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Theater at home' bringt Spektakel ins Haus

3. Januar 2011

Sie spielen im Wohnzimmer vor Plüschsofas und Kamin, im Garten unterm Apfelbaum, in Kneipen, Cafes und Hotels. Die Schauspielerinnen von ‚Theater at home’ müssen nicht nur kreativ sein, sondern auch anpassungsfähig.

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Theater at home - Minitheater im Wohnzimmer. Gespielt werden Filmklassiker wie Dracula oder Der Glöckner von Notre Dame.
Bild: Dieter Blaschke,www.digitalfotographie-koeln.de

Irgendwie sieht dieser Graf Dracula ziemlich jung aus - eine hohe Stimme hat "er", trägt einen schwarzen Umhang und wurde soeben bezichtigt, ein blutrünstiger Mörder zu sein. Ort des Geschehens: ein kleiner und ziemlich nüchterner Konferenzraum in einem Kölner Hotel. Die Requisiten: ein Tisch, ein Stuhl, ein Kleiderständer, an dem ein paar Hüte, Gewänder und eine Wolldecke hängen. Dazu zwei Scheinwerfer. Sie werfen ihr Licht auf das ganze Personal des klassischen Vampirdramas. Zum schaurigen Grafen Dracula gesellen sich der eingebildete Professor van Helsing, die naive Lucy, Jonathan, ihr Verehrer. Gespielt allerdings nur von zwei Schauspielerinnen.

Geburtstagsspaß mit Dracula

Theater at home - Minitheater im Wohnzimmer. Gespielt werden Filmklassiker wie Dracula oder Der Glöckner von Notre Dame. Hier: Szene aus "Dracula"
"Dracula" als Zwei-Personen-StückBild: digitalfotografie-koeln

Anne Scherliess und Eva Kraiss schlüpfen in alle Rollen, verändern in Sekundenschnelle ihre Stimmen, wechseln in Windeseile ihr Kostüm vor Publikum. Das feiert heute einen "runden" Geburtstag. Die Gastgeberin wird siebzig und hat sich und ihren Gästen diesen Theaterspaß gegönnt. Sie sagt: "Ich bewundere den Elan und den Enthusiasmus, mit dem gespielt wird. Das ist für uns alle etwas ganz Besonderes. Wir brauchten nicht ins Theater zu gehen, das Theater kam zu uns." Anne Scherliess und Eva Kraiss, die hier den gruseligen Grafen und auch alle übrigen Rollen gespielt haben, sind heute das Theater. Die Gruppe, zu der noch zwei weitere Frauen gehören, tritt auf Kleinkunst-Festivals auf, in Kneipen, Hotels, vor der Polstergarnitur in Wohnzimmern oder im Garten unterm Apfelbaum. Mal schwitzen sie vor einem Kamin, mal stehen sie plötzlich draußen in einem Regenguss - ihre Begeisterung kann das nicht trüben.

Theater zum Bestellen

Anne Scherliess und ihre Kolleginnen haben eine klassische Schauspielausbildung und Erfahrungen im normalen Stadttheater-Betrieb. 2009 gründeten sie "Theater at home" – eine Bühne ohne Bühne. Die Requisiten passen in ein paar Koffer, die Akteurinnen reisen an, wenn es einen Auftrag gibt. Anne Scherliess schreibt die Textvorlagen alle selbst: oft Bearbeitungen klassischer, auf Romanen basierender Filmstoffe. Ihre Hits sind "Graf Dracula", "Doktor Jekyll und Mister Hyde", oder "Der Glöckner von Notre Dame". Geschichten, die fast jeder kennt und die zu einer unterhaltsamen Mischung aus Slapstick-Komödie und Gruselstück verwandelt werden. In Repertoire hat die Gruppe auch Kinderstücke und Weihnachtsmärchen. Nie spielen mehr als zwei Schauspielerinnen – und das ist schon die Hälfte des vierköpfigen Ensembles.

Austoben beim Rollenwechsel

Theater at home - Minitheater im Wohnzimmer. Gespielt werden Filmklassiker wie Dracula oder Der Glöckner von Notre Dame
Bild: Dieter Blaschke,www.digitalfotographie-koeln.de

Wer mit ihnen redet, bekommt die Begeisterung zu spüren, mit der die jungen Akteurinnen antreten: "Es gibt eine unmittelbare Nähe zum Publikum, man kriegt jede Regung mit: Wie schauen die Zuschauer, sind sie gefesselt oder finden sie es langweilig", sagt Eva Kraiss. Und Anne Scherliess meint: "Wir können uns als Schauspielerinnen richtig austoben. Jede spielt so viele Rollen, niemand ist festgelegt - auf die junge Naive oder ähnliches. Wir spielen auch Männer oder Zicken, das ist natürlich schön und abwechslungsreich. Jedes Mal muss man voll einsteigen." Für einen solch kräftezehrenden Auftritt erhalten sie pauschal 600 Euro Gage. Ein Teil davon fließt in die gemeinsame Theaterkasse, die noch durch Einkünfte aus Schulaufführungen und Festivals gefüllt wird. Schließlich müssen Requisiten und Kostüme bezahlt werden – es sei denn, eine freundliche Verwandte greift zur Nähmaschine und fertigt etwas für das kleine Ensemble an.

Die Akteurinnen beißen sich mit ungebrochenem Elan durch. "Ziel ist es, davon leben zu können", sagt Anne Scherliess, die Chefin. "Aber es fehlen noch regelmäßige Auftritte." Zwischendurch müssen die jungen Schauspielerinnen also immer noch woanders Geld verdienen: beim Fernsehen oder in anderen Bühnenprojekten.

Theaterroutine? Nein danke!

Theater at home - Minitheater im Wohnzimmer. Gespielt werden Filmklassiker wie Dracula oder Der Glöckner von Notre Dame
Bild: digitalfotografie-koeln

Eine vollständige Rückkehr in den traditionellen Theaterbetrieb ist für Anne Scherliess und ihre Kolleginnen dennoch undenkbar. Die jungen Frauen genießen die kreative Freiheit, die ihnen das Theater im Wohnzimmer bietet, sie schätzen die Freundschaft unter den Kolleginnen, den Teamgeist. Zur Zeit arbeitet Scherliess mit Hochdruck an einem Klassikerprojekt: zwei mal Lessing, zwei Mal Schiller, zwei Mal Goethe. Komprimiert auf zusammen eineinhalb Stunden. Fest steht für sie dennoch: "Reich wird man mit all dem nicht – aber glücklich".

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Sabine Oelze