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Theaterexperiment in Peking gestoppt

Haiye Cao
12. September 2018

Die Aufführung von Henrik Ibsens "Ein Volksfeind" hat in China eine heftige Debatte ausgelöst. Die Berliner Schaubühne muss ihre Tournee in der Volksrepublik vorzeitig beenden. Die DW sprach mit Direktor Tobias Veit.

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Deutschland - Schaubühne Berlin
Bild: Thomas Aurin

Deutsche Welle: Seit wann ist die Berliner Schaubühne in China aktiv?

Tobias Veit: Seit 2014 sind wir sehr oft in China gewesen. In Tianjin, Beijing, Shanghai und anderen Städten. Und da gab es nie Probleme.

Was war dieses Mal anders?

Dass es jetzt Probleme mit dem Volksfeind gab, liegt wohl zum einen daran, dass "Ein Volksfeind" von Ibsen ein sehr politisches Stück ist und zum anderen daran, dass wir in der Inszenierung einen Teil haben, in dem das Publikum aufgefordert ist, auf eine Rede der Hauptfigur zu reagieren und in ein offenes Gespräch mit den Schauspielern und den Figuren des Stückes zu treten.

Das Thema des Stückes ist ja eine unterdrückte Wahrheit, die der Arzt aufgedeckt hat und die von den Machthabern der Stadt unterdrückt und von den Zeitungen nicht veröffentlicht wird. Es geht um Meinungsfreiheit und unterdrückte Wahrheiten, es geht um die gesellschaftliche Situation. Das Stück ist zwar ganz auf unsere westliche kapitalistische Gesellschaft gemünzt und unsere Fassungen ganz darauf adaptiert, aber es ist letztendlich ein Thema, das in vielen anderen Gesellschaften brisante Resonanz erzeugt.

Haben Sie damit gerechnet, dass Sie in China mit dieser Produktion auf so starke Resonanz des Publikums stoßen?

Das weiß man vorher nie. Aber unsere Erfahrung in den vielen Ländern und Orten, wo wir das Stück aufgeführt haben, ist, dass das Publikum immer stark reagiert und die Inhalte stets auf die lokale Situation und Gesellschaft bezieht. Aber das passiert sehr unterschiedlich: mal emotional und mal sehr ausformuliert und sehr bedacht. Deshalb war uns nicht klar, wie das chinesische Publikum darauf reagieren würde. Aber natürlich haben wir schon auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass es sehr offen reagiert. Und das hat es dann auch getan.

Tobias Veit, Direktor der Berliner Schaubühne
Schaubühnen-Direktor Veit: "Wir sind in gutem Dialog mit Peking" Bild: T. Veit

Können Sie schildern, was danach passiert ist?

In der ersten Vorstellung in Peking fand die Diskussion zwischen Schauspielern und Publikum statt. Aber in der zweiten und dritten Vorstellung in Peking, nachdem wir die ganze Nacht und den ganzen darauffolgenden Tag mit der Leitung des Theaters diskutiert hatten, haben wir eine andere Version gespielt, wo die Publikumsdiskussion fehlt, wir aber sehr kenntlich gemacht haben, dass sie rausgenommen wurde.

In der ersten Vorstellung war das ungeheuer lebendig. Die Zuschauer riefen relativ ungeordnet rein und beschrieben, dass es in Peking Repressalien gibt, dass es Umweltskandale gibt, dass es keine Meinungsfreiheit gibt und dass das ein großes Problem ist. Von dieser Offenheit waren wir durchaus überrascht. Wir hätten uns auch vorstellen können, dass man das nicht so deutlich ausspricht, zumal das ja direkt neben der großen Halle des Volkes und am Platz des Himmlischen Friedens war, was ja auch ein symbolisch aufgeladener Ort ist. [1989 demonstrierten auf dem Platz Studenten für Demokratie. Die Proteste wurden blutig niedergeschlagen, Anm.d.Red.].

In jedem Fall hatten wir nach der ersten Aufführung ein sehr freundliches Gespräch, wo die Gastgeber ihre Probleme schilderten. Ich habe betont, dass wir das nicht extra für Peking gemacht haben, sondern dass das unser Stück ist, so wie wir es immer gespielt haben. Deswegen war ihre Bitte, dieses offene Gespräch zu verändern, für uns ein großes Problem. Das haben sie auch verstanden. Und dann haben wir uns nach viel Hin und Her eben entschlossen, es herauszunehmen, weil die Vorstellungen sonst nicht hätten stattfinden können.

Aber uns war auch wichtig, dass wir kenntlich machen, dass da etwas fehlt. Trotz des Kompromisses hat das ganze Stück seine politische Brisanz überhaupt nicht verloren. Es war eine unglaublich flirrende Atmosphäre. Jeder begriff sofort, dass etwas fehlte.

Theaterstück Ein Volksfeind - Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin
Ibsens "Volksfeind": Drama mit regimekritischem Potential Bild: Arno Declair

Warum wurden die weiteren Vorstellungen trotz des Kompromisses jetzt dennoch abgesagt?

Das wissen wir nicht so genau. Das Theater hat offiziell aus technischen Gründen abgesagt. Sie meinten, dass die Maschinerie kaputt sei und nicht repariert werden könne.

Man kann da nur spekulieren, aber man kann doch einigermaßen sicher davon ausgehen, dass die Technik nicht der eigentliche Grund ist und nur vorgeschoben, um aus der Affäre ohne einen Eklat herauszukommen. Für uns ist es natürlich frustrierend.

Was bedeutet der Vorfall für die Zukunft?

Das kann ich im Moment nicht einschätzen. Da wir jetzt nicht im Streit auseinander gehen, sondern insbesondere was Peking angeht in einem guten Dialog, gehe ich davon aus und hoffe, dass die Zusammenarbeit jetzt nicht abbricht, sondern fortgesetzt wird. Wünschenswert wäre natürlich, wenn dieser Vorfall dann auch Anlass dafür wäre, über den Inhalte von Stücken zu reden und was man für ein Theater machen will.

Uns war wichtig zu betonen, dass dieses Stück so aufgeführt wurde, wie es immer aufgeführt wird. Dass wir in keiner Weise das Ziel hatten, einen Eklat zu produzieren. Und jetzt wissen sie auch, dass sie genauer hinschauen müssen, was sie da einladen. Ich hoffe nur, dass das nicht dazu führt, dass bestimmte Aufführungen nicht mehr eingeladen werden.

Tobias Veit ist Direktor der Berliner Schaubühne.