geworden. Das geht aus einer Studie der renommierten Fachzeitschrift "The Lancet" hervor. Die Untersuchung kritisiert eine "Umwandlung" des Gesundheitswesens zur Waffe, die dazu geführt habe, dass "hunderte Gesundheitsmitarbeiter getötet, hunderte weitere eingekerkert oder gefoltert und hunderte Einrichtungen des Gesundheitswesens gezielt und systematisch angegriffen" worden seien. Schätzungsweise rund 15.000 Ärzte - etwa die Hälfte des Vorkriegsstandes - seien aus Syrien vor der Gewalt geflohen. Dadurch fehle es an medizinischer Grundversorgung für hunderttausende Zivilisten.

Folgen werden Jahrzehnte zu spüren sein

"Die internationale Gemeinschaft hat diese Verletzungen des internationalen humanitären Rechts und der Menschenrechte weitgehend unbeantwortet gelassen", kritisieren die Autoren der Studie. In ihrem Vorwort in "The Lancet" beklagen sie ein "schweres Versagen der weltweiten Gesundheitsgemeinschaft und der internationalen Führungen". Es werde Jahrzehnte dauern, bis das syrische Gesundheitswesen sich erholen werde.

Die dokumentierten Opferzahlen und Zerstörungen legten nahe, dass die syrische Regierung Angriffe auf Mediziner strategisch einsetze und das in einem für Konflikte bislang beispiellosen Ausmaß. Die Mehrheit der Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, 94 Prozent, gehe auf das Konto der Regierungstruppen und mit ihnen verbündeter Gruppen.

Die Statistiken wurden von Experten an Universitäten in Großbritannien, den USA und Beirut sowie von der Syrian American Medical Society (Sams) und zahlreichen regierungsunabhängigen Organisationen zusammengetragen und erstellt. Demnach wurden seit März 2011 bis September vergangenen Jahres 782 Gesundheitsmitarbeiter getötet, davon 247 Ärzte. Seit September starben mindestens 32 weitere Mitarbeiter; insgesamt also 814.

Lage durch Russlands Kriegseintritt verschlimmert

An Folter seien 101 Gesundheitsmitarbeiter gestorben, durch Hinrichtungen 61, heißt es in der Studie. Durch Angriffe auf Krankenhäuser seien 426 medizinische Mitarbeiter getötet worden. Die tatsächlichen Toten-Zahlen lägen jedoch vermutlich höher, schreiben die Autoren. In dem seit März 2011 andauernden Gewaltkonflikt wurden der UNO zufolge insgesamt mindestens 320.000 Menschen getötet und Millionen weitere in die Flucht getrieben. Der Ausbruch des Konflikts jährt sich dieser Tage zum sechsten Mal.

Mit dem militärischen Eintritt Russlands in den Konflikt im September 2015 an der Seite der Regierungstruppen habe sich die Lage verschlimmert, heißt es in der Studie. 2016 sei das "schlimmste Jahr" des Konflikts im Hinblick auf Angriffe auf medizinische Einrichtungen in Syrien gewesen. Sams berichtete von allein 194 dokumentierten Attacken im vergangenen Jahr - ein Anstieg um 89 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Medizinische Versorgung unzureichend

Etwa ein Drittel der Syrer lebe inzwischen in Gebieten ohne Gesundheitsmitarbeiter, ein weiteres Drittel unter unzureichender medizinischer Versorgung. Rund die Hälfte der Kliniken sei beschädigt. Ein Mangel an Gesundheitsversorgung sei auch eine wichtige Fluchtursache.

Die Studie nennt Beispiele für systematische Angriffe auf die Gesundheitsversorgung: Das Kafr Sita Cave Krankenhaus in Hama sei seit 2014 33 Mal bombardiert worden, allein sechsmal in diesem Jahr. Das unterirdische Krankenhaus M10 Aleppo wurde demnach 19 Mal binnen drei Jahren attackiert, bevor es im Oktober 2016 völlig zerstört wurde. Während die Ärzte und Helfer dem Sturm bis zuletzt standgehalten hätten, habe die internationale Gemeinschaft sich bislang kaum darum bemüht, die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

cr/stu (afp, dpa)