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Timoschenko-Demos

12. August 2011

Trotz großer Medienresonanz in der Ukraine protestieren wenige Menschen gegen die Verhaftung der Oppositionsführerin Julia Timoschenko. Urlaubszeit, aber auch Enttäuschung sind die Gründe, meinen ukrainische Beobachter.

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Die Anhänger der Opposition protestieren vor dem Gerichtsgebäude in Kiew (Foto: DW)
Protestaktion in KiewBild: DW

Etwa 100 Anhänger der verhafteten ehemaligen ukrainischen Regierungschefin Julia Timoschenkos haben in der Kiewer Innenstadt Zelte aufgeschlagen. Rund 100 weitere Aktivisten der Timoschenko-Partei "Vaterland" harren abwechselnd vor dem Gefängnis aus, in dem die Oppositionsführerin in Untersuchungshaft sitzt. Während der Gerichtsverhandlungen steigt die Anzahl der Protestierenden auf mehrere Tausend. Vor dem Gerichtsgebäude unterstützen sie dann lauthals die Angeklagte, schwenken Parteifahnen und legen sich vor Fahrzeuge der Miliz.

Julia Timoschenko vor Gericht (Foto: dpa)
Julia Timoschenko vor GerichtBild: picture alliance/dpa

Julia Timoschenko, eine Galionsfigur der prowestlichen "Orangenen Revolution" im Jahr 2004, drohen wegen angeblichen Amtsmissbrauchs bis zu zehn Jahre Haft. Zur Zeit sitzt sie in Untersuchungshaft, einen Antrag auf Freilassung lehnte das Berufungsgericht in Kiew am Freitag (12.08.2011) als grundlos ab. Laut Anklage soll die Ukraine während ihrer Amtszeit als Premierministerin durch nachteilige Gasverträge mit Russland Hunderte Millionen Euro verloren haben. Timoschenko widerspricht dem und wirft der Staatsführung vor, sie wolle nur Gegner von Präsident Wiktor Janukowitsch politisch kaltstellen. Gegen Janukowitsch hatte Timoschenko bei der Präsidentenwahl 2010 knapp verloren.

Sicherheitskräfte gegen Demonstranten

"Wir alle haben den Glauben in diese Regierung verloren. Wenn wir nicht heute die Freiheit verteidigen, wird es vielleicht morgen zu spät sein", sagt Olga aus Kiew, die eine Fahne der Vaterlands-Partei in ihrer Hand hält. "Zuhause ist es langweilig. Ich bin mit Freunden gekommen, um Julia zu unterstützen. Hier bekommen wir auch zu essen", so ein 18-Jähriger.

Sicherheitskräfte postieren sich vor Timoschenko-Anhängern (Foto: AP)
Sicherheitskräfte postieren sich vor Timoschenko-AnhängernBild: AP

Aus Angst vor Unruhen haben die Behörden eine unverhältnismäßig große Anzahl von Sicherheitskräften gegen die Timoschenko-Anhänger aufgestellt. Mit den Demonstranten, aber auch mit Journalisten, gehen sie nicht gerade zimperlich um. Auf Beschluss eines Gerichts, das Massenproteste in einigen Kiewer Stadtteilen verbot, räumten die Einsatzkräfte Zelte von Timoschenko-Anhängern. Anfangs leisteten die Aktivisten Widerstand, aber später entschieden sie sich, ihre Zelte nicht weiter zu verteidigen.

Hingegen in Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, wollen die Anhänger der "ukrainischen Eisernen Lady" trotz eines Verbots auf dem zentralen Platz weiter demonstrieren. "Wir werden hier so lange bleiben, bis Timoschenko freigelassen wird oder wir von der Miliz weggetragen werden", droht der Aktivist Oleg.

Keine Massenproteste wie 2004

Die aktuellen Timoschenko-Demos unterscheiden sich Soziologen zufolge deutlich von den Massenprotesten während der "Orangenen Revolution". Mit Vertretern der Vaterlands-Partei gingen heute meist nur überzeugte Timoschenko-Anhänger auf die Straße, oder Rentner und Arbeitslose, die Zeit für Kundgebungen hätten. Junge Menschen seien aber kaum unter den Demonstranten, stellt Olga Balakirijewa vom ukrainischen Institut für Sozialforschung fest. Das liege auch an der Jahreszeit, denn junge Menschen würden jetzt entweder Urlaub machen oder Ferienjobs haben. "Wenn nicht Sommer wäre, dann würden bestimmt mehr Menschen demonstrieren", so die Expertin.

Nicht nur die Sympathie für Timoschenko eint die Demonstranten, sondern auch die Unzufriedenheit mit der jetzigen Staatsführung, erläutert Balakirijewa. Meinungsumfragen zeigten, dass ausstehende Löhne, steigende Lebensmittelpreise und sinkende Kaufkraft zu Massenstreiks führen könnten.

Gekaufte Demonstranten?

Aktion regierungstreuer Aktivisten (Foto: DW)
Aktion regierungstreuer AktivistenBild: DW

Einer Studie des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie zufolge sind 62,8 Prozent der Ukrainer der Meinung, dass sich ihr Land in die falsche Richtung entwickelt. Am höchsten ist die Unzufriedenheit im Osten und Süden, wo die jetzt regierende "Partei der Regionen" von Präsident Janukowitsch traditionell die größte Unterstützung genießt. Zulauf habe deswegen Timoschenkos Vaterlands-Partei in diesen Regionen aber nicht, erläutert Institutsleiter Wolodymyr Paniotto. Zu sehr seien die Menschen von den Führern der "Orangenen Revolution" enttäuscht. Deswegen sei es auch schwierig, diese Menschen für Proteste zu mobilisieren. Die jetzigen Aktionen hält Paniotto für organisiert.

Nach Presseberichten sollen Teilnehmer der Timoschenko-Demos für zwei Stunden umgerechnet zehn Euro erhalten. "Niemand steht hier für Geld", beteuert aber Wadym Lisowyj, Koordinator der Aktionen. Presseberichten zufolge sollen aber auch die Timoschenko-Gegner, die sich gegenüber den Timoschenko-Anhängern postiert haben, ebenfalls bezahlt werden. Auch sie bestreiten dies.

Autorin: Lilia Hryschko / Markian Ostaptschuk

Redaktion: Mechthild Brockamp