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Rückzug aus Kabul

Esther Felden10. Oktober 2012

Aufgrund der verschärften Sicherheitslage zieht die Heinrich-Böll-Stiftung ihre deutsche Büroleiterin Marion Regina Müller Anfang 2013 aus Kabul ab. Über diesen Schritt und ihre Arbeit vor Ort sprach sie mit der DW.

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Ein afghanischer Polizist steht neben dem Tatort eines Selbstmordanschlags (Foto: SHAH MARAI/AFP/GettyImages)
Bild: Shah Marai/AFP/GettyImages

Deutsche Welle: Frau Müller, die Heinrich-Böll-Stiftung hat bekannt gegeben, dass Sie ab Anfang 2013 ihre Geschäfte als Büroleiterin in Kabul von Berlin aus weiterführen sollen. Die Sicherheitslage im Land verschlechtert sich ja schon seit langem. Was war der konkrete Auslöser für diese Entscheidung? Warum gerade jetzt?

Marion Regina Müller: Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass sich lediglich meine Aufenthaltszeiten in Afghanistan verkürzen werden. Ich bin jetzt relativ lange am Stück vor Ort und immer nur kurze Zeit in Deutschland, um da Netzwerk- und Dialogtätigkeiten zu übernehmen, und das wird sich ab 2013 umkehren. Ich werde aber immer noch regelmäßig auf Dienstreisen nach Afghanistan kommen. Für die Arbeit der Stiftung selbst werden sich, hoffe ich, keine gravierenden Änderungen ergeben.

Berliner Hauptgebäude der Heinrich-Böll-Stiftung (Foto:dpa)
In Zukunft soll die Afghanistan-Arbeit der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin koordiniert werdenBild: picture alliance / dpa

Und wie kam es zu der Entscheidung?

Das ist eine Entscheidung, die vom Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung getroffen wurde, und das natürlich nicht plötzlich. Man hat die Sicherheitslage beobachtet und das dann entsprechend im Vorstandsteam der Stiftung entschieden. Es gibt aber keinen besonderen Vorfall, der dazu beigetragen hätte. Es geht um Verantwortung für die Mitarbeiter.

Wie haben Sie denn persönlich in den vergangenen Monaten das Klima in der Stadt und auch im Land empfunden? Wie hat es sich verändert?

Es ist sehr schwer, diese Frage allgemeingültig zu beantworten. Die allgemeine politische Lage und damit auch verbunden die Sicherheitslage in Afghanistan ist etwas, das man in sehr vielen Grauschattierungen sehen muss. Die Gefährdungen sind in den unterschiedlichen Landesteilen verschieden. Es gibt einige Provinzen, in denen sich die bewaffnete Opposition schon mehr durchgesetzt hat oder zumindest noch nicht zum Rückzug gedrängt werden konnte. In Kabul können wir relativ gut arbeiten. Ich denke, die Hauptstadt wird in allen Sicherheitsberichten eigentlich als relativ sicher beurteilt. Es gibt aber auch hier Sicherheitsvorfälle, Explosionen, Demonstrationen, durch die die Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird. Man muss schon mal Veranstaltungen verschieben, Treffen können manchmal nicht stattfinden. Es gibt verschiedene Hinweise von Sicherheitsdiensten, dass man an dem einen oder anderen Tag nicht ins Büro gehen soll. Aber es ist trotzdem sehr schwer, die Sicherheitslage allgemein zu beurteilen.

Sie haben selber das Stichwort Bewegungsfreiheit genannt. Wie muss man sich denn diese Sicherheitsmaßnahmen vorstellen, unter denen Sie da täglich arbeiten?

Ich bewege mich eigentlich gar nicht zu Fuß. Die meisten entsandten internationalen Personen, die hier in der Stadt arbeiten, bewegen sich eigentlich nur noch mit dem Auto. Man wird praktisch von A nach B transportiert, von der Wohnung zum Büro oder auch zum Einkaufen oder zu Treffen und Veranstaltungen, auch zum Flughafen. Wir sind unter dem Schirm eines Sicherheitsprojektes, so wie viele andere deutsche Organisationen auch. Von diesem Sicherheitsprojekt bekommen wir per SMS regelmäßige Updates. Falls es zu Demonstrationen oder Explosionen kommt, wird man darüber informiert. Die sind auch sehr gut in der Lage, die Sicherheitslage dann relativ schnell und präzise einzuschätzen und da eben bestimmte Informationen zu geben, wie "Diese Straße ist nicht befahrbar" oder "Hier ist abgesperrt wegen der Bewegung von Parlamentsabgeordneten oder wegen eines hohen Staatsbesuchs": Solche Nachrichten bekommt man. Wir bekommen auch regelmäßige Berichte über die Sicherheitslage zugeschickt. Meine lokalen Kolleginnen und Kollegen bewegen sich natürlich ganz normal. Das sind jetzt Vorkehrungen, die eigentlich nur für mich gelten.

Vor Ruinen an einer Straße von Kabul stehen Autos und unter Sonneschirmen floriert der alltägliche Handel (Foto:dpa)
Alltag in Kabul vor einer durch eine Explosion zerstörten HäuserzeileBild: picture-alliance/ ZB

Fühlen Sie sich denn persönlich sicher in Afghanistan oder haben Sie auch manchmal Angst?

Ich glaube, wenn ich Angst hätte, dann könnte ich hier nicht arbeiten. Ich fühle mich eingeschränkt sicher. Wenn es natürlich zu einer Explosion kommt, dann fühlt man sich natürlich weniger sicher als an einem ganz normalen Tag.

Es ist ja teilweise aus Sicherheitsgründen auch ihren einheimischen, lokalen Mitarbeitern nicht mehr möglich, Projekte in den Provinzen zu besuchen. Wie effektiv kann man denn unter solchen Umständen arbeiten?

Je nachdem, wie die Sicherheitslage ist in verschiedenen Provinzen, gibt es einfach Provinzen, die sind schwer zugänglich. Manchmal liegt es auch daran, dass einfach eine Provinz auf dem Weg oder eine Straße auf dem Weg zu einem Projektgebiet nicht sicher ist. Das hängt öfter von den Tagen ab: An manchen Tagen kann man da lang fahren, an manchen Tagen nicht. Es ist schwierig. Wir arbeiten ja von Anfang an schon sehr eng mit Partnerorganisationen in der Zivilgesellschaft zusammen und die haben in diesen Projektregionen auch lokale Mitarbeiter, die aus der Projektregion kommen, und die können sich natürlich wesentlich besser bewegen, als wenn man von außen kommt. Es ist nicht in allen Provinzen oder Projektgebieten so, aber doch in einigen.

Die Fragen stellte Esther Felden.