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Lifestyle

Türkei: Bald religiöse Ehe zulässig?

Özge Artunç
2. August 2017

Die türkische Regierung hat einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, wonach Muftis in Zukunft Trauungen vollziehen können. Opposition und Frauenorganisationen sind aufgebracht. Sie sehen den Laizismus in Gefahr.

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Russland Vladivostok -  Muslimische Trauung: Norouz-Feierlichkeiten in Vladivostok
Bild: picture-alliance/dpa/ITAR-TASS/Y. Smityuk

Seit Einführung des Zivilrechts 1926 können in der Türkei ausschließlich Kommunalbeamte Trauungen vollziehen. Ohne die staatliche Trauung ist bislang eine religiöse Trauung nicht möglich. Paare, die sich nicht staatlich, sondern nur in einer Moschee trauen lassen, werden mit zwei bis sechs Monaten Haft bestraft.

Das Verfassungsgericht hatte vor knapp zwei Jahren die Voraussetzung aufgehoben, erst staatlich zu heiraten, um auch religiös getraut werden zu können. Zur Begründung hieß es, religiöse Trauungen stünden nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Rechtsstaates und den Grundsätzen des Strafgesetzes. Bei Umsetzung dieses Urteils geht die AKP-Regierung nun einen Schritt weiter. Nach dem neuen Gesetzesvorhaben sollen die Religionsgelehrten, also die Muftis, in Zukunft Trauungen vollziehen können, die rechtlich genauso gültig sind, wie die staatlichen Trauungen. Das bedeutet, Türken können also zukünftig entscheiden, ob sie staatlich oder nur religiös heiraten wollen.

Muslimische Trauung
Ausschließlich in der Moschee heiraten - zukünftig soll das möglich sein Bild: Imago/ZUMA Press

Debatte um Laizismus

Nach der Sommerpause soll das Parlament über den Entwurf abstimmen. Die größte Oppositionspartei CHP, die sich als Hüterin der säkularen Ordnung sieht, ist gegen den Vorschlag. Das Gesetz zeige, "dass die Mentalität, die den IS geschaffen hat, in einer anderen Version in der Türkei im Umlauf ist", sagte die CHP-Abgeordnete Gaye Usluer. Die Versuche der AKP, anti-laizistische und auf islamische Regeln basierende Gesetze durchzusetzen, seien offenkundig, so Usluer. Die CHP befürchtet, dass dadurch parallel zum bestehenden Rechtssystem ein religiöses Rechtssystem entstehen könnte.

Auch die kurdische Partei HDP stellt sich dagegen. Nach Ansicht der HDP-Abgeordneten Meral Danış Beştaş will die AKP-Regierung tatsächlich die Grundlage für eine Gemeinschaft schaffen, die sich auf den Islam beruft. "Die AKP denkt dabei weder an die Frauen, noch an die Mädchen", so Beştaş.

Die islamisch-konservative AKP-Regierung verteidigt das Vorhaben mit dem Argument, dass die geplante Praxis Eheschließungen vereinfachen würde. "Die staatliche Trauung wird beschleunigt, und die Rechte der Frauen in der Ehe werden schneller geschützt", so der Justizminister Bekir Bozdag. Das Gesetz widerspreche dem Laizismus-Prinzip nicht. 

Da die AKP im Parlament die Mehrheit bildet und auch von der nationalistischen MHP Unterstützung bekommt, wird das Gesetz voraussichtlich ohne große Debatten beschlossen werden.

Türkei Frauendemo gegen Gewalt in Ankara
Frauen gegen das GesetzBild: Getty Images/AFP/A. Altan

Frauenorganisationen erheben ihre Stimme

Die türkischen Frauenorganisationen haben das Vertrauen in die Regierung schon längst verloren und wollen gegen das neue Gesetz zu protestieren. Sie befürchten, dass die Zahl der verheirateten Minderjährigen steigt und den Männern ermöglicht wird, mehrere Frauen zu heiraten. Zudem sorgen sie sich, dass zivilrechtliche Kriterien für eine staatliche Trauung wie das Mindestalter bei "Mufti-Ehen" nicht in Betracht gezogen werden könnten. In dem Gesetzesvorhaben sind diese Punkte nicht erläutert.

Für die Frauenrechtlerin Gülsüm Kav stellt das geplante Gesetz einen Rückschritt dar. "Eine solche Regelung braucht die Türkei nicht. Zu heiraten ist kein Problem für die Menschen", so Kav. Auch Canan Güllü, Präsidentin der Föderation der Frauenverbände der Türkei, kritisiert das Vorhaben. "Dem Volk diese islamischen Regeln aufzuoktroyieren bedeutet, die Frauen zu erniedrigen und zu unterdrücken. Das ist die Mentalität der AKP", sagt sie. Eine solche Ehe wäre nach geltendem Recht ungültig und unzulässig, meint Güllü.

Die Frauenorganisationen haben an den Staatspräsidenten und AKP-Vorsitzenden Recep Tayyip Erdogan einen offenen Brief mit ihren Forderungen geschrieben. "Wenn Sie auf der Seite der modernen türkischen Frau sind, sorgen Sie dafür, dass der Gesetzesvorschlag im Parlament zurückgezogen wird. Erlauben Sie nicht, dass man zu islamischen Regelungen übergeht."