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"Tödliches Blasphemiegesetz"

3. März 2011

Der Mord an Shahbaz Bhatti, dem pakistanischen Minderheiten-Minister macht deutlich, auf welch gefährlichem Weg das südasiatische Land sich befindet. Darin sind sich die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen einig.

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Artikel zum Mord am pakistanischen Minderheiten-Minister (Foto: DW)
Bild: DW

Rheinische Post, Düsseldorf: "Gefahr aus Pakistan"

Shahbaz Bhatti war nicht irgendwer, er war Minister und - das spielt hier leider eine Rolle - ein Christ. Seine Aufgabe: Schutz der Minderheiten in Pakistan, einem Land mit 190 Millionen Einwohnern, dessen Staatsreligion der Islam ist. Weil er diese Aufgabe ernst nahm, wurde er jetzt ermordet. Sein Tod signalisiert zweierlei: Erstens, dass die Regierung zusehends die Kontrolle über die Sicherheitslage im Land verliert. Und zweitens, dass die Extremisten Pakistan immer weiter in die Anarchie treiben. Pakistan wird damit zum Opfer einer von der einstigen Militärführung geförderten Islamisierung, deren Folgen inzwischen die Fundamente des Staates bedrohen. Aber Pakistans Problem liegt nicht allein im religiösen Extremismus. Dieser kann sich nur so rasant ausbreiten, weil das Land von unfähigen und korrupten Politikern seit Jahrzehnten zugrunde gerichtet wurde. Heute kommt hier alles zusammen: Armut, soziale Ungerechtigkeit, Fanatismus. Pakistan, dieser einst aus einer blutigen Abspaltung entstandene Staat, ist am Ende. Er müsste im Grunde neu aufgebaut werden.

Der Tagesspiegel, Berlin: "Wie in Schockstarre"

Das bitterarme, ethnisch und religiös tief gespaltene Land ist auf einer gefährlichen Schussfahrt. Und das sollte den Westen alarmieren. Auch ein islamistisches Pakistan würde die Welt nicht mit einem Atomkrieg überziehen. Doch die USA und Europa können es sich nicht leisten, Islamabad als Verbündeten zu verlieren. Pakistan spielt schließlich eine Schlüsselrolle in der gesamten Region. Dazu dürfen die USA das Land nicht nur als Instrument im Afghanistankonflikt behandeln - sondern als politischen Partner. Solange das Land dazu noch bereit ist.

Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Mörderischer Furor"

Pakistan wurde einst als Heimstätte für die Muslime des indischen Subkontinents gegründet. Inzwischen hat sich das Land zu einer Heimstätte für islamische Eiferer aller Art entwickelt. Das ist schon für sich genommen gefährlich. Hinzu kommt im Fall Pakistan noch, dass es sich um eine Atommacht handelt. Das Ausland hat auf diese Entwicklungen schon lange keinen nennenswerten Einfluss mehr, obwohl die Verschwörungstheoretiker im Land als Ursache jedes Missstands das böse Ausland wittern. Aber auch die "normalen" Einheimischen scheinen sich in ihr Schicksal zu ergeben. Zwar gibt es mit Sicherheit viele Menschen, denen nicht der Sinn nach einem Leben steht, das die Extremisten "islamisch" nennen. Diese haben es allerdings mittlerweile geschafft, dass sich so gut wie niemand mehr traut, öffentlich gegen ihren Furor aufzutreten. So taumelt Pakistan dem Abgrund entgegen, und es ist kaum eine politische Kraft auszumachen, die sich dem entgegenstemmen würde.

Bonner General-Anzeiger: "Krokodilstränen"

Selten entlarven sich Premierminister so ungeniert wie Pakistans Premier Yousuf Raza Gilani bei seiner Reaktion auf den Mord an seinem Minderheiten-Minister Shahbaz Bhatti am MIttwoch. Islamabad werde nun erst recht entschlossen gegen den Extremismus kämpfen, verkündete er. Dabei stoppte der Regierungschef höchstpersönlich erst vor einigen Wochen alle Versuche in seiner eigenen Partei, den berüchtigten Blasphemieparagrafen seines Landes auch nur geringfügig abzuändern. Gilani bekämpft den Terror in seinem Land nicht mehr, er zittert vor den Extremisten. Wie der Teufel das Weihwasser scheut die Regierung in Islamabad jeden offenen politischen Konflikt mit den religiösen Fanatikern. Schritt um Schritt weicht Islamabad zurück. Die Regierung ist längst vor der religiösen Rechten eingeknickt. Sie ist so damit beschäftigt, sich an der Macht zu halten, dass sie nicht einmal zu bemerken scheint, wie Pakistan immer tiefer ins Verderben schlittert. Aber sie verschüttet freizügig Krokodilstränen über den Mord an ihrem christlichen Minister.

die taz, Berlin: "Tödliches Blasphemiegesetz"

Schockierend genug, dass in Pakistans beschaulicher Hauptstadt Islamabad Politiker offenbar einfach so erschossen werden können. Fast noch bedenklicher sind die öffentlichen Reaktionen auf solche Taten. Da wird ein Mörder wie ein Held gefeiert, weil er im Januar den Gouverneur Salman Taseer niederschoss, der es wagte, für die Schwächsten der Gesellschaft das Wort zu ergreifen: für eine arme Christin und fünffache Mutter, die wegen angeblicher Gotteslästerung zum Tode am Galgen verurteilt wurde. Und Shahbaz Bhatti, der Minister für religiöse Minderheiten und selbst Christ, musste jetzt sterben, weil er als einer der letzten bekannten Politiker weiter auf Änderung des harschen Blasphemie-Gesetzes pochte. Das Krebsgeschwür des Extremismus frisst sich immer tiefer in die pakistanische Gesellschaft hinein. TV-Sender schüren den religiösen Fanatismus in Talkshows, weil es populär ist und Zuschauer bringt. Die pakistanische Regierung kapituliert vor den Hardlinern. Eine Änderung des Blasphemie-Gesetztes komme nicht infrage, haben alle Politiker aus dem Kabinett - bis auf Bhatti - eilig versichert. (...) Es geht in Pakistan schon längst nicht mehr um ein schlechtes Gesetz. Es geht darum, wer die Macht hat, die Richtung im Lande vorzugegen. Die Antwort sieht nicht gut aus.

zusammengestellt von: Esther Felden
Redaktion: Thomas Kohlmann