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Tesla ist abgeschoben

Nemanja Rujević, Mladenovac8. November 2015

Jahrelang war Asylsuche in Deutschland für serbische Roma ein temporärer Ausweg aus dem Elend. Jetzt ist damit Schluss: Immer mehr von ihnen werden abgeschoben - so wie die Familie Simić. Von Nemanja Rujević, Mladenovac.

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Saša Simić vor seinem Haus in Mladenovac - Foto: Nemanja Rujević (DW)
Bild: DW/N. Rujević

"Tesla" - so nennen ihn die Nachbarn in seiner alten Heimat, im Roma-Viertel am Rande der serbischen Kleinstadt Mladenovac. Den Spitznamen, der auf einen großen serbisch-amerikanischen Erfinder zurückgeht, hat Saša Simić seinem Beruf zu verdanken: Jahrzehntelang arbeitete er hier mit Strom - es gab keinen Fernseher, den er nicht reparieren konnte. Dann kamen eine Herzkrankheit und Muskeldystrophie. "Statt die Fernseher zu reparieren, habe ich sie auf einmal aus Versehen auf den Boden fallen lassen und zerstört", sagt der klein gewachsene 45-Jährige. Von den serbischen Behörden hat er einen Bescheid: arbeitsunfähig. Und eine Rechnung, dass er dem Staat für Strom und Nebenkosten umgerechnet 10.000 Euro schuldet. Was ihn zur Verzweiflung bringt, ist aber ein Wort auf Deutsch, dass seit Kurzem in seinen Pass gestempelt ist: "abgeschoben".

Der Weg "auf Asyl"

Simić könnte stundenlang erzählen, warum er vor einem Jahr seine Sachen packte und sich mit seiner Frau, seinem Sohn und seiner Tochter auf dem Weg gemacht hat. "Auf Asyl gehen" - so nennen hiesige Roma eine solche Deutschlandreise. Leise und ausführlich spricht Simić über Diskriminierung, dass etwa ein Lehrer seinen Sohn immer wieder aus dem Unterricht verbannt hat mit den Worten: "Hau ab, Zigeuner!" Dass in Serbien Roma am Rande der Gesellschaft leben und misstrauische Blicke ernten. "Lange dachten wir, dass wir den Asylschutz in Deutschland tatsächlich bekommen werden", sagt Saša Simić und blättert durch Unterlagen, die er auch dem Entscheider des Flüchtlingsamtes gezeigt hat.

Seine Frau Daliborka macht keinen Hehl daraus, dass die Familie nicht zuletzt wegen des Geldes nach Deutschland gereist ist. Um die 1100 Euro bekamen sie monatlich als Familie - eine Summe, von der man in Serbien nur träumen kann. "Als wir das erste Geld bekommen haben, sind wir in den Supermarkt gegangen. Ich habe den Kindern gesagt: sucht euch aus, was ihr wollt." Ihre Augen leuchten, während sie von der Zeit in dem winzigen Ort Bad Zwesten unweit von Kassel erzählt: Über Freundschaften mit anderen Balkan-Roma, Arabern und Afrikanern, mit denen sie in dem Wohnheim in der hessischen Kleinstadt zusammenlebten. Daliborka Simić hat auch eine Ausgabe der dortigen Lokalzeitung aufbewahrt. Auf der letzten Seite ist ein kleiner Artikel über gute Integration zu lesen, mit einem Gruppenfoto samt Bürgermeister. Auch die Simićs sind darauf zu sehen.

Abgeschoben-Stempel in Saša Simićs Pass - Foto: Nemanja Rujević (DW)
Stempel in Saša Simićs Pass: "Pack das Nötigste ein"Bild: DW/N. Rujević

Die deutschen Behörden aber entschieden anders, als die Familie gehofft hatte: Ihr Asylantrag wurde abgelehnt. Schon im März hätten sie Deutschland darum eigentlich verlassen müssen. Der Grund, warum sie doch länger geblieben sind, ist auf der Brust von Saša Simić zu sehen: Eine Narbe zeugt von der Herzoperation, die in Deutschland durchgeführt werden musste. Die Abschiebung verhinderte dies am Ende aber nicht.

Vitomir Mihajlović - Foto: Britta Pedersen (dpa)
Roma-Funtionär Mihajlović: "Diskriminierung von der Geburt bis zum Tod"Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Mitte Oktober war es so weit: Um fünf Uhr morgens hämmerte die Polizei gegen die Tür, erzählt Saša Simić: "Wir haben ihnen Atteste von zwei verschiedenen Ärzten gezeigt, die besagen, dass ich chronisch herzkrank bin, dass ich in dieser Verfassung nicht reisen darf und dass in Serbien mein Leben bedroht ist, weil ich hier nicht die nötige Behandlung bekomme. Aber sie haben gesagt: 'Pack das Nötigste ein'."

Sicher oder "sicher"?

Laut Bundesinnenminister Thomas de Maiziere wurden allein in diesem Jahr bislang insgesamt rund 11.000 Menschen aus Deutschland abgeschoben. 27.000 weitere seien sind im Rahmen der sogenannten "geförderten Rückkehr" freiwillig gegangen. Ausreisepflichtige bekommen dann beispielsweise ein kleines Startkapital für eine Existenzgründung in ihrer Heimat.

