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Taiwans Klima-Alleingang

Klaus Bardenhagen30. November 2015

Taiwan darf in Paris nicht mit am Tisch sitzen und hat sich trotzdem Klimaziele verordnet. Dabei ist es abhängig von billiger Energie. Damit die Pläne nicht nur Lippenbekenntnis bleiben, muss viel passieren.

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Petrochemisches Werk des Konzerns Formosa Plastics: Taiwan hat noch viel Schwerindustrie (Foto: Klaus Bardenhagen)
Bild: Klaus Bardenhagen

Wer durch die Straßen von Taipeh wandert, gewinnt nicht den Eindruck, dass der Klimawandel in Taiwan als Problem ernst genommen wird. Unzählige benzinbetriebene Motorroller pusten Abgase in die Luft. Im Stop-and-Go schaltet an roten Ampeln so gut wie niemand den Motor ab, auch wenn der Countdownzähler mehr als 90 Sekunden anzeigt. Benzin kostet keine 60 Cent pro Liter. An den Hausfassaden hängen ineffiziente alte Klimaanlagen, oft pro Zimmer eine. Die warme Luft, die sie im Dauerbetrieb nach außen pusten, heizt zusammen mit den Verkehrsabgasen den Betondschungel so auf, dass es in Taipeh stets einige Grad wärmer ist als im Umland und die Klimaanlagen nur noch stärker aufgedreht werden. Häuser und Fenster sind kaum isoliert, die Sonne knallt auf wackelige Wellblech-Dachaufbauten statt auf Solarzellen.

Energiesparen scheint hier ein Fremdwort zu sein. Tatsächlich stand jede Form von Umweltschutz in Taiwans Wirtschaftsboom lange ganz hinten in der Prioritätenliste. Das änderte sich erst um die Jahrtausendwende, als die Inselrepublik sich zu einer der 20 größten Volkswirtschaften der Welt mit hohem Lebensstandard emporgearbeitet hatte und ihren heute gut 23 Millionen Bürgern demokratische Mitsprache einräumte.

Die Sünden der Vergangenheit

Heute bemüht Taiwan sich, die Sünden der Vergangenheit wieder wettzumachen. Wie an vielen Orten der Welt ist es ein Kampf gegen Bequemlichkeit, Kurzsichtigkeit und die Verlockung, sich auf Kosten der Natur und nachfolgender Generationen weiter die Taschen zu füllen. Wie unter einem Brennglas lässt sich im dicht bevölkerten, hoch industrialisierten und rohstoffarmen Taiwan beobachten, welche Herausforderungen überall auf der Welt zu bewältigen sind.

Benzin ist Trumpf: 14 Millionen Motorroller fahren in Taiwan, fast alle mit Verbrennungsmotor
Treffen in Taipeh: Hans-Joachim Schellnhuber und Taiwans Umweltminister Wei Kuo-yenBild: Klaus Bardenhagen

“Einige Staaten müssen im Kampf gegen den Klimawandel eine Vorreiterrolle übernehmen. Ich beglückwünsche Taiwan dafür, dass es dabei ist.” Englisch mit deutschem Akzent auf einer Pressekonferenz in Taipeh. Angereist ist Professor Hans Joachim Schellnhuber, Gründer des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und als Mitglied des UN-Weltklimarats auch Friedensnobelpreisträger. Von ihm erhofft Taiwans Regierung sich Legitimation für ihre neuen Klimaziele. Neben Schellnhuber steht Umweltminister Wei Kuo-yen, der noch einmal zusammenfasst, welche Ziele Taiwan nach jahrelangen Anläufen Mitte 2015 endlich in Gesetzesform gegossen hat: Eine Halbierung des Klimagas-Ausstoßes bis 2050, gemessen am Wert von 2005. Und schon bis 2030 soll die Menge um 20 Prozent gedrückt werden.

Verantwortlich für ein Prozent der Klimagase

Bei nur 23 Millionen Einwohnern scheint es für den Klimawandel irrelevant, was auf dieser Insel passiert. Doch Lebensstil und vor allem die Industrie sorgen dafür, dass Taiwan im Alleingang immerhin etwa ein Prozent der globalen Treibhausgase in die Atmosphäre pustet. Mehr als zehn Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr - das liegt unter dem Wert für US-Amerikaner oder Australier, aber deutlich über dem, was jeder Chinese oder Europäer produziert.

Erst Lippenbekenntnisse, dann weiter so wie immer – dieses Muster ist auch in Taiwan nicht unbekannt. Was sind solche Zusagen wert? “Wenn eine Regierung erst einmal eine Zahl auf den Tisch legt, steht sie in der Öffentlichkeit blöd da, wenn sie das Ziel nicht erreicht”, sagte Hans Joachim Schellnhuber bei seinem Taipeh-Besuch der Deutschen Welle. “Verglichen etwa mit Europa sind diese Ziele nicht sonderlich ehrgeizig, aber sie sind auch nicht harmlos.”

