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Politik

Syrien: Kunst der Diplomatie gefragt

30. Oktober 2017

In Astana treffen sich die Vertreter mehrerer Staaten, um in Syrien einen Waffenstillstand zu erreichen. Die Diplomaten sehen sich vielen Herausforderungen gegenüber. Sie ringen auch um kleine Erfolge.

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Kasachstan Rixos Hotel in Astana
Bühne der Diplomatie: Das Tagungshotel in KasachstanBild: Getty Images/AFP/K. Kudryavtsev

Absehbar brauche es eine gesamt-syrische Konferenz, ein nationales Treffen, das sämtliche Gruppen der syrischen Gesellschaft umfasst: alle ethnischen und religiösen Gruppen, Vertreter der Regierung ebenso wie der Opposition. Vorschläge wie dieser sind in der inzwischen fast sieben Jahren geführten Debatte um ein Ende des syrischen Bürgerkriegs hinreichend oft erhoben werden, um alsbald wieder zu verklingen.

Dieses Mal aber hat sich Wladimir Putin die Idee zu eigen gemacht. Mitte Oktober trug er entsprechende Überlegungen bei einem Auftritt vor dem Valdai Discussion Club in Sotchi vor. Es brauche ein solches Treffen, bekräftigte der russische Präsident, um die bereits angelaufenen Gespräche zwischen der syrischen Regierung und der Opposition zu führen. "Der Prozess ist in Gang, geht aber nur träge und langsam voran. Die Konfliktparteien misstrauen einander. Ich hoffe, dass es möglich sein wird, diesen Zustand zu überwinden."

Eben diesem Ziel sollen auch die an diesem Montag begonnenen, allgemein als schwierig eingeschätzten Syrien-Gespräche in der kasachischen Hauptstadt Astana dienen. Dort sind für zwei Tage Vertreter Russlands, des Iran, der Türkei, der USA, der Vereinten Nationen und Jordaniens zusammengekommen, um das Ende der Kämpfe in dem kriegsgeplagten Landes voranzubringen.

Kasachstan Astana Syrien Gespräche
Astana, die nächste: Szene von den Verhandlungen im September 2017Bild: Getty Images/AFP/S. Filippov

Die Rolle der Deeskalationszonen

Eine Möglichkeit, das gegenseitige Misstrauen abzubauen, bieten die vier Deeskalationszonen, die seit Mai dieses Jahres eingerichtet wurden. Sie befinden sich in Idlib im Nordwesten, in Teilen der Provinzen Hama und Homs, den östlichen Vororten von Damaskus und in der südlichen Provinz Daraa. Die funktionieren zwar eher schlecht als recht, da es keine institutionalisierte Macht gibt, die durchsetzen könnte, dass Vereinbarungen und Abmachungen tatsächlich auch eingehalten werden, so dass es immer wieder zu Verstößen, also Kämpfen und Gewalt kommt. Dennoch scheint es, als wolle keine der Kriegsparteien diese Zonen aufgeben. Das gilt zumindest für die Regierung und die nicht-dschihadistische Opposition. Die religiös-extremistischen Gruppen sind von der Vereinbarung ohnehin ausgenommen. Sie gelten den großen Kriegsparteien nicht als verhandlungswürdige Ansprechpartner.

Entsprechend hart wurden und werden diese Gruppen militärisch angegriffen. Vor einigen Tagen fiel die vom IS gehaltene Stadt Rakka. "Es gibt Grund zur Annahme, dass wir die Terroristen in absehbarer Zeit besiegt haben", erklärte Putin in Sotschi - wenn auch nicht ohne die Einschränkung, dass die Dschihadisten ihre Truppen immer wieder erneuerten und zumindest mittelfristig als Gefahr bestehen blieben. "Die Bedrohung für Syrien, die Region und die gesamte Welt ist nicht verschwunden, überhaupt nicht. Im Gegenteil, man muss immer aufmerksam sein."

