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Tabuthema Zwangsehe

Vedat Acikgöz6. Mai 2005

Ehrenmorde und Zwangsehen in türkischen Familien: Themen, mit denen drei deutsch-türkische Autorinnen zurzeit erfolgreich sind. Die türkische Zeitung Hürriyet gibt sich empört: Die drei Frauen schürten nur Vorurteile.

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Türkische Mädchen in der Kölner Discothek BodrumBild: dpa

Hürriyet - "Freiheit" - ist die auflagenstärkste türkische Tageszeitung in Deutschland. Nach eigenen Angaben werden 71.000 Exemplare in ganz Europa verkauft, 52.000 allein in Deutschland. Jeden Tag greift Hürriyet auf fünf Extra-Seiten, die in der Türkei selbst nicht erscheinen, Themen aus Deutschland und Europa auf. In letzter Zeit wirft Hürriyet an dieser Stelle den Autorinnen Seyran Ates, Necla Kelek und Serap Cileli in harschem Tonfall vor, Vorurteile über die türkisch-muslimische Community in Deutschland zu schüren, um ihre Bücher besser verkaufen zu können.

Stillhalte-Politik

Die drei Autorinnen sorgten in letzter Zeit für viel Furore, weil sie über Ehrenmorde und Zwangsverheiratungen in türkischen Familien in Deutschland schrieben. Die Autorinnen sagen, Hürriyet greife sie wegen ihres Engagements persönlich an, und fühlen sich einer Kampagne ausgesetzt. "Insgesamt kann ich mir das so erklären, dass die Hürriyet zu einer politischen Ausrichtung gehört, die gerne eine Stillhalte-Politik betreibt und nicht das Unschöne zeigen will - damit aus ihrer Sicht kein 'falsches Bild' von der türkischen Community entsteht", sagt Rechtsanwältin Seyran Ates, die häufig zwangsverheiratete türkische Mandantinnen vertritt. Dabei gehe es Hürriyet aber offensichtlich auch nicht darum, ein wirklich authentisches Bild dieser Community wiederzugeben, sagt die Rechtsanwältin.

Angst vor Übergriffen

Seyran Ates, die selbst aus einer türkischen Familie stammt, engagiert sich schon seit Jahren für die Rechte muslimischer Frauen in Deutschland. Sie wurde, so erzählt sie, in der Vergangenheit schon oft wegen ihrer Arbeit bedroht. Seit den Artikeln in der Hürriyet bekomme sie erneut Drohungen. "Keine direkten Bedrohungen, aber ich bekomme durch Mund-zu-Mund-Propaganda zugetragen, dass es gewisse Männer gibt, auch linke progressive, die der Ansicht sind, man müsse mir 'eins aufs Maul hauen', weil ich eben über bestimmt Missstände spreche und nach der Ansicht der Hürriyet ja verallgemeinern würde", sagt Seyran Ates.

"Wir Türken können sowas nicht sagen!"

Ali Gülen, Leiter der Europa-Ausgabe von Hürriyet, wehrt sich gegen diese Vorwürfe. Hürriyet schreibe objektiv und für die Bedrohungen trage seine Zeitung keine Verantwortung: "Ein Journalist macht nur seine Nachrichten, und keiner wird nur deshalb bedroht, weil eine Zeitung über etwas berichtet. Wenn sie von anderen bedroht wird, hat das wahrscheinlich etwas mit den Lesern der taz zu tun", verteidigt sich Gülen.

Der taz habe die Autorin gesagt, dass alle türkischen Mädchen vor der Heirat absurde sexuelle Beziehungen eingingen. "Wir Türken können so etwas nicht sagen! Aber sie erzählt solche Sachen ohne Hemmungen! Wir haben gesagt: Sie solle dies nicht verallgemeinern. Die Berichte, die wir geschrieben haben, sind Eins-zu-Eins-Übersetzungen von den Berichten in deutschen Zeitungen." An Drohungen glaubt Gülen nicht. "Wenn es so etwas gibt, übertreibt sie, um Eigenwerbung zu machen und die Verkaufszahlen für ihre Bücher zu steigern", sagt er.

Seyran Ates hatte in einem Interview mit der taz tatsächlich Schockierendes erklärt: Viele türkische Mädchen ließen sich auf Analverkehr ein, um ihre Jungfräulichkeit beizubehalten. Wörtlich sagte sie in dem Zeitungsinterview: "Was mich empört, ist, dass es nur die Mädchen trifft. Um die muslimischen Jungs geht es nie - immer nur um die Keuschheit der Mädchen. Gerade sie brauchen Wissen um Sexualität."

Kritik an der deutschen Wahrnehmung

Hürriyet-Vertreter Gülen kritisiert, dies seien unzulässige Verallgemeinerungen. Deshalb sei es Aufgabe seiner Zeitung, dagegen zu kämpfen. Vor allem intellektuelle türkische Frauen regten sich über Ates' Verallgemeinerungen auf, behauptet Gülen. Die Verallgemeinerungen führten dazu, dass deutsche Medien einseitige Berichte über Türken produzierten. Dies sei eine Form von "kulturellem Rassismus".

Seyran Ates hält dagegen, Themen wie Ehrenmorde oder Zwangsheirat dürften nicht länger tabuisiert werden. Sonst werde sich die Gesellschaft nie ändern. Doch auch Ates ist mit der deutschen Wahrnehmung der Debatte über Zwangsehen und Ehrenmorde nicht in allen Punkten einverstanden. So betont sie, dass Zwangsehen nichts mit dem Islam an sich zu tun hätten, wie oft fälschlich behauptet werde. Sie hätten aber sehr wohl damit zu tun, wie der Islam von einigen Muslimen verstanden werde.