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PolitikEuropa

Syrer in Deutschland solidarisieren sich mit Ukrainern

Leander Löwe
15. März 2022

Der Krieg in der Ukraine erinnert geflüchtete Syrer an ihr eigenes Leid, das vor elf Jahren seinen Anfang nahm. Solidarität zu zeigen, ist für sie selbstverständlich.

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Ukraine-Konflikt - Demonstration in Hannover
Ein Demonstrant erinnert an Putins militärisches Eingreifen auch in SyrienBild: Moritz Frankenberg/dpa/picture alliance

Noch vor zehn Jahren hat Mohammad Naanaa am Stadtrand der syrischen Großstadt Aleppo gewohnt. In einem Randbezirk, wo es schon früh Proteste gegen das Assad-Regime gab. Der Beginn der Demonstrationen in Syrien jährt sich jetzt zum elften Mal. Er selbst nahm an den Protesten nicht teil. Aber dann, er war 19 und steckte mitten in den Abiturprüfungen, sollte er zur Wehrpflicht eingezogen werden. Das Regime unterstützen wollte er auf keinen Fall.

Er verließ seine Wohnung und floh zunächst in Aleppos Innenstadt. Kurz darauf verließ er das Land. Über die Türkei kam er nach Deutschland. Seine Eltern flüchteten neun Monate später nach London. "Wenn man selbst so eine Flucht erlebt hat, dann muss man einfach solidarisch mit den ukrainischen Geflüchteten sein", sagt er. "Wir sind da leider die Experten. Seit elf Jahren."

Berlin Mohammad Naanaa aus Syrien
Mohammad Naanaa in Deutschland: "Man muss solidarisch mit ukrainischen Geflüchteten sein." Bild: Mohammad Naanaa

Erschreckende Parallelen

Im Krieg in der Ukraine erkennt er viele Parallelen zum verheerenden Bürgerkrieg in seiner Heimat: "Wenn ich mir gerade die Bilder aus der Ukraine anschaue, dann sind die eins zu eins so wie damals in Syrien", erzählt er. "Und die Ukrainer kämpfen sogar gegen denselben Feind."

Syrien Russland Ukraine Konflikt Graffiti Künstler Aziz Asmar
Graffito an einem zerstörten Haus im syrischen IdlibBild: Moawia Atrash/ZUMA Wire/imago images

Russlands Regierung hat seit 2015 das Assad-Regime im Kampf gegen die Aufständischen unterstützt. Beim Angriff auf die Stadt Idlib kam es laut einem UN-Bericht von 2020 zu Kriegsverbrechen mit direkter russischer Beteiligung. Dazu gehörten demnach Bombardements von Zivilisten und Krankenhäusern. In der Ukraine werden laut einer Sprecherin des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte inzwischen ebenfalls zivile Einrichtungen wie Krankenhäuser angegriffen.

Saad Yagi, der ebenfalls aus Syrien geflohen ist, sieht allerdings auch entscheidende Unterschiede zur Ukraine: "Ich würde den Syrienkrieg eher als Revolution bezeichnen", erklärt er. "Wir haben damals gegen die syrische Regierung demonstriert." Erst als iranische und russische Truppen aufseiten der syrischen Regierung intervenierten, sei es zum Bürgerkrieg gekommen.

Im syrischen Widerstand gegen Assad, IS und Putin

Der 23-jährige Yaghi schloss sich mit 13 Jahren der Bewegung gegen Assad an, nachdem eine Rakete in seinem Wohnhaus eingeschlagen war. Im Widerstand machte er Fotos für arabische Presseagenturen, um den Krieg und seine Grausamkeiten zu dokumentieren. Erst als die Terrormiliz "Islamischer Staat" in seinen Heimatort an der irakischen Grenze kam, wurde es dafür zu gefährlich.

"Der IS hat mich für drei Tage verhaftet, weil ich mit der Kamera auf der Straße rumgelaufen bin und viel gefilmt habe", erzählt Yaghi. "Gott sei Dank haben sie nichts gegen mich gefunden. Sonst hätten die mich umgebracht." Nach seiner Freilassung beschlossen seine Eltern, dass es Zeit sei, Ost-Syrien endgültig zu verlassen. Nach einer kurzen Zeit in Damaskus floh er 2015 nach Deutschland. Heute studiert er Journalistik in Dortmund.

Dortmund Syrer protestieren gegen Ukraine-Krieg
Dortmund: Syrer in Deutschland protestieren gegen Putin und den Krieg. Bild: Saad Yaghi

Solidarität mit russischen Demonstranten

Saad Yaghi betrachtet seine Solidarität für die Ukraine als Pflicht und als eine Art Gegenleistung: "Als in der Ukraine 2014 die Revolution vonstatten ging, war unsere (syrische) Flagge auf ihren Demonstrationen zu sehen. Die Ukrainer haben Solidarität mit uns gezeigt." Das müssten die Syrer nun zurückgeben.

Doch geht diese Solidarität für ihn über die Ukraine hinaus. Nachdem er selbst als Jugendlicher durch das syrische Regime und den IS unterdrückt worden sei, könne er vor allem auch die Situation der politischen Aktivisten in Russland nachvollziehen. "Ich habe viele Freunde aus Russland, die meinten, dass sehr viele ihrer Freunde verhaftet wurden, weil sie gegen Putin aufstehen. Viele wurden geschlagen, manche vielleicht umgebracht", sagt der Student.


"Wir wollen nicht, dass die Menschen sterben, bis Putin weg ist"

Bei den Aktionen und Demonstrationen, die er gemeinsam mit seinen Freunden organisiert, geht es ihm nicht um Politik: "Mich interessiert ganz generell keine Regierung in der Ukraine oder ein Selenskyj, sondern die Menschlichkeit", sagt er. "Wir wollen nicht, dass die Menschen sterben, bis Putin weg ist." Doch könnten sie nicht viel unternehmen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Am liebsten würde er sofort in die Ukraine fahren, um auch dort das Grauen zu dokumentieren.

Syrien: Kindheit auf der Müllhalde

Die beiden jungen Syrer kennen sich von einem gemeinsamen Medienprojekt. Sie teilen ein Mitteilungsbedürfnis über das, was sie in ihrer Jugend erlebt haben. Beide hoffen, dass die ukrainischen Flüchtlinge schneller wieder in ihre Heimat zurückkehren können als sie selbst. "Als wir die Revolution anfingen, haben wir uns auch gedacht, wir könnten nach maximal einem Monat zurückkehren", erklärt Yaghi. "Nun sind schon elf Jahre vorbei."

Am 19. März wollen sie gemeinsam mit der ganzen syrischen Community in Deutschland in Berlin ein Zeichen setzen. Sie wollen demonstrieren, um an den Beginn des syrischen Bürgerkrieges zu erinnern. Und sie wollen ihre Solidarität mit der Ukraine zeigen.