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Auf der Suche nach einer neuen Existenz

Tania Krämer / Najat Abdulhaq11. Oktober 2013

Mehrere hunderttausend Syrer sind vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat nach Jordanien geflohen. Viele schlagen sich außerhalb der Flüchtlingslager durch. Der Alltag der Geflohenen ist oftmals zermürbend.

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Syrische Flüchtlinge strömen in der Nähe von Marfraq über die Grenze nach Jordanien. (Foto: AFP PHOTO/KHALIL MAZRAAWI/Getty Images)
Bild: Khalil Mazraawi/AFP/Getty Images

In der kleinen Küche eines Appartements irgendwo in der jordanischen Hauptstadt Amman herrscht Hochbetrieb. Auf dem Speiseplan der fünf Köchinnen stehen syrisch-nahöstliche Spezialitäten. "Syrian Kitchen" nennt sich der Catering Service – damit wollen sich die Frauen eine neue Existenz aufbauen. Alle mussten vor dem brutalen Bürgerkrieg in ihrer Heimat Syrien nach Jordanien fliehen.

"Am Anfang hatte ich gar nichts. Und jetzt bin ich froh, wenigstens diese Beschäftigung gefunden zu haben", sagt Hanin (Name von der Redaktion geändert), während sie geduldig kleine Portionen Reis in Weinblätter einrollt. Vor einem Jahr ist die 39-Jährige mit ihrer Familie das syrische Nachbarland geflohen.

Das kleine Einkommen soll helfen, ihre Familie zu ernähren. "Meine Verwandten sind überall hin zerstreut: in Ägypten, im Libanon, in der Türkei und hier in Jordanien. Dieser Krieg hat alle Familien zerrissen", erzählt Hanin. Die anderen Frauen nicken. Nur zu gut kennen sie das alles. Die schlimmen Erlebnisse zu Hause, die ungewisse Flucht und der schwierige Alltag als Flüchtling.

Syrische Frauen bauen einen Catering-Service in Amman auf (Foto: DW-TV)
"Syrian Kitchen": Neue Existenz für fünf FlüchtlingsfrauenBild: DW

Die Frauen unterstützen sich gegenseitig. "Immerhin sind wir hier in Sicherheit. Das Leben muss doch irgendwie weitergehen", meint eine andere junge Frau und steckt sich eine Haarsträhne unterm Kopftuch fest. Auch sie will ihren richtigen Namen nicht nennen. Die Frauen sind vorsichtig, denn die meisten haben noch Familie in Syrien.

Wer als Flüchtling registriert ist, bekommt zwar Hilfe durch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). Es sei aber wichtig, dass sie selbst etwas für ihre Situation tun können, meint die syrische Aktivistin Bayan al-Adawi. Sie hat das Catering-Projekt gemeinsam mit einer Nichtregierungsorganisation initiiert. "Wir hoffen, dass die Frauen fühlen, effektive Mitglieder dieser Gesellschaft zu sein, und nicht nur Empfänger von Hilfe", sagt die resolute junge Frau. Beim Catering-Service setzen sie vor allem auf Mund-zu-Mund-Propaganda, um jordanische Kunden zu gewinnen. Ein langfristiges Ziel – doch wie lange sie in Jordanien bleiben werden, weiß keiner.

Die meisten Syrer fliehen in Jordaniens Städte

Der Mangel an Arbeitsmöglichkeiten und die schwierige finanzielle Situation gehören zu den größten Sorgen der Flüchtlinge, die schon länger im Land sind. Bislang sind nach UN-Angaben rund 540.000 syrische Flüchtlinge in Jordanien registriert – inoffiziell soll es noch viel mehr geben. Mehrere Tausend leben in den großen Flüchtlingslagern, doch rund 70 Prozent zieht es in die Hauptstadt Amman oder in die kleineren Grenzstädte, so Schätzungen der UN.

Syrien: Massenflucht nach Jordanien

Die internationale Gemeinschaft unterstützt das ressourcenarme Land seit Beginn der Krise mit Hilfsgeldern in Milionenhöhe. Es ist keine einfache Situation, auch wenn die Gastfreundschaft für die "syrischen Brüder und Schwestern" ganz oben steht.