Atomkraftwerk und Windrad in der Nähe eines Badestrands an Taiwans Südspitze (Foto: Klaus Bardenhagen)
Baden vor ungewöhnlicher Kulisse - mit Blick auf Windrad und ein Atomkraftwerk an Taiwans SüdspitzeBild: Klaus Bardenhagen

Verantwortungsbewusstsein demonstrieren

Außerdem liegt es Taiwan besonders am Herzen, international als Klima-Musterschüler dazustehen. Weil es aufgrund der chinesischen Machtansprüche kein UN-Mitglied sein kann, ist es von der Mitarbeit im UN-Klimarat IPCC ausgeschlossen. Auch in Paris werden keine Taiwaner mit am Tisch sitzen. Alle Verpflichtungen unternimmt man also auf eigene Faust, mit dem Hintergedanken, der Internationalen Gemeinschaft Verantwortungsbewusstsein zu demonstrieren. Aus ähnlichen Gründen übernahm und ratifizierte Taiwan vor einigen Jahren die UN-Menschenrechtsabkommen.

Bei Klimaforscher Schellnhuber, der auch Präsident Ma zum Gespräch traf, hat das Eindruck hinterlassen: “Wenn ein Land auf globaler Ebene Verantwortung übernehmen will, sollte das auch honoriert werden”, sagte er in Taipeh. Dass Taiwan noch nicht einmal Beobachterstatus im Klimarat habe, sollte sich ändern. “Aber ich bin kein Politiker oder Diplomat, ich kann das nur weitergeben.”

Abhängig von fossilen Brennstoffen

Will Taiwan seine Klimaziele ernsthaft erreichen, steht es vor gewaltigen Herausforderungen. Noch ist man komplett abhängig vom Import fossiler Energieträger: Kohle, Gas, Öl. Weniger als vier Prozent der erzeugten Elektrizität stammt auf erneuerbaren Quellen – und dabei tragen Wasserkraftwerke, die teilweise aus den 1930er Jahren stammen, mehr bei als Solar- und Windenergie zusammen.

Motorroller auf einer mehrspurigen Straße in Taiwan (Foto: Klaus Bardenhagen)
Hans-Joachim Schellnhuber und Taiwans Umweltminister Wei Kuo-yen (Foto: Klaus Bardenhagen)Bild: Klaus Bardenhagen

Atomenergie macht knapp ein Fünftel aus, doch Taiwans drei bestehende Kernkraftwerke stehen kurz vor dem Ende ihrer Laufzeit, und eine fast fertig gebauter vierter Doppelreaktor wurde eingemottet, weil die AKW-Skepsis in der Bevölkerung nach der Fukushima-Katastrophe im benachbarten Japan zu stark wurde.

Probleme für Wind- und Solarstrom

Für Windkraftanlagen finden sich an Land nicht ausreichend geeignete Plätze. Offshore-Projekte erscheinen vielversprechender. Auch deutsche Unternehmen wie Siemens sind mit im Boot.

Taiwans Solarindustrie steht vor einem besonderen Problem: International haben ihre Module mehr als 20 Prozent Marktanteil, im eigenen Land sind sie kaum gefragt. Das liegt vor allem daran, dass der staatliche Energieversorger Taipower die Strompreise auf Anweisung der Politik künstlich niedrig hält und keine angemessenen Einspeisetarife für Solarstrom zahlt. Hersteller appellierten kürzlich an die Regierung, Hürden abzubauen und brach liegendes Ackerland für Solaranlagen zu öffnen.

Frau mit wehenden Haaren vor einem Windrad im Windpark auf der Penghu-Inselgruppe (Foto: Klaus Bardenhagen)
Windräder aus deutscher Produktion findet man im Windpark auf der Penghu-InselgruppeBild: Klaus Bardenhagen

Energieeffizienz ist der Schlüssel

Vor allem müssten Taiwans Verbraucher und Industrie ernsthaft beginnen, Energie einzusparen. Mehr Effizienz wird aber kaum durchsetzbar sein, ohne Abschied zu nehmen von billigem Strom und Benzin. Dass man fossile Energien nach wie vor subventioniert und zugleich Klimaziele predigt, sieht auch Hans Joachim Schellnhuber als Widerspruch. “Es fehlt noch ein Gesamtkonzept. Man könnte vieles tun, viel wird diskutiert, aber die Konzertierung des Ganzen muss von der Politik ausgehen.”

Genau das soll nun endlich passieren, verspricht Umweltminister Wei: “Alle Ministerien - Landwirtschaft, Verkehr, Wirtschaft - werden mitmachen und Vorschläge auf den Tisch legen.” Auch ein System für den Handel von Emissionsrechten soll eingeführt werden. Dass sich Wandel vor allem über den Geldbeutel herbeiführen lässt, zeigt Taiwans Elektronikindustrie. Die wichtige Branche, deren Energiebedarf im Gegensatz etwa zur Chemieindustrie ständig zulegt, macht sich Sorgen über globale CO2-Strafzölle. Falls Taiwan als Klimasünderland gilt, weil der Strom vor allem aus fossilen Quellen stammt, wären solche Zahlungen schlecht für den Export. Mehr solch langfristiges Denken bei Politik, Wirtschaft und Verbrauchern ist nötig, damit Klimaziele keine Lippenbekenntnisse bleiben.