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Tee für Taiwans Opposition

11. Mai 2011

Das Teehaus Wistaria in Taipeh war in den achtziger Jahren ein Treffpunkt für die politische Opposition Taiwans. Heute geht es dort ruhiger zu. Das Wistaria ist ein fester Bestandteil von Taiwans jüngerer Geschichte.

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Blick in das Teehaus Wistaria in Taipeh. Foto: DW/Mathias Bölinger
Teehaus Wistaria: Ein ruhiger Ort in der quirligen Metropole TaipehBild: DW

Wenn man heute das Teehaus Wistaria betritt, dann hat man nicht den Eindruck, an einen subversiven Ort zu kommen. Leise dringt Musik aus den Lautsprechern. Die Gäste unterhalten sich in gedämpfter Lautstärke oder beugen sich über Häppchen, die auf Tabletts gereicht werden. Auf den Tischen stehen Stövchen mit kochendem Wasser, vor den Gästen Holztabletts mit kleinen Teekannen und Trinkschälchen.

Doch Chow Yu erinnert sich noch an die Zeiten, als die Insel Taiwan noch ein Ort war, an dem gegen Gegner der autoritär regierenden Kuomintang-Partei hart durchgegriffen wurde und jeder, der abweichende Meinungen vertrat, Angst haben musste, ins Visier der Staatssicherheit zu geraten. "Viele haben sich gar nicht hierher getraut. Besonders Geschäftsleute haben uns gemieden. Sie hatten Angst, dass sie ins Visier des Geheimdienstes zu geraten: Angst, dass man ihre Personalien oder ihre Autonummern aufschreibt."

Treffpunkt für Aktivisten

Portrait von Chow Yu, dem Besitzer des Teehauses. Foto: DW/Mathias Bölinger
Inhaber Chow Yu stammt aus einer liberalen FamilieBild: DW

Das graue Haar fällt Chow Yu in die Stirn, der graue Schnurrbart ist zu einem schmalen Streifen zurechtgestutzt. Als er vor 30 Jahren sein Teehaus eröffnete, sollte es vor allem ein Treffpunkt für alle sein, die in der Öffentlichkeit nicht zu Wort kamen: Intellektuelle, Untergrundliteraten, Menschenrechtsaktivisten und Oppositionspolitiker.

Chow Yu hantiert mit dem Teeservice, wärmt die Tassen mit kochendem Wasser an, macht einen ersten Aufguss, den er direkt in einen hölzernen Behälter ausschüttet. "Es gibt bei uns nicht diese Strenge wie bei der japanischen Teetradition, nicht dieses religiöse Zeremoniell", erzählt er, und macht einen kleinen Exkurs in die Kulturgeschichte: "Die chinesische Teekultur kommt aus der Tradition des Taoismus. Die Konfuzianer legten Wert auf die Etikette und das Gesellschaftliche, aber die Taoisten schätzten die geistige Freiheit. Deshalb steht unsere Teekultur für das phantasievolle, das Romantische. Tee trinken bedeutet freien Gedankenaustausch und vertrauensvolle Gespräche."

Ganze Nachmittage saßen Aktivisten und Künstler auf den Tatami-Matten des Teehauses, gossen die Teeblätter ein ums andere Mal auf und redeten sich die Köpfe heiß. Der Journalist Antonio Chiang, der bis heute unter dem Pseudonym Sima Wenwu schreibt, war damals Mitbegründer mehrerer oppositioneller Untergrundmagazine und Stammgast im Wistaria. Oft hätten sie ihre Redaktionssitzungen dort abgehalten. Aber nur, nachdem sie den Laden gründlich inspiziert hatten: "Es gab dort immer viele Spione. Wenn es dort zu viel los war, dann sind wir woanders hingegangen."

