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Politik

Türkei wirft Deutschland Doppelmoral vor

4. März 2017

Im Streit um die Absage von Wahlkampfauftritten türkischer Minister in Deutschland und den Niederlanden brodelt es. Einer darf jetzt doch auf eine deutsche Bühne: der Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci.

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Nihat Zeybekci
Bild: Picture-Alliance/dpa/E. J. Daniels/ANP

Zweimal war seine Anwesenheit unerwünscht: Zuerst sagte die Stadt Köln eine Veranstaltung mit Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci (Artikelbild) ab, die laut Behörden ursprünglich als Theateraufführung angemeldet worden war. Tags darauf platzte auch die Verlegung nach Frechen bei Köln. Wie die Polizei bestätigte, tritt der Wirtschaftsminister am Sonntag nun doch in Köln auf. Dabei handele es sich um eine private Veranstaltung in einem Hotel in der Kölner Innenstadt. Auf der Facebook-Seite der Jugendorganisation der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) heißt es, Zeybekci werde "über das geplante Präsidialsystem in der Türkei informieren". 

Die Regierung in Ankara schickt derzeit Minister nach Deutschland, um für die von Staatschef Recep Tayyip Erdogan angestrebte Verfassungsänderung Werbung zu machen. Zuletzt hatten jedoch drei Kommunen die Auftritte türkischer Minister nicht zugelassen, was in Ankara erboste Reaktionen auslöste.

Der türkische Justizminister Bekir Bozdag (Foto: Picture Alliance)
Der türkische Justizminister Bekir Bozdag wettert gegen die AbsagenBild: picture alliance / abaca

Zuerst verweigerte die Stadt Gaggenau dem Justizminister Bekir Bozdag aus Sicherheitsgründen einen Auftritt. Dieser warf Deutschland vor, mit der Absage Menschenrechtsverträge und die deutsche Verfassung "mit Füßen zu treten". Zugleich bezeichnete Bozdag laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu die Absage erneut als "faschistisches Vorgehen", das demokratische Werte verletze. Bozdag trat in der zentralanatolischen Stadt Yozgat auf.

 ​​​​​​​Bozdag: "Merkel hat Entscheidung nicht kritisiert"

Bozdag bemängelte, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht von der Absage der Ministerauftritte distanziert habe. Merkel und Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hätten von Respekt für die Meinungsfreiheit gesprochen und davon, dass die Genehmigung der Veranstaltungen allein bei den örtlichen Behörden gelegen habe. "Aber wenn man genau hinschaut, haben sie die Entscheidung nicht kritisiert", sagte Bozdag. "Sie haben nicht gesagt, dass die Entscheidung, welche die Behörden getroffen haben, falsch ist."

Neue Spannungen mit der Türkei

Kritik richtete Bozdag auch an die Niederlande, deren Regierung am Freitag eine geplante Wahlkampfveranstaltung in Rotterdam mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu für nicht erwünscht erklärt​​​​​​​ hatte. Damit wolle die niederländische Regierung kurz vor der dortigen Wahl um Stimmen werben, was ein "großer Fehler" sei, sagte Bozdag. Für ihn sei es "sehr klar", dass einige Länder der Europäischen Union gegen die geplante Verfassungsänderung in der Türkei seien, weil sie kein Interesse an einer stabilen und starken Türkei hätten, sagte Bozdag.

Telefonat zwischen Merkel und Yildirim

Inzwischen haben der türkische Regierungschef Binali Yildirim und Merkel eine Stunde lang miteinander telefoniert und dabei auch die Absagen besprochen. Die Türkei werde ihre "Taktik beim Wahlprogramm etwas ändern", sagte Yildirim laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Nach Angaben türkischer Medien wertete Yildirim das Gespräch als "gut und produktiv".

Zuvor hatte der Regierungschef die Wahlkampfabsagen in Deutschland als "sehr unglückliche Entscheidung gegen Freiheiten und die Demokratie" kritisiert. Bei einem Wahlkampfauftritt in der zentralanatolischen Stadt Kirsehir sagte Yildirim, er lade die deutschen Behörden dazu ein, "ihre mit einer guten bilateralen Beziehung unvereinbare Einstellung zu überdenken."

Regierungschef Binali Yildirim winkt fahnenschwenkenden Menschen bei einer Wahlkampfveranstaltung (Foto: Picture Alliance)
Regierungschef Binali Yildirim bei einer Wahlkampfveranstaltung in KirsehirBild: picture-alliance/abaca/H. Goktepe

Auch weitere türkische Minister verurteilten die Absagen in Deutschland und den Niederlanden. Außenminister Cavusoglu sagte in Ankara, er wolle sich trotz der Absage seines Auftritts in den Niederlanden mit dort lebenden Türken treffen. Der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge sagte Cavusoglu: "Dahin, wo wir hingehen wollen, werden wir auch gehen. Wir werden unsere Bürger treffen, wir werden unsere Treffen abhalten."

Gesundheitsminister Recep Akdag bezichtigte beide Länder der Doppelmoral. Die Absagen zeigten, dass sie den Demokratiebegriff "nicht verinnerlicht" hätten, sagte Akdag laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in der Schwarzmeerstadt Ordu. Die Absagen zeigten zudem, dass "diesen Ländern das Erstarken und Wachsen der Türkei unangenehm" sei. 

Machtwort der Bundesregierung erwünscht

Deutsche Politiker fordern eine eindeutigere Positionierung der Bundesregierung. Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sagte, die Entscheidung über Auftritte türkischer Regierungsmitglieder dürfe nicht an den Kommunen hängenbleiben. "Welches diplomatische Instrument da genommen wird, das muss die Bundesregierung selbst entscheiden", sagte sie im Interview der Woche des Deutschlandfunks.

Menschen auf den Rängen der Halle, in der Binali Yildirim in Oberhausen auftrat (Foto: Reuters)
Vor zwei Wochen hielt Binali Yildirim in Oberhausen eine WahlkampfredeBild: Reuters/W. Rattay

Auch der Deutsche Städtetag forderte die Bundesregierung auf, den Streit nicht auf die Kommunen abzuwälzen. "Das eigentliche Problem ist doch die Frage, in welchem Umfang türkische Politiker in Deutschland um Stimmen werben können", sagte der Vize-Präsident des Städtetags, Ulrich Maly, der "Rheinischen Post". Dieses Problem dürfe nicht "bei den Rathäusern abgeladen" werden.

In der Türkei wird am 16. April in einem Referendum über das Präsidialsystem abgestimmt, das dem türkischen Präsidenten Erdogan deutlich mehr Macht verleihen und das Parlament schwächen würde. An der Volksabstimmung können auch im Ausland lebende wahlberechtigte Türken teilnehmen, darunter rund 1,4 Millionen Menschen in Deutschland.

ust/qu (dpa, afp, Polizei Köln)