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Politik

Exiljournalisten in Deutschland

Anne Höhn
3. Mai 2021

Der syrische Journalist Anas Khabir war kurz davor, seinen Job aufzugeben. In Syrien herrschte Krieg. Dann floh Khabir nach Deutschland. Kann er vom Exil aus weiter für die Themen seines Heimatlandes streiten?

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syrischer Flüchtling Anas Khabir
Anas Khabir in einem Flüchtlingslager mit syrischen Kindern an der Grenze zur TürkeiBild: Privat

Anas Khabir erinnert sich noch gut an den Moment, in dem er nicht mehr als Journalist arbeiten wollte: Die Proteste in seinem Heimatland Syrien weiteten sich zu einem Bürgerkrieg aus, die Gewalt zwischen den Truppen des Machthabers Baschar al-Assad und den Oppositionellen eskalierte.

"Man hatte als Journalist drei Möglichkeiten: Entweder zu Hause zu bleiben, raus zu gehen, um mit der Kamera aufzunehmen was draußen passiert, oder in Krankenhäusern zu helfen”, erinnert er sich im Gespräch mit der DW. "Ich war dabei in einem Krankenhaus zu filmen, als ein Mann mit seinem schwer verletzten Onkel ankam. Er war völlig verzweifelt. Um ihn zu beruhigen, habe ich so getan, als sei ich ein Arzt", erzählt er. "Irgendwann habe ich angefangen zu weinen, ich konnte nicht mehr und ich hatte das Gefühl, alles, was ich als Journalist tue, ist so sinnlos." Acht Jahre ist das jetzt her.

Khabir lebte und arbeitete zu diesem Zeitpunkt im Gebiet Idlib, das von Rebellen dominiert war und von verschiedenen Akteure immer wieder versucht wurde, einzunehmen. "Jede Partei und jede Gruppierung hat eine eigene Strategie. Wenn du nicht mitmachst, bist du der Feind", fasst Khabir seinen früheren journalistischen Alltag zusammen. Doch zunächst entschied er sich dazu, zu bleiben.

Syrischer Flüchtling Anas Khabir - er ist Journalist
Anas Khabir in den Trümmern von IdlibBild: Privat

Dann aber wurden zwei seiner Kollegen während ihrer Arbeit getötet. "Unmittelbar danach hatte ich das Gefühl, dass auch ich in Lebensgefahr bin. Du weißt, dass du der nächste bist, obwohl dir niemand ein direktes Zeichen gibt," erzählt Khabir. Er floh. Erst in die Türkei, wo er weiter für syrische Medien über das Schicksal seiner Landsleute, die vor dem Krieg flüchten, berichtete. Nach drei Jahren geht er nach Deutschland und stellt hier er einen Asylantrag.

Berichte aus dem Exil

Es gibt keine genaue Statistik darüber, wie viele Exiljournalisten in Deutschland leben und arbeiten. Bei deutschen Medien einen Job zu finden, ist als Exiljournalist extrem schwer. Der Markt ist hart umkämpft und in der Regel wird fließendes Deutsch verlangt. 

Die Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG) gibt auf Nachfrage an, seit Beginn des Jahres 2020 insgesamt 60 Journalisten im deutschen Exil aktiv durch Maßnahmen wie der Beratung im Asylverfahren, Unterstützung bei Anwaltskosten oder Weiterbildungen und Sprachkurse zu unterstützen. Mit weiteren stehen sie in Kontakt. Wie viele das genau sind, darüber führt die Organisation nicht Buch.

Journalismus unter Lebensgefahr

Es gibt zahlreiche Initiativen, die Exiljournalisten helfen, doch das Angebot deckt nicht die Nachfrage. Eins dieser Angebote ist die "Amal, Berlin!". Die Internetplattform wird von der Evangelischen Journalistenschule Berlin getragen. Exiljournalisten machen hier Nachrichten aus und über Deutschland - auf Arabisch und Farsi. 

Neues Land, neue Themen

Khabir sitzt während des Gesprächs mit der DW im Büro von "Amal, Berlin!", er hat hier eine Stelle als Journalist gefunden. Obwohl Khabirs Erfahrungen in Syrien schon Jahre zurückliegen, holt er während des Interviews mehrfach tief Luft. Mehrmals bricht er ab, setzt neu an."Ich habe lange nicht daran gedacht”, erklärt er. 

Khabir ist einer von 14 Journalisten, die bei "Amal, Berlin!" eine neue berufliche Heimat gefunden haben. Julia Gerlach hat die Internetplattform mitbegründet. Die Journalistin spricht fließend Arabisch, sie war jahrelang Ägypten-Korrespondentin für die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau" in Kairo. Die Idee zu "Amal, Berlin!" entsteht 2015, als viele Geflüchtete, besonders aus Syrien, nach Berlin kommen, darunter viele Journalisten. 

"So sind wir auf die Idee gekommen, diese beiden Bedürfnisse zusammenzubringen und eine lokale Nachrichten-Plattform zu gründen, wo Journalistinnen im Exil einen guten Arbeitsplatz finden können und zugleich die neu Angekommenen mit professionellen Berichten von Journalisten versorgt werden können”, erklärt Gerlach. Doch auch hier sind die Plätze begehrt. Jeden Monat bekommen Gerlach und ihre Kollegen fünf Bewerbungen, annehmen können sie aber niemanden mehr.

Berichten aus dem Exil

Dabei bietet "Amal, Berlin!" etwas, was nur wenige Medien in Deutschland bieten können: Die Exiljournalisten können über ihre Themen berichten. Wenn Exiljournalisten einen Job bekommen, müssen sie sich thematisch oft umstellen. Auf einmal berichten sie nicht mehr über Krieg und Verfolgung, sondern über den Wahlkampf auf dem Marktplatz oder den Streit um eine neue Umgehungsstraße. 

Khabir berichtet weiterhin kritisch über Themen im Zusammenhang mit Syrien. Beispielsweise war er beim Prozess um einen ehemaligen Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes dabei, der in Deutschland für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurde.

Khabir hat Zeugen interviewt, die aus Angst vor der Rache der syrischen Regierung nicht mit der deutschen Polizei kooperieren wollen. Die Zeugeninterviews leitete er an die deutschen Behörden weiter. "Vielleicht hilft es etwas", sagt er. "Es ist schwierig für Pressefreiheit in Syrien zu kämpfen, wenn du hier in Deutschland lebst. Ich glaube aber, dass ich meine Pflicht getan habe."

Infografik Rangliste zum Tag der Pressefreiheit 2021 DE ***SPERRFRIST: 20.4.2021 04:00 CEST!!!***

Pressefreiheit nimmt weltweit ab

Khabir ist froh, dass er von Deutschland aus seinem Beruf nachgehen kann. Und das, obwohl es seit dem Jahr 2013 noch nie so wenige Länder gab, in denen "Reporter ohne Grenzen" die Lage der Pressefreiheit nur mit einem "gut" bewertete. Auch Deutschland rutschte in diesem Jahr in der Rangliste der Pressefreiheit, die ROG regelmäßig herausgibt, ab. Aufgrund der vielen Übergriffe auf Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen wurde die Lage der Pressefreiheit in Deutschland von "gut" auf nur noch "zufriedenstellend" herabgestuft. Ein "deutliches Alarmsignal", laut ROG.

Für Khabir liegt seine journalistische Zukunft trotz allem hier: "Ich bin nach Deutschland gekommen, weil Deutschland die unabhängige Presse fördert. Schon unter diesen Bedingungen zu arbeiten, bedeutet, dass ich einen Teil meines Traums erfüllt habe."