1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Was nach dem IS-Terror im Irak kommt

Wolfgang Dick4. Juli 2016

Viele Iraker stehen nach dem schweren IS-Anschlag in Bagdad unter Schock. DW-Journalist Abbas al Kashali erläutert im Interview Gründe der Gewaltspirale und mögliche Gegenmaßnahmen.

https://p.dw.com/p/1JIva
Das zerstörte Einkaufszentrum in Bagdad nach dem Anschlag. Foto : Getty Images/AFP/
Bild: Getty Images/AFP/A. Al-Rubaye

DW: Herr al Kashali, als Sie von dem jüngsten Anschlag mit dieser hohen Opferzahl erfuhren, was war Ihre erste Reaktion - weniger als routinierter Journalist, sondern als Mensch, der aus dem Irak stammt?

Abbas al Kashali: Es ist immer dieses gemischte Gefühl. Wut aber auch Traurigkeit. Immer wieder geht es auch um das Schicksal meiner Familie oder um das Leben unserer Freunde. Wie immer, wenn es wieder heißt, es habe einen Anschlag gegeben, habe ich sofort versucht, mit meiner Familie Kontakt aufzunehmen. Mein Bruder arbeitet in der Nähe des Anschlagsortes. Sonntag ist er Gott sei dank erst am Abend nach Bagdad gefahren. Es ist glücklicherweise niemand meiner Familie zu Schaden gekommen.

Wir hatten zuletzt sogar Anzeichen, dass die Lage in Bagdad nach vielen Anschlägen der Vergangenheit ganz langsam zur Ruhe kommt. Leider ein Trugschluss. Dass es im Ramadan zu einem solchen Anschlag kam, ist besonders heftig. So viele, vor allem junge Menschen hatten sich auf das Ende der Fastenzeit gefreut und sind jetzt unschuldig ums Leben gekommen. Meine Wut richtet sich vor allem auf die Sicherheitskräfte, die seit Jahren nicht funktionieren.

Was trägt zusätzlich dazu bei, dass Bagdad nicht zur Ruhe kommt ?

Man sollte immer vorsichtig sein mit Pauschalurteilen, aber viele in der politischen Elite im Irak sind schlicht unfähig. Ausstattung und Arbeit der Sicherheitskräfte sind mangelhaft. Und es gibt überall Korruption.

Immer, wenn die politische Lage nicht stabil ist, kommt eine Autobombe oder ein Selbstmordattentat. Dieses Mal war es weniger ein Attentat des IS auf die verhassten Schiiten wie bei dem Bombenattentat auf schiitische Pilger Anfang Mai, sondern es war eine Antwort auf die Erfolge der irakischen Armee und die Verluste des IS in Falludscha.

DW Reporter Abbas al-Kashali . Foto: DW
DW-Reporter Abbas al KashaliBild: DW/S. Sanderson

Was müsste die irakische Regierung tun?

Die irakische Regierung steht vor vielen Herausforderungen. Sie muss den Menschen in den sunnitischen Gebieten in Ramadi und in Mossul weiter Sicherheit geben und den Menschen dort klar machen, dass die Schiiten sie nicht als Feinde ansehen. Wir wollen alle zusammen friedlich leben, diese Botschaft muss viel deutlicher kommen. Es muss Arbeit geben und mehr Infrastruktur. Man muss auch bessere Sicherheitskräfte ausbilden. Alles, was in der Regierungszeit al-Maliki zwischen 2006 und 2014 gemacht wurde, war fehlerhaft. Es wurden so viele falsche Entscheidungen getroffen. Zum Beispiel wollte al-Maliki die sunnitische Seite ignorieren und isolieren. Der IS ist sunnitisch geprägt und nicht zuletzt eine Reaktion auf diese Politik.

In der irakische Armee entstand zum Beispiel eine Einheit von 50.000 Soldaten. Aber davon gab es nur 10.000 tatsächlich, der Rest stand nur auf dem Papier. Die Soldaten erschienen nie zum Dienst. Es gibt so viel Korruption auf allen Ebenen. Es geht nicht nur um die Wirtschaft. Die kann nicht ohne Sicherheit funktionieren. Und für die Sicherheit sind die unterschiedlichen politischen Kräfte im Irak zuständig.

Ministerpräsident Haider al Abadi will jetzt Sicherheitsmaßnahmen verbessern. Modernere Bombendetektoren und bessere Mobiltelefone an Kontrollstellen einsetzen und die Luftaufklärung verstärken. Kann das helfen?

Das alles sollte es doch schon seit Jahren geben. Ich frage mich als Iraker, wo waren all diese Maßnahmen. Die Detektoren zur Bombenkontrolle zum Beispiel funktionieren nicht, weil die Geräte aus einem korrupten Geschäft stammen. Al Abadi ist zwar bemüht, hat in England studiert, kommt aus einer sehr guten Familie, sein Vater war ein berühmter Chirurg in Bagdad, aber allein kann er das nicht alles machen. Er ist in derselben Partei, der islamischen Dawa Partei, wie schon sein Amtsvorgänger al Maliki. Seine Hände sind also gebunden.

Was würde denn helfen, den Terror zu beenden ?

Geld wird als Unterstützung für al Abadi nicht reichen. Das würde durch Korruption nur wieder verschwinden. Es geht um junge Menschen. Die müssten viel mehr unterstützt werden. Sie müssten hierher nach Deutschland oder Europa gebracht und hier ausgebildet werden. Wenn sie dann nach Hause zurückkehren, können sie etwas beeinflussen und ändern. Auch die Geldquellen vom IS müssen endlich viel umfassender ausgetrocknet werden. Und die Menschen, die den IS unterstützen, egal ob sie eine Waffe in der Hand halten oder nicht, müssten viel besser ermittelt und festgesetzt werden.

Um dem Terror zu begegnen, muss man ihn besser verstehen. Was ist denn die Verbindung zwischen dem IS-Terror in Bagdad und dem IS-Anschlag in Bangladesch ?

Es geht in erster Linie darum, Angst zu verbreiten. Es geht darum, zu zeigen, wir sind überall, wir können überall angreifen.

Wird Mossul als Hochburg des IS bald fallen ?

Mossul kann man nicht mit Falludscha oder Ramadi vergleichen. Die Einwohner Mossuls haben jetzt einfach genug vom IS. Einige haben am Anfang noch Sympathie gehabt. Aber nach zwei Jahren haben sie genug. Man hofft jetzt darauf, dass die Bevölkerung der irakischen Armee bei der Befreiung hilft. Es ist aber nicht die Frage, ob Mossul befreit wird oder nicht, sondern, was danach kommt. Solange die irakische Gesellschaft und die irakische Regierung nicht wirklich zueinander finden und zusammen kommen können, findet sich wahrscheinlich einfach eine andere Terrorgruppe. Hoffentlich nicht.

Abbas al Kashali stammt aus Basra und berichtet seit 2010 als Reporter für die Deutsche Welle aus dem Irak.

Das Gespräch führte Wolfgang Dick.