1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Türkei droht Eingreifen im Syrien-Konflikt an

11. Februar 2016

"Unsere Geduld geht zu Ende", sagt der türkische Präsident Erdogan und baut vor Beginn der Syrien-Verhandlungen massiven diplomatischen Druck auf. Russland will weiter reden - und bombardieren.

https://p.dw.com/p/1Htip
Stände von Obst- und Gemüsehändlern im syrischen Aleppo (Foto: Reuters/A. Ismail)
Früchte unter Trümmern: Obst- und Gemüsestände im syrischen AleppoBild: Reuters/A. Ismail

Die Türkei hat mit einem Eingreifen im Syrien-Konflikt gedroht. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte in Istanbul, irgendwann werde sein Land die Geduld verlieren. Dann werde Ankara gezwungen sein, aktiv zu werden. Zugleich warf Erdogan dem Iran vor, an "gnadenlosen Massakern" in Syrien beteiligt zu sein.

Die Vereinten Nationen müssten mehr tun, um eine "ethnische Säuberung" in dem Bürgerkriegsland zu verhindern. Erdogan warnte, falls die Luftangriffe fortgesetzt würden, könnte es 600.000 neue Flüchtlinge geben. Derzeit bereite sich die Türkei auf die Ankunft weiterer Menschen vor, die durch die Kämpfe vertrieben wurden. Wie die Nachrichtenagentur Anadolu berichtet, warnte der Präsident bei einem Auftritt in Ankara, die Türkei könnte syrische Flüchtlinge massenweise in andere Länder schicken.

"Wir könnten das Tor aufmachen"

Erdogan bestätigte Medienberichte, wonach er bereits bei einem Treffen mit der EU-Spitze im vergangenen Jahr angedroht hatte, Flüchtlinge nach Europa zu schicken. Er habe damals gesagt, die Türkei halte zurzeit die Flüchtlinge an der Grenze nach Europa auf. Doch eines Tages könne es sein, dass die Türkei "das Tor aufmacht und ihnen gute Reise wünscht", so Erdogan.

Russland hat derweil bekräftigt, auf der Syrien-Konferenz in München auch über eine Waffenruhe sprechen zu wollen. Vizeaußenminister Gennadi Gatilow nannte jedoch keine Details. Für das Scheitern der Syrien-Gesprächsrunde in Genf, die zu Beginn des Monats vertagt wurde, machte Gatilow die zivilen und bewaffneten Gegner des syrischen Staatschefs Baschar al-Assad verantwortlich.

Syrien Verkäufer im zerstörten Aleppo (Foto: REUTERS/Abdalrhman Ismail)
Ausverkauf: Händler in Aleppo, wo 50.000 Menschen in die Flucht getrieben wurdenBild: Reuters/A. Ismail

Moskau: Kein Strategiewechsel

Das Verteidigungsministerium in Moskau schloss einen grundsätzlichen Strategiewechsel aus. Auf der Suche nach einer politischen Lösung unterstütze Russland weiter die syrische Führung, sagte Generalmajor Igor Konaschenkow. Westliche Länder werfen Russland vor, mit seinen Bombardements Zivilisten zu treffen und Zehntausende in die Flucht zu treiben. Allein aus der Region Aleppo, wo Moskau massive Luftangriffe fliegt, sind nach Angaben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) bisher 50.000 Menschen geflohen.

Der russische Vizeaußenminister Oleg Syromolotow appellierte an den Westen, keine Sicherheitszonen im Norden Syriens einzurichten. "Wir würden das Ausrufen einer solchen Zone - ohne Einverständnis der syrischen Regierung und des UN-Sicherheitsrats - als eine Militärintervention ansehen", zitiert ihn die Nachrichtenagentur Interfax.

An diesem Donnerstag trifft sich im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz die Syrien-Kontaktgruppe, die aus 17 Staaten besteht, das so genannte "Wiener Format". Dazu gehören die Außenminister Russlands, der USA, der Türkei und auch des Irans und Saudi-Arabiens. Es ist das erste Mal, dass diese beiden verfeindeten Regionalmächte an einem Tisch sitzen, seit die Spannungen zwischen Riad und Teheran eskaliert sind. Gemeinsam wollen sie über die Fortsetzung der Genfer Friedensgespräche beraten.

Viel mehr Tote als bisher befürchtet

Im syrischen Bürgerkrieg sind laut einer Studie deutlich mehr Menschen ums Leben gekommen als bisher angenommen. Insgesamt seien dem Konflikt 470.000 Syrer zum Opfer gefallen, berichtet die britische Zeitung "Guardian" unter Berufung auf das Syrische Zentrum für Politikforschung.

Demnach sind 400.000 bei gewaltsamen Auseinandersetzungen getötet worden. Weitere 70.000 Menschen seien gestorben, weil es etwa an sauberem Wasser, medizinischer Versorgung oder einer angemessenen Unterkunft gefehlt habe. Rund 1,9 Millionen Menschen seien verletzt worden. Damit wären rund elf Prozent der Bevölkerung in dem Krieg getötet oder verwundet worden.

Die Vereinten Nationen hatten in einer früheren Schätzung von 250.000 Toten gesprochen. Der Studie zufolge sank die durchschnittliche Lebenserwartung von 70 im Jahr 2010 auf 55,4 Jahre im Jahr 2015. Der wirtschaftliche Schaden werde auf 255 Milliarden Dollar geschätzt.

jj/sti (dpa, afp)