Bilanz der Kämpfe

Die international anerkannte Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte" zog nun eine Bilanz der vor gut zwei Jahren begonnenen russischen Intervention in Syrien. Die Russen töteten 4461 Mitglieder der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) und gut 4000 Kämpfer anderer, zum Teil dschihadistischer Gruppen.

Syrien Unterernährung
Das Leiden der Schwächsten: ein unterernährtes syrisches Baby in einer Klinik nahe DamaskusBild: Getty Images/AFP/A. Almohibany

Zugleich fielen den Kämpfen aber auch sehr viele Zivilisten zum Opfer. Den heute veröffentlichten Informationen der Beobachtungsstelle zufolge wurden seit Beginn der Intervention 1449 Kinder, 883 Frauen und 3631 Männer von über 18 Jahren getötet. Besonders verheerend wirke auch der Einsatz einer Eisen-Aluminium-Mischung mit den Namen Thermit. Dieser Stoff werde den kleinteiligen Cluster-Bomben beigemischt und brenne rund drei Minuten lang - mehr als genug Zeit, um schlimmste Verbrennungen zu verursachen.

In den vergangenen vier Jahren, so die Beobachtungsstelle, habe das syrische Regime über 100.000 Luftangriffe geflogen. Dabei habe es unter anderem über 54.000 Fassbomben angeworfen. Zu all dem kommen die Massaker, die die Dschihadisten an der Bevölkerung begehen.

Folter in den Gefängnissen

Entsprechend schwer wird es sein, die Kriegsparteien an einen Tisch zu holen. Vertrauensbildend sollen auch die Verhandlungen über die Herausgabe  von Gefangenen wirken. "Darauf wird neben den Deeskalationszonen unser Hauptaugenmerk liegen", erklärte Yehia Aridi, Mitglied der syrischen Opposition gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Auch diese Verhandlungen dürfte schwierig werden. 

Die Zeitung Al-Araby Al-Jadeed spricht in ihrem Kommentar am Montag von 11.000 Gefangenen, die gefoltert und getötet worden seien. Diese Zahl bringe Russland, den Verbündeten des Assad-Regimes, ebenso in Schwierigkeiten wie die weiterhin fortgesetzten Angriffe. "Russland weiß, wie fragwürdig seine Rolle als Vermittler ist, wenn die Kämpfe in Teilen des Landes weiter gehen."

Die internationale Dimension

Doch nicht nur innerhalb Syriens stehen sich die Kriegsparteien gegenüber, sondern auch außerhalb. Die Gespräche mit den USA zur Beilegung des Konflikts kommen offenbar voran, deutete Putin in seiner Rede in Sotschi an. Schwieriger dürfte es sein, das derzeit sehr angespannte Verhältnis zwischen Israel und Iran zu lösen. Israel beschuldigt Iran, die Truppen der schiitischen, in Europa als terroristische Vereinigung geltenden Hisbollah-Miliz immer näher an die Grenze Syriens heranzuführen.

Gleichzeitig, so berichtet das mit der Politik des Nahen Ostens befasste Internetmagazin Al-Monitor, würden Waffendepots der Miliz weiter ins syrische Landesinnere verlegt, so dass die Piloten der israelischen Luftwaffe bei Angriffen auf diese Lager ein erhöhtes Risiko eingingen. Insbesondere fürchtet man in Israel, dass es zu unbeabsichtigten Zusammenstößen mit der russischen Luftwaffe kommt. Zwar ist Israel nicht in Astana vertreten. Aber auch dieses Anliegen muss Russland, dessen Diplomaten zuletzt intensive Gespräche in Jerusalem führten, bei den Verhandlungen berücksichtigen.

Die Teilnehmer der Konferenz in Astana sehen sich Problemen auf ganz unterschiedlichen Ebenen gegenüber. Gelänge es, auch nur einen Teil von ihnen zu lösen, wäre das ein Triumph der Diplomatie.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika