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Politik

Ahmet Şık: Erdoğan ist nicht unbesiegbar

25. Mai 2018

Der prominente Autor und regierungskritische Journalist Ahmet Şık tritt bei der Parlamentswahl für die linke prokurdische HDP an. Er glaubt, dass Erdogans AKP die Parlamentsmehrheit verlieren könnte.

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Türkischer Journalist Ahmet Şık
Bild: picture-alliance/AP Photo/C. Erok

Der Investigativ-Reporter Ahmet Şık gehört zu den prominentesten Regierungskritikern in der Türkei. Er wurde schon mehrmals wegen seiner journalistischen Tätigkeit verurteilt und verhaftet. 2011 saß er über ein Jahr in Haft, weil er die Unterwanderung der Polizei und Justiz durch die Gülen-Bewegung zum Thema seines Buchs "Die Armee des Imam" gemacht hatte. Fünf Jahre später wurde er bei dem umstrittenen Prozess gegen die regierungskritische Zeitung "Cumhuriyet" mit 18 weiteren Mitarbeitern dieser Zeitung angeklagt. Nun kandidiert Şık bei der Parlamentswahl im Juni für ein Abgeordnetenmandat der linken prokurdischen HDP.

Deutsche Welle: Warum sind Sie in die Politik gewechselt?

Ahmet Şık: Das war für mich eine schwierige Entscheidung. Ich war immer sehr gerne als Journalist tätig. Aber wir alle wissen, wie wenig Raum dem Journalismus noch geblieben ist. Das gilt auch für mich persönlich. Meine Informationsquellen in den Behörden, aber auch Politiker antworten nicht mehr auf meine Anrufe. Einige haben sogar geschrieben, ich solle sie nicht mehr anrufen. Den Kontakt zu mir betrachten sie als Gefahr.

Wollen Sie ins Parlament einziehen, weil Sie als Journalist nicht mehr arbeiten können?

Es wäre ungerecht, das so zu sagen. Wir haben sehr gute Kollegen, die trotz der Unterdrückung immer noch versuchen, entschieden die Wahrheit zu schreiben. Die Wahrheit bahnt sich auf jeden Fall ihren Weg. Man kann sie nicht verdecken, egal was man tut. In dieser Hinsicht ist die Politik ein anderer Weg, Meinungen zu den Menschen zu tragen.

Türkei Proteste am Verhandlungstag des Journalisten Ahmet Şık vor dem Gericht in Istanbul
Als Ahmet Şık verhaftet wurde, gab es Proteste in der TürkeiBild: DW/A. E. Duran

Warum kandidieren Sie für die linke prokurdische HDP?

Ich halte es für richtig, sich mit der HDP, mit der politischen Kurdenbewegung zu solidarisieren. Die Menschen in der HDP leisten gegen die faschistischen Methoden im Land Widerstand. Um diesen Widerstand zu stärken, ist jede Art der Solidarität vonnöten. Deswegen ist die HDP der richtige Ort. Auch für mich, weil ich dort meine Meinung voll und offen zum Ausdruck bringen kann. Ich glaube, dass die HDP - anders als viele andere - mit mir und meiner klaren Haltung klar kommt.

Sie können aber nur dann etwas bewirken, wenn es im Parlament eine entsprechende Sitzverteilung geben wird. Was für eine Sitzverteilung erwarten Sie?

Wenn die HDP die Zehn-Prozent-Wahlhürde überwindet, verliert die AKP die Mehrheit im Parlament. Dessen muss sich jeder bewusst sein. Die Panik und die Sorgen der Regierungspartei sind ein Hinweis darauf, und sie bestätigen auch, dass es bei der gleichzeitig stattfindenden Präsidentenwahl zu einer Stichwahl kommen wird. Eine AKP, die die Mehrheit im Parlament verliert, wird in einer zweiten Runde der Präsidentenwahl keine Chance mehr haben. Ich setze wirklich große Hoffnungen in diese Wahlen. Alle gehen von der falschen Überzeugung aus, dass diese Regierung unbesiegbar ist. Ich halte das für falsch. Diese Regierung kann besiegt werden.

Wie kann die HDP die konservativen Menschen im Land erreichen und sie als Wähler gewinnen?

Ich möchte den AKP-Wählern sagen: Eines Tages wird diese Regierung nicht mehr an der Macht sein. Aber was für ein Land wird sie uns hinterlassen und wie wird das Leben in diesem Land aussehen? Das ist die entscheidende Frage. Alle Wähler, auch die der AKP, müssen sich diese Frage stellen und entsprechend handeln. Man wird dieses Land neu aufbauen müssen - von der Justiz bis hin zu den Medien und den demokratischen Institutionen. Das kann nicht mit der regierenden Elite der AKP geschehen, aber mit den Wählern der AKP. Jeder muss Verantwortung übernehmen. Der Trümmerhaufen ist sehr groß. Ich glaube, dass wir ihn bewältigen können. Und dann müssen wir gemeinsam ein Land aufbauen, das ein Miteinander ermöglicht. Und das werden wir tun.

Das Gespräch führte Nevşin Mengü.