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Tear down this wall

Peter Stützle9. Juni 2007

Es kommt selten vor, dass man zu einer Ausstellung geht, die es noch gar nicht gibt. Es kommt auch selten vor, dass ein Politiker eine Rede hält, an die sich die Menschen zwanzig Jahre später noch erinnern.

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Themenbild Fernschreiber Berlin
Bild: DW

"Tear down this wall", lautet der Titel einer Ausstellung in Berlin. Hinter dem Schild, auf dem das steht, sieht man eine Wand. Eine leere Wand. Sie soll aber nicht abgerissen werden. Der Satz bezieht sich vielmehr auf eine Mauer. Die Berliner Mauer. Die steht gar nicht mehr. Aber als der Satz fiel, da stand sie noch. Für immer, wie die Staatsführung der DDR damals meinte. Oder zumindest noch für sehr lange, wie die meisten Westdeutschen damals dachten.

Gesagt hat den Satz der amerikanische Präsident Ronald Reagan am 12. Juni 1987. Vor zwanzig Jahren also, und deshalb soll demnächst eine Ausstellung im Berliner Alliierten-Museum daran erinnern. Und weil das Museum nicht nur Ausstellungsstücke sammelt, sondern auch Zeitzeugen-Gespräche, hat es George Schultz eingeladen. Der war amerikanischer Außenminister, damals, als Ronald Reagan zu den West-Berlinern sprach, in seinem Rücken die Berliner Mauer und dahinter das Brandenburger Tor, und den damaligen sowjetischen KP-Chef Michail Gorbatschow aufforderte, die Mauer abzureißen: "Mister Gorbatschov, tear down this wall!"

Nun, zwanzig Jahre später, im Alliierten-Museum auf einem ehemaligen amerikanischen Kasernengelände an der Clay-Allee im Berliner Südwesten: Langsam, mit kleinen Schritten geht George Schultz vorbei an einem jener Transportflugzeuge, die West-Berlin während der sowjetischen Blockade 1948/49 aus der Luft versorgten, und in den Saal, in dem einst GI’s Filme guckten. Zwischen amerikanischen, britischen und französischen Exponaten erinnert sich der Ex-Außenminister an das politische Umfeld, in dem Ronald Reagan seine aufsehenerregende Rede hielt: "Das war eine Phase, in der die Dinge aufzubrechen begannen", sagt Schultz. "Es war aufregend. Wir hatten zuvor das amerikanisch-sowjetische Treffen in Reykjavik, das nicht so sehr damals, aber sicherlich heute im Rückblick als das produktivste und wichtigste Gipfeltreffen aller Zeiten anzusehen ist."

Den 86-Jährigen strengen öffentliche Auftritte an, aber geistig ist er sehr präsent. In Reykjavik sei zwar noch keine endgültige, aber doch eine grundsätzliche Einigung über die Abschaffung der atomaren Mittelstreckenraketen in Europa und auch über die Halbierung der Zahl interkontinentaler Waffen erzielt worden. Und "zum ersten mal haben die Sowjets formal zugestimmt, dass Menschenrechte ein legitimer Punkt auf unserer Tagesordnung sind", erinnert sich Schultz. Wenige Monate nach diesem Treffen mit Michail Gorbatschow in Island stand Ronald Reagan dann vor dem Brandenburger Tor in Berlin und rief: "Mister Gorbatschov, tear down this wall." Eine provokative Aussage, wie Schultz eingesteht, denn: "Die Dinge waren im Umbruch. Deshalb meinten viele: Warum in dieser Wunde rühren? Aber weil ich Ronald Reagan gut kannte, sagte ich: Regt euch nicht auf, so ist er halt!" Gorbatschow selbst, meint Schultz, habe Reagan damals schon gut genug gekannt, um nicht überrascht zu sein.

George Schultz ist überzeugt, dass sich Reagans Politik - und damit auch seine - vor der Geschichte als richtig erwiesen hat. Nach der Entspannungspolitik, die nicht mehr auf einen Systemwechsel im Osten gesetzt habe, sei Reagan zur Nachkriegspolitik des Containment, der militärischen Eindämmung, zurückgekehrt. Deren Grundidee beschreibt Schultz so: "Wenn wir, die Alliierten, die Sowjetunion lange genug eindämmen können, wird sie das veranlassen, nach innen zu gucken. Und wenn sie das tun, wird ihnen nicht gefallen, was sie sehen." Aus diesem Ansatz heraus sei Reagans damalige Rede in Berlin zu verstehen. Wer einen Systemwechsel nicht für möglich halte, vermeide Provokationen. Ronald Reagan aber habe den Wechsel für möglich gehalten - daher seine starken Worte, damals, vor dem Brandenburger Tor.

Man kann es auch anders sehen, kann den Anteil der Entspannungspolitik der Sechziger und Siebziger Jahre am Zusammenbruch des Ostblocks höher bewerten. Aber selten hat man die Gedankenwelt hinter der Politik Ronald Reagans so gut erklärt bekommen wie von dem alten George Schultz in dem alten amerikanischen Kino in Berlin.