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PolitikTürkei

Kulturförderer Kavala zu lebenslanger Haft verurteilt

25. April 2022

Die drei Richter sprachen ihn am Ende eines viel kritisierten Verfahrens des versuchten Umsturzes der Regierung schuldig. Kavala ist seit vier Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Sivrili nahe Istanbul inhaftiert.

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Türkei Osman Kavala Menschenrechtspreis
Osman Kavala (Archivbild)Bild: Kerem Uzel/dpa/picture alliance

Die Vorwürfe im Verfahren lauteten gemäß der Anklageschrift Umsturzversuch im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten von 2013 sowie "politische und militärische Spionage" im Zusammenhang mit dem Putschversuch von 2016. Von dem Spionage-Vorwurf wurde Kavala freigesprochen. Er hatte alle Vorwürfe gegen sich stets bestritten, sie als "Verschwörungstheorien" bezeichnet und sich als Opfer politischer Instrumentalisierung von Seiten der Regierung gesehen. Die Proteste im Gezi-Park hatten sich an Bebauungsplänen für den Park in Istanbul entzündet und zu monatelangen regierungskritischen Demonstrationen im ganzen Land ausgeweitet. Der heutige türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan war damals Ministerpräsident.

Sieben Mitangeklagte, die gleichzeitig mit dem Verleger und Milliardär vor Gericht erschienen, wurden zu 18 Jahren Haft verurteilt. Ihnen wurde Beihilfe zum Putschversuch vorgeworfen. Außerdem wurde Haftbefehl erlassen. Im Gerichtssaal in Istanbul wurde umgehend mit Buhrufen und lautem Protest auf die Entscheidung reagiert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Kavala sitzt seit November 2017 in Untersuchungshaft

Türkei | Osman Kavala Prozess in Istanbul
Unterstützer von Kavala demonstrieren vor dem Gericht in IstanbulBild: Ozan Köse/AFP/Getty Images

"Die Tatsache, dass ich viereinhalb Jahre meines Lebens im Gefängnis verbracht habe, ist ein Verlust, der nicht wieder gutgemacht werden kann", hatte der 64-Jährige am Freitag in einer Abschlusserklärung gesagt. Trösten könne ihn nur, "wenn das, was ich durchgemacht habe, dazu beitragen würde, schweren Justizfehlern ein Ende zu setzen".

Heftige internationale Kritik

Der Fall Kavala hat der Türkei international scharfe Kritik eingebracht. Dem Land droht deswegen etwa der Ausschluss aus dem Europarat. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte bereits 2019 die Freilassung des Menschenrechtsaktivisten angeordnet und die Haft als politisch motiviert eingestuft. Ende 2021 war ein diplomatischer Eklat entbrannt, nachdem zehn Botschafter in der Türkei - darunter etwa der deutsche - in einem Schreiben die Freilassung Kavalas gefordert hatten. Präsident Erdogan wertete dies als unzulässige Einmischung und drohte den Diplomaten mit Ausweisung.

Türkei | Osman Kavala Prozess in Istanbul
Der Richterspruch sorgte bei Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude für EntsetzenBild: Ozan Köse/AFP/Getty Images

Erdogan hatte Kavala in der Vergangenheit mehrmals öffentlich als Hintermann der Gezi-Proteste und Finanzier von Terrorismus bezeichnet. Die Anwälte Kavalas hatten das als unzulässige Einmischung in laufende Gerichtsverfahren kritisiert. Die Regierung ihrerseits verteidigte sich gegen derartige Vorwürfe mit dem Verweis auf die Unabhängigkeit der türkischen Justiz.

Kavala machte sich unter anderem als Förderer von Kulturprojekten einen Namen und setzte sich für die türkisch-armenische Aussöhnung ein. Er gehörte zudem zu den Gründern des türkischen Zweigs der Open Society Foundation des US-Philanthropen George Soros, dem Feindbild vieler Populisten. Die Stiftung fördert demokratische Bewegungen in zahlreichen osteuropäischen Ländern.

Deutliche Kritik aus Deutschland

Die Bundesregierung hat die Verurteilung des türkischen Kulturförderers Osman Kavala zu lebenslanger Haft scharf kritisiert. Das von einem Istanbuler Gericht gefällte Urteil stehe "in krassem Widerspruch zu den rechtsstaatlichen Standards und internationalen Verpflichtungen, zu denen sich die Türkei als Mitglied des Europarats und EU-Beitrittskandidatin bekennt", erklärte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am Montagabend. Berlin erwarte die unverzügliche Freilassung des 64-Jährigen.

Kavala-Urteil: Gespräch mit Julia Hahn

Kulturstaatsministerin Claudia Roth bezeichnete das Urteil als "absurd, in jeder Hinsicht ungerechtfertigt und offenkundig politisch motiviert". Es handele sich um eine "Mischung aus persönlicher Rache an Osman Kavala und einer Kampfansage an jegliche Formen einer möglichen Kultur der Demokratie in der Türkei".

Menschenrechtler protestieren

Menschenrechtsorganisationen prangerten Kavalas Verurteilung als willkürlich an. Das Vorgehen gegen den Kulturmäzen offenbare, "dass rechtsstaatliche Prinzipien in der Türkei nicht zählen", kritisierte die Türkei-Expertin von Amnesty International in Deutschland, Amke Dietert. Die Vorwürfe gegen den Unternehmer seien "konstruiert und die Anklagen gegen ihn politisch motiviert". Er müsse deshalb "sofort freigelassen" werden. Emma Sinclair-Webb von Human Rights Watch sprach vom "schlimmstmöglichen Ergebnis dieses Schauprozesses". 

Die deutsche Autorenvereinigung PEN-Zentrum reagierte entsetzt auf die Verurteilung Kavalas. "Dieser Prozess ist und war ein politisches Verfahren frei von Rechtsstaatlichkeit, mit sogar für türkische Verhältnisse atemberaubend lächerlichen Anklagen", erklärte PEN-Präsident Deniz Yücel. 

kle/ww (dpa, afp, ape, rtre)