1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Proteste gegen "Maulkorb" für Richter

19. Dezember 2019

Die Justizreform der polnischen Regierung sorgt weiter für Streit. Die Demonstranten befürchten, die nationalkonservative Regierung wolle kritische Richter mundtot machen. Es soll nicht bei einem Protestabend bleiben.

https://p.dw.com/p/3V3Hj
Demonstranten halten eine viele Meter lange polnische Fahne als Banner, dazwischen auch EU-Flaggen (Foto: AFP)
Proteste in Warschau gegen die Justizreform Bild: AFP/Radwanski

"Freie Gerichte" und "Wir werden siegen" riefen die Menschen, die sich am Abend vor dem Gebäude des Parlaments in Warschau versammelt hatten. In rund hundert polnischen Städten gab es ebenfalls Proteste gegen einen Gesetzentwurf zur Disziplinierung von Richtern. Laut der staatlichen polnischen Nachrichtenagentur PAP demonstrierten in Krakau 2500 Menschen, in Posen (Poznan) waren es laut Polizei 1500. Es gab keine Angaben zur Teilnehmerzahl in der Hauptstadt Warschau.

Zu den Protesten aufgerufen hatte das "Komitee zur Verteidigung der Demokratie" - ein breites Bündnis aus Bürgerinitiativen, Menschenrechtsaktivisten und Richterorganisationen. Auch die größte Oppositionspartei, die liberalkonservative Bürgerplattform (PO), unterstützte den Aufruf.

Demonstranten mit zugeklebten Mündern (Foto: Picture Alliance)
Unbequeme Richter mundtot zu machen, ist nach Ansicht dieser Demonstranten das Ziel der RegierungBild: picture-alliance/AP Photo/C. Sokolowski

Der Streit um die Justizreformen der nationalkonservativen Regierungspartei PiS schwelt schon seit mehreren Jahren. Die EU-Kommission hat wegen der strittigen Reformen bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierung in Warschau eröffnet und Klagen beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) erhoben.

Keine Kritik erwünscht

Aktuell befeuert wird die Debatte durch einen neuen Gesetzentwurf, den die PiS-Fraktion in der vergangenen Woche ins Parlament eingebracht hatte. Wenn Richter die Legalität oder die Entscheidungskompetenz eines anderen Richters, eines Gerichts oder einer Kammer infrage stellen, dann müssen sie laut Entwurf künftig mit Geldstrafen, Herabstufung oder sogar mit Entlassung rechnen. Auch dürfen sie sich nicht politisch betätigen und müssen angeben, in welchen Berufsorganisationen und Bürgerinitiativen sie aktiv sind.

PiS-Gegner und Richterverbände sprechen von einem "Maulkorb-Erlass". Sogar der wissenschaftliche Dienst des Parlaments, der die Rechtmäßigkeit von Gesetzentwürfen analysiert, warnte, der Entwurf verletze die juristische Unabhängigkeit und übergehe den Vorrang von EU-Recht.

Eine Menschenmenge mit polnischen und EU-Flaggen (Foto: Picture Alliance)
Auch in Danzig zog es viele Menschen angesichts des Gesetzesvorschlags auf die StraßeBild: picture-alliance/NurPhoto/M. Fludra

Zunehmend stellen polnische Richter die Rechtmäßigkeit der Justizreformen infrage. Kürzlich hatte das Oberste Gericht geurteilt, die neue Disziplinarkammer verstoße gegen europäisches und polnisches Recht. Denn schon der Landesjustizrat, der die Disziplinarkammer besetzt hatte, sei nicht ausreichend unabhängig von Parlament und Regierung. Ähnlich hatte es zuvor der Europäische Gerichtshof bewertet, der die Sache dann an das Oberste Gericht Polens zurückverwiesen hatte.

Was folgt?

Das Urteil wirft weitere Fragen auf: Müssten die 500 Richter abgesetzt werden, die der Landesjustizrat in den vergangenen zwei Jahren ernannt hatte? Sind deren Urteile überhaupt rechtskräftig? Viele Rechtsexperten fürchten, dem polnischen Justizsystem droht bei der Klärung dieser Fragen ein großes Chaos.

Die Regierungspartei PiS will bereits an diesem Donnerstag in erster Lesung über die Novelle beraten. Die Organisatoren der Demonstration kündigten an, die Proteste würden am Vormittag fortgeführt.

ust/rb (dpa, afp, ap)