Noch immer aber sind Zehntausende in der Bundesrepublik, die aus "sicheren Herkunftsstaaten" auf dem Westbalkan kommen, wo es laut dem deutschen Gesetzgeber keine Verfolgung gibt. Dabei handelt es sich meistens um ethnischen Albaner. Und Roma - neun von zehn Asylsuchenden aus Serbien gehören dieser Minderheit an.

Vitomir Mihajlović vom serbischen Nationalrat der Roma empfängt in seinem Büro in Zentrum von Belgrad. Hinter ihm hängt die Trikolore Serbiens und die Flagge der Roma: Blau für den Himmel, grün für die Erde und ein rotes Speichenrad, das an die indische Abstammung der Roma erinnern soll. Manche verstehen das Rad auch als Symbol dafür, dass Roma nirgendwo wirklich zu Hause sind. "Das Problem der Armut gibt es schon seit Generationen", sagt der Nationalratsvorsitzende. Dazu käme noch, so Mihajlović, "die Diskriminierung von der Geburt bis zum Tod - und zwar in allen Lebensbereichen: Etwa bei der Bildung, auf dem Arbeitsmarkt und im Gesundheitssystem."

Das sei der Grund, warum sich viele für die aussichtlose Asylsuche entscheiden. Als es in Deutschland noch einen Abschiebestopp im Winter gab, hätten mache die Reise jedes Jahr erneut angetreten, um der unerträglichen Kälte in ihren Blechhäusern zu entfliehen. Dass Deutschland diese Praxis jetzt unterbindet, findet Mihajlović unmenschlich: "Internationale Konventionen, die viele Länder unterschrieben haben, sollten solche Abschiebungen nicht zulassen - vor allem im Winter", sagt er. Es gebe sogar Fälle, bei deinen Familien durch eine Abschiebung getrennt worden sind.

Von Spitzenpolitikern in den Balkanländern bekommt Deutschland dagegen für seine neue Strategie Beifall. Die serbische Regierung bezeichnet Roma als "falsche Asylanten vom Beruf", Premier Aleksandar Vucic ruft Deutschland dazu auf, Sozialleistungen für Asylsuchende ganz zu streichen.

Das sei ein Versuch, die Schuld allein einer ethnischen Minderheit zuzuschieben, meint Dragan Popović von der Belgrader NRO-Zentrum für praktische Politik. "Wie alle Länder der Region ist Serbien bemüht, sich in Brüssel so gut wie möglich darzustellen und das Signal zu senden, dass das Land keine Quelle von Asylbewerbern ist - obwohl es das ist, wegen der wirtschaftlichen Lage."

Daliborka und Saša Simić in ihrem Haus in Mladenovac - Foto: Nemanja Rujević (DW)
Daliborka und Saša Simić in ihrem Haus in Mladenovac: Abschiebung um fünf Uhr morgensBild: DW/N. Rujević

Der Weg zurück

Ein Großteil der Rückkehrer kommt einfach wieder nach Hause. Für die anderen, die kein Zuhause haben, ist das serbische Flüchtlingskommissariat zuständig. Zeit für ein Interview hat dort niemand - wegen der Flüchtlingskrise sei dort "gerade die Hölle los". Damit ist der Flüchtlingsstrom aus dem Nahen Osten und Afrika gemeint, also die tausenden Menschen, die Serbien jeden Tag durchqueren, um in die Europäische Union zu gelangen.

Dagegen sind Abschiebungen aus Deutschland für die serbischen Behörden seit Jahren Routine. Eine Strategie zur Reintegration sei verabschiedet, hieß es aus dem Flüchtlingskommissariat in einem früheren Statement.

Von dieser Reintegration aber hat Rückkehrer Saša Simić bislang nichts mitbekommen. Er läuft durch die staubigen Straßen des Roma-Viertels von Mladenovac und zeigt die Häuser dort: Größenwahnsinnig und kitschig sind sie, mit Löwen und Adlern aus Gips geschmückt - stumme Zeugen der goldenen Zeiten für jugoslawische Gastarbeiter im Westen, als dort auch die kaum Ausgebildeten einen gut bezahlten Job bekamen. Auch Simić besitzt ein dreistöckiges Haus mit rosa Fassade, das er noch als Kind von seinem Vater geschenkt bekommt hat. Doch drinnen sind nur zwei bescheidene Zimmer zum Wohnen geeignet. Der Rest ist immer noch in der Bauphase. Das Geld dafür hat Simić nicht. Wasser holt er von einem Brunnen, an das Stromnetz hat er das Haus illegal angeschlossen.

Sein 17-jähriger Sohn Aleksandar versucht, wieder in das serbische Schulsystem einzusteigen. So richtig Lust auf einen Neuanfang in seiner Heimstadt aber hat er nicht. "In Deutschland war alles schön, die Menschen waren nett", sagt er in nahezu akzentfreiem Deutsch. Er würde gerne dorthin zurückgehen, um einen Job zu finden und von seinem eigenen Geld zu leben.

Romassiedlung von Mladenovac - Foto: Nemanja Rujević (DW)
Eine Roma-Siedlung in Belgrad: Stumme Zeugen goldener ZeitenBild: DW/N. Rujević

Auch Aleksandars Vater hat schon darüber nachgedacht, einen zweiten Anlauf zu starten. "Aber mein Gesundheitszustand hält mich davon ab. Ich hab den Stempel in meinem Pass, das heißt ich kann nicht legal einreisen. Ich müsste mich also den Syrern anschließen", sagt Saša Simić. "Die laufen aber durch Wälder und Felder - und das schaffe ich nicht."