Außerhalb der Flüchtlingslager bestimmt der freie Markt das Leben. Familie Hussein schlägt sich seit einigen Monaten in der Grenzstadt Mafraq durch. "Alles Putzen hilft hier nichts", sagt Abeer Irhel Hussein und zeigt zaghaft lächelnd in eine dunkle Ecke der kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung. Das ist das notdürftige Bad – ein Loch im Steinboden und ein tropfender Wasserhahn.

(DW-Grafik: Peter Steinmetz)
Über zwei Millionen Menschen sind bislang aus Syrien geflüchtet

Seit einigen Monaten lebt die junge Mutter mit ihrem Ehemann und ihren vier Kindern im Parterre eines Wohnhauses am Rande von Mafraq. Die Anfang 30-Jährige sieht müde aus, aber oft blitzt dennoch ein Lächeln durch. Es war ein langer Weg in die Sicherheit – von der syrischen Heimat Homs in die jordanische Grenzstadt. Zuerst waren sie im Flüchtlingslager Zaatari untergebracht. Doch in der Zelt- und Karawanenstadt mitten in der Wüste habe sie sich nicht sicher gefühlt, sagt die junge Frau.

Teures Leben außerhalb der Flüchtlingslager

Für die dunkle Bleibe zahlt die Familie jetzt umgerechnet 190 Euro Miete im Monat. Eine Wahl haben sie nicht. Aufgrund der hohen Nachfrage sind die Mieten in Mafraq im letzten Jahr um das bis zu Vierfache gestiegen. Innerhalb einen Jahres ist die Stadt von rund 70.000 auf 120.000 Einwohner angewachsen, so die Behörden.

Trotz Schwierigkeiten – alles sei besser als der Krieg, sagt die junge Mutter und zündet einen kleinen Gaskocher auf dem Boden an. Darauf kocht sie Reis und Gemüse für das Abendessen. Viel kann sich die Familie nicht leisten. Abeers Mann schlägt sich mangels fehlender Arbeitserlaubnis als Tagelöhner durch.

Grundnahrungsmittel erhalten sie von Hilfsorganisationen. Der Krieg in der Heimat begleitet sie aber weiterhin im Alltag. Im Fernseher laufen Bilder aus Syrien. "Die Kinder haben all das mit eigenen Augen ansehen müssen", erzählt Abeer. "Sie haben Massaker und Krieg miterlebt. Das war ihr Alltag."

Abeer Irhel Hussein in ihrer Wohnung in Marfraq (Foto: DW-TV)
"Alles besser als der Krieg" - Abeer Irhel Hussein in MafraqBild: DW

Ihr 13-jähriger Sohn Ahmed erinnert sich an jedes Detail. "Mein Großvater wurde von Scharfschützen erschossen", erzählt der Junge. "Zwei Tage bevor wir geflohen sind, kamen die Flugzeuge. Sie kamen immer wieder und schossen viele Raketen ab. Dabei sind viele Leute gestorben."

Angst vor einer verlorenen Generation

Ahmed war lange Zeit das Sorgenkind der Familie. Nach der traumatischen Flucht nach Jordanien ging er arbeiten. Er sammelte Plastikflaschen, um ein paar Groschen Geld zu verdienen. Erst seit einigen Tagen geht er wieder in die Schule – gemeinsam mit seinen Geschwistern besucht er eine Nachmittagsschule, organisiert von der Caritas.

Die meisten jordanischen Schulen unterrichten jetzt vormittags und nachmittags, um den einheimischen und syrischen Kindern gerecht zu werden. Fast alle Kinder in Ahmeds Klasse waren seit Monaten nicht mehr im Unterricht - auch in Syrien konnten viele nicht mehr zur Schule gehen. Schon jetzt warnen Experten vor einer "verlorenen Generation". Noch ist ungewiss, wann sie wieder nach Hause können. Bis dahin müssen die Flüchtlinge in ihrer vorübergehenden Heimat Jordanien ihren Weg finden.