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Theater statt Krieg

Charlotte Hauswedell31. August 2012

Auftauchen, nicht untertauchen: Jugendliche Flüchtlinge aus der ganzen Welt bringen Goethes Faust auf die Bühne. Liebe, Verführung und der Pakt mit dem Falschen sind Themen, die trotz kultureller Unterschiede verbinden.

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Theaterprojekt des In Via Vereins Köln: Flüchtlinge führen Faust von Goethe auf. Reportage für Kultur Hintergrund. Datum: August 2012 Foto: C.Hauswedell
Bild: C.Hauswedell

"Der Depp denkt immer noch, der Teufel ist ein Millionär." Diesen Satz hätte Mephisto in Goethes Faust niemals gesagt. Aber wenn Diallo aus Guinea ihn in seinem holperigen Deutsch vorträgt, nimmt man ihm den Mephisto trotzdem ab. Es ist eine improvisierte und modernisierte Fassung der großen deutschen Tragödie, die Diallo mit 20 anderen Flüchtlingen auf die Bühne bringt. Bis vor kurzem sprach keiner von ihnen Deutsch. Es war für alle ein Sprung ins kalte Wasser - doch das Konzept des Kölner Hilfsvereins In Via funktioniert: Die Gruppe hat den Klassiker der deutschen Literatur für sich entdeckt und sich die Rollen zu eigen gemacht.

So multikulturell war Goethe selten: Die jungen, zum Teil noch minderjährigen Darsteller kommen aus vielen verschiedenen Ländern Afrikas und Asiens, darunter Afghanistan, Äthopien, Guinea, Iran, Irak oder China. Sie sind nach Deutschland geflüchtet und kaum länger hier als ein Jahr. Vorher haben Krieg oder Verfolgung ihren Alltag geprägt - nun wollen sie in Deutschland ankommen, hier zur Schule gehen und eine Ausbildung machen. Durch das Theaterspielen haben sie die deutsche Sprache gelernt und auch das Selbstbewusstsein gewonnen, vor Publikum zu spielen.

Diallo ist einer der Schauspieler Foto: C.Hauswedell
Diallo spielt MephistoBild: DW

Durch die Schauspielerei deutsch gelernt

Theater mit Flüchtlingen gibt es in vielen deutschen Städten. Es bietet ihnen eine der wenigen Möglichkeiten, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren, ohne politische Brisanz. Sie können in andere Rollen schlüpfen und mit Theater am gesellschaftlichen Dialog teilnehmen. Das Bühnenprojekt von In Via unter Regie von Hans-Peter Speicher versucht seit zehn Jahren, Integration auf der Bühne zu leisten. Speicher hat bereits Stücke von Shakespeare, Schiller oder Wedekind mit jungen Flüchtlingen inszeniert. Goethe ist auch für ihn ein Novum - seine Fassung ist ein Potpourri aus verschiedenen Figuren und Elementen von Goethe geworden, an dem die Darsteller mitwirken. "Ich schreibe eine verkürzte Fassung des Stücks und lasse die Darsteller dann damit arbeiten. Sie bringen Jugendslang, Hip-Hop und Tanz mit ein. Ich möchte versteckte Talente wecken." So ist das Konzept: dynamisch, ohne strenge Reihenfolge. Manchmal wird spontan getanzt und getrommelt.

Regisseur Hans-Peter Speicher mit Darstellern Foto: C.Hauswedell
Regisseur Hans-Peter Speicher mit DarstellernBild: C.Hauswedell

Doch die Handlung bleibe Goethe treu, so Speicher. Auch die Endreime und die Metrik blieben erhalten. Für Speicher steht außer Frage, dass selbst ein Meisterwerk der deutschen Literatur für die Deutschanfänger kein Problem darstellt. Im Gegenteil: "Sie unterhalten sich auch außerhalb des Theaters in der Sprache aus dem Stück." Nicht nur die Ausdrucksweise, auch die Handlung ist den Darstellern alles andere als fremd. Faust soll Gretchen verführen, Mephisto sagt, er soll "die Süße klarmachen". Es wird viel gekichert und gelacht.

Ein moderner Faust unter Mitwirkung der Darsteller

Die Gruppe ist vertraut, die Flüchtlingsschicksale verbinden. Über die Gründe für die Flucht spricht es sich allerdings nur schwer. Morteza schluckt immer wieder und blickt auf den Boden. Doch dann erzählt er von selbst. Er sei vor zwei Jahren aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. In Griechenland musste er eine Zwischenstation einlegen. Dort hat er auf der Straße und unter Brücken geschlafen. Seine Familie ist verschwunden oder tot, das kann er nicht sagen. Vielleicht weiß er es nicht. Viel Angst hatte er, immer, auch hier in Deutschland. "Ich habe so viel Krieg erlebt. Ich konnte keine Polizisten sehen", sagt er.

Theaterprojekt des In Via Vereins Köln: Flüchtlinge führen Faust von Goethe auf. Reportage für Kultur Hintergrund. Datum: August 2012 Foto: C.Hauswedell
Morteza besucht zum ersten Mal eine SchuleBild: C.Hauswedell

Morteza geht jetzt das erste Mal in seinem Leben zur Schule, wie viele aus der Gruppe. "Ich freue mich, mir geht es jetzt besser. Ich habe viele Freunde gefunden. Aus verschiedenen Ländern und verschiedenen Religionen." Theaterspielen macht ihm großen Spaß, er will es weiter machen. Er hat dadurch viel Mut gewonnen. Und die Möglichkeit, Deutsch zu lernen und eine internationale Förderklasse zu besuchen.

Beinahe alle Darsteller haben einen unsicheren Aufenthaltsstatus

Wie auch Xiaoyao aus China. Sie ist im vergangenen Jahr allein in Deutschland angekommen, hat Familie und Freunde hinter sich gelassen. Momentan lebt sie mit einem Duldungsstatus. Das heißt, sie wird zwar vorerst nicht abgeschoben, hat aber keinen Aufenthaltstitel und müsste deswegen eigentlich ausreisen. Sie ist eine von 162 minderjährigen Flüchtlingen, die im Jahr 2011 alleine in Köln angekommen sind. Die Sorgen vergisst sie beim Theaterspielen. Auch ihre Verlegenheit verfliegt, wenn sie auf der Bühne steht. Goethe kannte sie vorher nicht, jetzt spielt sie Lotte, eine Goethe-Figur aus dem bekannten Stück "Die Leiden des jungen Werthers". Die Rolle gefällt ihr. "Lotte ist nicht so schüchtern wie ich, glaube ich."

Die Rollen besetzt Regisseur Speicher doppelt, weil es immer sein kann, dass die Darsteller Probleme mit den Behörden bekommen. Viele Jugendliche bei In Via haben einen unsicheren Aufenthaltsstatus. Ende September findet im Rahmen der Interkulturellen Woche in Köln die letzte Aufführung der Theatergruppe von In Via statt. Dann wird Xiaoyao noch mal als Lotte auf der Bühne stehen und Diallo noch mal den Mephisto spielen. Aber auch danach wollen sie weiter Theater machen.

Theaterprojekt des In Via Vereins Köln: Flüchtlinge führen Faust von Goethe auf. Reportage für Kultur Hintergrund. Datum: August 2012 Foto: C.Hauswedell
Bild: C.Hauswedell