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Studiogast – Prof. Günter M. Ziegler, Mathematiker

29. Februar 2008

Günter Ziegler ist Präsident der Deutschen Mathematiker-Vereinigung an der Technischen Universität Berlin und arbeitet am DFG-Forschungszentrum MATHEON.

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Bild: DW-TV

DW-TV: Mathematiker haben berechnet: 1:14 Millionen ist die Wahrscheinlichkeit im Lotto sechs Richtige zu tippen. Herr Günter Ziegler, kann denn das menschliche Gehirn 1:14 Millionen überhaupt noch erfassen?

Günter M. Ziegler: Intuitiv glaube ich nicht. Für 1:6 haben wir ja ein gutes Gefühl. Für jemand der Würfel spielt, der weiß schon was für eine Wahrscheinlichkeit 1:6 ist. Aber bei 1:14 Millionen haben wir, glaube ich, kein Gefühl dafür. Das menschliche Gehirn kann das aber trotzdem in den Griff kriegen, dafür haben wir ja Mathematik. Für den Bereich außerhalb der gefühlten Wahrscheinlichkeiten oder der Zahlen, die wir wirklich in den Griff kriegen können, brauchen wir Handwerkzeug. Und das ist in dem Fall Mathematik.

DW-TV: Da haben Sie wahrscheinlich ein besseres Gefühl als wir.

Günter M. Ziegler: Das ist vielleicht besser trainiert, ja.

DW-TV: Sie sind nicht nur Mathematikprofessor an der Technischen Universität Berlin, sondern auch Präsident der Deutschen Mathematikervereinigung. 2008 ist das Jahr der Mathematik, wozu brauchen wir so etwas?

Günter M. Ziegler: Ich glaube wir brauchen es dafür, dass Mathematik als Wissenschaft, aber auch als ein Thema, das uns alle angeht, nicht bekannt genug ist. Unser Bild von Mathematik ist viel zu schmal. Daher ist es wichtig, dass wir Mathematik in voller Breite und Schönheit und Vielfalt darstellen. Deswegen macht das Bundesforschungsministerium seit dem Jahr 2000 diese Wissenschaftsjahre. Und das Wissenschaftsjahr 2008 veranstaltet vom Bundesforschungsministerium mit großer Unterstützung von der Deutschen Telekom Stiftung ist ein Projekt, dass jetzt in 2008 gerade losgeht.

DW-TV: Die Schönheit der Mathematik zeigt sich zum Beispiel im Satz des Pythagoras: In unserer Umfrage zeigte sich, dass einige befragte Leute Schwierigkeiten mit der Formel haben. Warum müssen wir so etwas wissen?

Günter M. Ziegler: Der Satz des Pythagoras ist abstraktes Wissen. Das Wissen, wie man Entfernungen einfach berechnet, oder dass,wenn man weiß, wie breit und wie lang ein Raum ist, man die Länge der Diagonale berechnen kann, oder wenn man Koordinaten kennt etc.. das ist eigentlich etwas, was wir schon können müssen. Es gibt Bereiche, wo wir ein bisschen Gefühl dafür haben, aber wir müssen auch wissen, wie man es rechnet.

Kürzlich haben wir im Dachgeschoss einen Schrank aufgestellt. Der war drei Meter breit und vier Meter hoch und wir mussten den auf Diagonale kippen. Das kann eigentlich nicht sein. Aber es waren Zahlen, die realistisch waren und es kam die Frage: Wenn wir den Schrank kippen, passt der noch unter der Decke durch? Wir haben gemerkt, das war der Satz des Pythagoras, den man brauchte, um das zu verstehen.

DW-TV: Es lohnt sich, den zu können?

Günter M. Ziegler: Ja, es lohnt sich.

DW-TV: Aber warum stehen so viele Menschen gerade mit Mathematik auf Kriegsfuß?

Günter M. Ziegler: Womit stehen die Menschen denn eigentlich auf Kriegsfuß? Ich glaube, die stehen mit Formeln auf Kriegsfuss, die in der Schule trainiert wurden. Andererseits machen wir ja sehr viel Mathematik. Und Mathematik ist sehr vielfältig und besteht eben nicht nur aus Formeln, die man einfach können und in der Schule pauken muss.

Interview Teil II

DW-TV: Günter Ziegler, ein Bereich wäre ohne Mathematik wirklich gar nicht denkbar, nämlich Computer. Es gäbe zum Beispiel überhaupt keine einzige Suchmaschine im Internet.

06.01.2008 DW-TV Projekt Zukunft ziegler2
Bild: DW-TV

Günter M. Ziegler: Das ist richtig. In den Suchmaschinen, sozusagen in der Bewertung, was die Seiten Wert sind, wo sie uns hinführt, steckt Mathematik drin. Auch in den Geschäftsmodellen von Firmen wie Google steckt eine Menge an Mathematik drin. Das ist Mechanism Design, was ganz aktuell ist.

DW-TV: Es gibt sehr viele Mathematikerwitze. Brauchen Sie die, als Gegensatz zu Formeln und Zahlen?

Günter M. Ziegler: Ich glaube Witze brauchen wir auch, weil Mathematik auch eine fröhliche Wissenschaft ist und wir uns da auch drin wiederfinden.

DW-TV: Warum erschließt sich uns das nicht so sehr, dass Mathematik fröhlich ist?

Günter M. Ziegler: Ich glaube, weil das, was wir als Mathematik dargestellt bekommen immer so eindimensional ist. Das sind eben gerade diese Formeln. Das Mathematik auch Geometrie ist, das es auch Kunst ist, das es Wahrscheinlichkeit ist, das es Fußball ist. Das ist alles Mathematik. Und sich damit zu beschäftigen, macht Spaß.

DW-TV: Sehen Sie als Mathematiker die Welt mit anderen Augen als wir?

Günter M. Ziegler: Manchmal vielleicht schon, weil man eben auch sieht, wo man mit mehr Mathematik hätte besser optimieren können. Wenn man auf den Bus wartet und der Anschluss nicht kommt, dann weiß ich die Mathematik ist schuld.

DW-TV: Was hat Mathematik mit Busfahren zu tun?

Günter M. Ziegler: Weil man mit Mathematik und mit mathematischer Optimierung bessere Busfahrpläne machen kann, wo die Anschlüsse dann am Ende stimmen. Mit der U-Bahn in Berlin haben wir das zum Beispiel durchexerziert und wirklich bessere U-Bahnfahrpläne hinbekommen.

DW-TV: Würden Sie denn sagen, Mathematik ist männlich oder weiblich?

Günter M. Ziegler: Das weiß ich nicht. Mathematik ist vielfältig und da sucht sich ohnehin jeder oder jede die Ecke und den Teil aus, der ihm am meisten Spaß macht, mit Sicherheit in der Forschung vielleicht aber auch einfach im Alltag.

DW-TV: Haben Sie denn viele Frauen in Ihrem Studiengang?

Günter M. Ziegler: Ja jede Menge. Wir haben so ungefähr fünfzig Prozent Studienanfängerinnen.

(Interview: Daniela Levy)