Liberale Tradition

Chow-Teh-Wei morgens mit der Zeitung im Hof des Hauses Foto: DW/Mathias Bölinger
Erinnerung an "wilde"Jahre: Bilder an der WandBild: DW

Die Freiheit, ein Teehaus für die Opposition einzurichten, konnte Chow Yu sich nehmen, weil er der Sohn eines bekannten Intellektuellen war. Chow Teh-wei war altgedientes Kuomintang-Mitglied, war Anhänger der Österreichischen Schule um Friedrich August von Hayek - eine wirtschaftsliberale Denkrichtung. Er war seit den zwanziger Jahren Kuomintang-Mitglied und damit in Taiwans Nachkriegsgesellschaft ein geachteter Mann, auch wenn er als Liberaler mit der autoritären und dirigistischen Politik des damaligen Partei-Führers Chiang Kai-shek wenig am Hut hatte.

Nach seiner Flucht vor den Kommunisten aus Festlandchina bot ihm die Regierung 1949 eine Professur an der Universität Taiwan an und stellte ihm außerdem ein Haus im Universitätsviertel zur Verfügung. Ein Holzhaus aus der Japanischen Kolonialzeit mit einer großen Blauregen-Glyzinie im Hof, die dem Teehaus seinen Namen gegeben hat. Wistaria ist der lateinische Name für Glyzinie. Schnell wurde das Teehaus zu einem der Treffpunkte der Intellektuellen in Taiwan. Als Chow Teh-wei später nach Amerika emigrierte, übernahm der Sohn das Haus - und blieb der liberalen Tradition des Hauses treu.

Das Wistaria wurde zum Treffpunkt für Oppositionelle - sehr zum Ärger der Regierung. Die wollte ihn zunächst verklagen. "Sie kamen an und erklärten mir, dies sei ein Haus der Regierung, darin dürfe man kein Teehaus betreiben", erinnert er sich. Da habe ich mit einer Gegenklage geantwortet. Schließlich haben wir selbst in den sechziger Jahren einen Anbau hier errichtet - auf unsere Kosten." Hätte man ihn ausquartiert, wäre eine Räumung also faktisch Enteignung gewesen, so sein Argument.

Heute kommen Touristen

An den Wänden hängen klassische chinesische Malereien Foto: DW/Mathias Bölinger
Japanische Touristen schätzen das Ambiente des TeehausesBild: DW

Der Prozess versandete schließlich, als in Taiwan 1987 das Kriegsrecht aufgehoben wurde und die Demokratisierung begann. Heute gibt es niemanden mehr, der Chow Yu verbieten möchte, sein Teehaus zu betreiben. Von 2000 bis 2008 bildeten die früheren Oppositionellen von der Demokratischen Fortschrittspartei selbst die Regierung. Viele ehemalige Stammgäste wurden plötzlich zu wichtigen Entscheidungsträgern.

Der Journalist Sima Wenwu etwa fand sich im Nationalen Sicherheitsrat wieder. Ihr alter Versammlungsort wurde unter Denkmalschutz gestellt. Es ist ein Ort der Ruhe in der quirligen Hauptstadt. An den Tischen erklingen Gespräche in verschiedenen Sprachen - hitzige politische Debatten sind es nicht mehr. Am Tisch neben Chow Yu sitzt ein japanischer Geschäftsmann, der sich nach amerikanischer Manier mit seinem Vornamen Takao vorstellt. Er komme regelmäßig hierher, wenn er Taiwan besuche, erzählt er. Gelesen habe er darüber im Magazin einer Fluggesellschaft. "Ich war einfach neugierig auf die chinesische Teekultur. Acht Jahre ist das nun her."

Japanische Touristen gehörten inzwischen zu regelmäßigen Besuchern des Wistaria, erzählt Chow Yu, wahrscheinlich weil Japaner selbst so viel Wert auf ihre Tee-Kultur legen. Noch immer sitzt er meist in dem großen Eingangsraum mit den Stühlen. Hinten rechts hat er seinen Stammplatz. Manchmal kommt der eine oder andere alte Bekannte vorbei. Dann sitzen sie zusammen und diskutieren - wie damals in den wilden Jahren.

Autor: Mathias Bölinger

Redaktion: Ana Lehmann