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Twitter-Sperre aufgehoben

Senada Sokollu 26. März 2014

Die Twitter-Gemeinde spottet über die Regierung. Rechtsexperten zeigen sich überrascht über den Mut der Richter. Sie äußern außerdem Bedenken zur langfristigen Wirksamkeit des Gerichtsbeschlusses.

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Türkei Twitter Sperrung 21.03.2014 Istanbul
Bild: picture-alliance/dpa

Ein Verwaltungsgericht in Ankara hat die Aufhebung der Twitter-Sperre angeordnet. Der Gerichtsbeschluss zur Aufhebung erfolgte, nachdem verschiedene Beschwerden eingereicht wurden, die eine Aufhebung der Sperre forderten. Zu den Beschwerdeführern gehörte unter anderem die Union der türkischen Anwaltskammern (TBB), die Anwaltskammer in Ankara, sowie Oktay Vural, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), berichtet die türkische Zeitung Hürriyet.

"Wir werden den Gerichtsbeschluss umsetzen. Uns gefällt die Entscheidung des Gerichtes zwar nicht, aber wir werden sie umsetzen", äußerte sich der stellvertretende Premierminister Bülent Arinc zu dem Gerichtsbeschluss.

"Politische Meinung ist am wichtigsten"

Seit dem 17. Dezember ist die türkische Regierung in einen schweren Korruptionsskandal verwickelt. Immer wieder werden Telefonaufzeichnungen im Internet veröffentlicht, die Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und seine islamisch-konservative Partei AKP in der Öffentlichkeit bloß stellen. Die Twitter-Sperre erfolgte am 21. März, kurz nachdem Regierungschef Erdogan damit drohte, Twitter "auszulöschen". Auch Alternativzugänge wie über eine Änderung der DNS-Einstellungen seien türkischen Medienberichten zufolge geblockt worden. Kritiker sehen die Sperre als Versuch der Regierung, die Opposition so kurz vor den Kommunalwahlen am 30. März mundtot zu machen. Die türkische Regierung beschuldigte Twitter der "Gleichgültigkeit" gegenüber türkischen Gerichtsbeschlüssen, Inhalte zu entfernen, die das Recht auf Privatsphäre verletzen. "Twitter stimmte zu, ein oder zwei Inhalte von der Plattform zu entfernen, aber das war nicht genug. Es gibt ungefähr 700 Inhalte, die entfernt werden müssten", wird der türkische Premier von Hürriyet zitiert.

Erdogan auf Wahlkampftour
Bild: Reuters

Es habe Bemühungen gegeben, das Problem gemeinsam mit der türkischen Regierung zu lösen, heißt es seitens Twitter. "Es ist sechs Tage her, seitdem die türkische Regierung den Zugang zu Twitter blockiert hat. Während dieser Zeit haben wir versucht, die Bedenken der türkischen Behörden entgegenzunehmen, sie über unsere Plattform und unsere Arbeitsweise zu informieren, um diese Situation zu lösen", schrieb die für Twitter tätige Juristin Vijade Gadde im offiziellen Twitter-Blog.

Zwei der drei Gerichtsbeschlüsse beziehen sich auf Inhalte, die die Twitter-Vorschriften verletzen und bereits entfernt worden seien, so Gadde. "Die letzte Aufforderung verlangte von uns, einen Account zu beseitigen, der einen früheren Minister der Korruption beschuldigt. Diese Aufforderung bereitet uns Sorgen. Politische Meinungsäußerungen sind äußerst wichtig, vor allem wenn es um einen Korruptionsverdacht gegen die Regierung geht. Daher haben wir das türkische Gericht im Namen unserer Nutzer gebeten, diese Aufforderung zurückzunehmen", so Gadde. Es seien außerdem weitere Klagen an verschiedenen türkischen Gerichten eingereicht worden, die gemeinsam mit einem unabhängigen türkischen Anwalt ausgearbeitet worden seien, um die Twitter-Sperre anzufechten, so Gadde. "Damit schließen wir uns türkischen Journalisten, Rechtsexperten, türkischen Bürgern und der internationalen Gemeinschaft an, eine Aufhebung der Twitter-Sperre zu fordern", schreibt Gadde weiter.

Juristische Bedenken

Unmittelbar nach dem Gerichtsbeschluss häufte sich der Spott über die türkische Regierung auf Twitter. "Wer Massenmedien abschaltet, hat verloren" - "Es wurde Zeit, dass der Größenwahnsinn gestoppt wird" oder "Schlappe für Erdogan" schrieben die Nutzer auf Twitter, die die bisherige Sperre umgangen hatten. "Ob Erdogan das interessiert?" fragte ein weiterer Twitter-User.

Diese Frage stellt sich auch Rechtsexperte Lami Bertan Tokuzlu. "Wir Rechtswissenschaftler haben so einen Gerichtsbeschluss nicht erwartet, da die Regierung durch ein neues Justizgesetz erst kürzlich eine größere Kontrolle über die Justiz erlangt hat. Ich denke nicht, dass die Richter im Moment immun sind gegen jegliche Einmischung der Regierung. Aber es gibt eben einige mutige Richter. Die haben den Fall als Notfall in die Hand genommen und sich dafür entschieden, die Twitter-Sperre zu suspendieren", so Tokuzlu im DW-Gespräch. Einige Richter würden das Risiko aufnehmen, da sie nicht komplett gefeuert werden könnten, erklärt Tokuzlu. "Das schlimmste, was ihnen passieren könnte, wäre eine Versetzung", erklärt er weiter.

Der Rechtswissenschaftler hat Bedenken, was die Aufhebung der Sperre angeht. Tokuzlu verweist auf das erst kürzlich durchgesetzte Internetgesetz. Dadurch kann die Regierung Internetseiten ohne vorherigen Gerichtsbeschluss sperren lassen. "Der Präsident der Telekommunikationsbehörde kann selbst entscheiden, welche Seite er sperren lässt oder nicht. Auch wenn es einen Gerichtsbeschluss gibt, der die Twitter-Sperre aufhebt, kann die Telekommunikationsbehörde nachträglich sämtliche andere Gründe finden, Twitter zu sperren. Es kann also zu weiteren Entscheidungen des Präsidenten der Telekommunikationsbehörde kommen. Das ist sehr problematisch", so Tokuzlu. Trotzdem müsse der jetzige Gerichtbeschluss erst einmal umgesetzt werden - ohne jegliche Einmischung seitens der Regierung.