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Türkei: Unterschriften gegen den Untergang

Pelin Ünker
11. Mai 2020

Der Vorhang bleibt zu, die Einnahmen fallen weg: Für viele Theater in der Türkei - wie in anderen Ländern - ist die Corona-Krise eine existentielle Bedrohung. Jetzt fordern Mitarbeiter Hilfe von der Regierung.

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Bild: picture-alliance/dpa/Xamax

Seit dem 17. März kämpfen türkische Theater ums Überleben. Es ist der Tag, an dem das Innenministerium alle Theater im Land schließen ließ, als Vorbeugung gegen die Corona-Pandemie. Wann diese Restriktionen aufgehoben werden, ist vollkommen unklar.

Zahlreiche türkische Mitarbeiter privater Theater verloren schlagartig ihren Job. 2000 von ihnen haben die Unterschriftenaktion "Unser Theater soll überleben" gestartet, um ihr eigenes Auskommen zu sichern und ihre Theater zu retten. Sie bitten damit um Finanzhilfe vom Staat. "Dieses Mal wollen wir nicht Ihren Applaus, wir wollen Ihre Unterschriften" - das ist der Slogan, mit dem die Kampagne um Zustimmung wirbt. Initiiert hat sie das Künstlerkollektiv Yasarin Kolektifi in den sozialen Netzwerken. Mehr als 21.000 Unterstützer haben die Petition bereits unterschrieben. 

Levent Üzümcü, türkischer Theaterschauspieler
Bangt um Theater als Kunstform: Levent Üzümcü, türkischer TheaterschauspielerBild: Privat

"Es könnte sein, dass das Theater als Kunstform schon sehr bald ausstirbt", fürchtet Theaterkünstler Levent Üzümcü, einer der Mitstreiter der Kampagne. Doch er glaubt auch: "Spätestens wenn die Wissenschaftler einen Corona-Impfstoff gefunden haben und die Menschen zur Normalität zurückkehren, wollen sie wieder Kunst, die ihr Leben verschönert." Darum wirbt er um die Zuschauer: "Eure Seele wird sich ohne Kunst (von dem Virus) nicht erholen. Bitte denken Sie daran. Bitte unterstützen Sie das Überleben des Theaters."

"Schauspieler müssen bald hungern"

Zu den Unterzeichnern gehört auch die Istanbuler Theaterkünstlerin Aysenil Samlioglu. Sie hebt hervor, dass die Bühnen bereits vor der Corona-Krise schwierige Zeiten durchlebt haben. Schon länger steht die türkische Regierung in der Kritik, weil sie zu wenig für Kunstschaffende tue: Museen, Ausstellungen oder Theater erhielten zu wenig finanzielle Unterstützung vom Staat. Zudem beklagen vor allem Angestellte von Staatstheatern, dass ihre Arbeit nicht von der Kunstfreiheit gedeckt sei - einige von ihnen berichteten der Deutschen Welle von massiven Repressionen und Schikanen. Die Bedingungen seien nach dem Ausbruch von COVID-19 vor allem für die privaten Spielstätten noch schwieriger geworden, so Samlioglu. "Wenn der Vorhang zubleibt, werden viele Theatermitarbeiter bald hungern."

Aysen Nil Samlioglu, türkische Schauspielerin
Hier noch mit guter Laune: Aysenil Samlioglu fürchtet, dass die Zeiten für Theater noch schwieriger werdenBild: Privat

Die Initiatoren der Kampagne "Unser Theater soll überleben" stellen umfangreiche Forderungen: Der Staat müsse die Theater von Steuern befreien, etwaige Schulden der Spielhäuser müsse er bis nächsten Januar einfrieren lassen und deren Mieten begleichen, sowie arbeitslose Theatermitarbeiter finanziell unterstützen.

Kemal Aydogan ist Intendant der Istanbuler Theater- und Konzertbühne Moda Sahnesi, die auch unabhängige Filmproduktionen zeigt. Er bekräftigt: "Wir haben überhaupt kein Einkommen mehr und können unseren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten. Bei uns sind alle Theatermitarbeiter vom Schauspieler bis zum Portier schlagartig arbeitslos geworden. Wir können auch die Theatermiete nicht mehr zahlen." 

Private Theater wollen öffentlichen Status

Der Kampagne geht es aber nicht nur ums aktuelle Überleben der Theaterszene - es geht um generelle Verbesserungen. Darum fordert sie ein Theatergesetz. Das soll privaten Theatern den Status öffentlicher Kunstinstitute verleihen. "Diese Epidemie hat gezeigt", erklärt Aydogan, "dass private Theater mit ihrer notgedrungen kommerziellen Ausrichtung jetzt nicht mehr überleben können." Private Theater müssten darum genau wie staatliche Bühnen von öffentlichen Einnahmequellen profitieren. 

Kemal Aydoğan, Intendant des Istanbuler Theaters Moda Sahnesi
"Alle schlagartig arbeitslos": Kemal Aydogan, Intendant des Istanbuler Theaters Moda SahnesiBild: Privat

Ein gewisses Maß an Unterstützung hatte das Kulturministerium den Theatern vor der Corona-Krise zugesagt: 256 private Bühnen können sich an einer Ausschreibung beteiligten, um für die laufende Kunstsaison Finanzhilfe in Höhe von 3000 Euro zu bekommen - ein Betrag, der im Vergleich zur Unterstützung für staatliche Theater allerdings sehr mager ausfällt. Darum ruft die Petition das Ministerium jetzt dazu auf, die Summe den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie anzupassen.

Es braucht einen Corona-Notfallplan für Theaterschaffende - der Meinung ist Mert Firat, Mitglied von Tiyatro Kooperatifi, einem Zusammenschluss aus 37 privaten Theatern, die die Arbeitsbedingungen im Theatersektor verbessern wollen. Die Gruppe möchte gemeinsam mit einer Schauspieler-Gewerkschaft dem türkischen Kulturministerium dabei helfen, einen solchen Plan auf den Weg zu bringen. Auch das ist Teil der Unterschriftenaktion "Unser Theater soll überleben". Und es ist noch nicht das Ende, sagt Firat: "Wir wollen von nun an Woche für Woche auf dieses Thema aufmerksam machen."