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Tödliches Herpesvirus im Reitsport

Andreas Sten-Ziemons mit St. Georg, SID
4. März 2021

Ein gefährliches Herpesvirus bedroht den Pferdesport. Nach einem Ausbruch in Valencia sind auch in Deutschland zwei Pferde am Virus gestorben. Der deutsche Springreit-Bundestrainer Otto Becker ist besorgt.

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Kroatien Springreiten im Hippodrom von Zagreb
Bild: Igor Kralj/Pixsell/dpa/picture alliance

Im Reitsport geht die Angst um: Bei einer Turnierserie in der spanischen Küstenstadt Valencia haben sich mehrere Pferde mit einer gefährlichen Variante des Herpesvirus infiziert und sind binnen kurzer Zeit daran gestorben. Das Virus breitet sich schnell aus, die Behandlung der erkrankten Tiere ist schwierig, die Aussicht auf Heilung gering. Nachdem zuvor bereits in Spanien einige Pferde verendet waren, sind am Donnerstag auch in Deutschland zwei Pferde nach einer Infektion mit einer neuen Herpes-Variante gestorben. Das bestätigte die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) am Donnerstag. 

Drei weitere Pferde deutscher Reiter waren dem Virus bereits in Valencia erlegen. Weltweit verstarben sieben Tiere an der gefährlichen Virusinfektion. Alle waren mit über 700 weiteren Sportpferden seit dem 1. Februar in Valencia am Start gewesen. Zwei der fünf verstorbenen Pferde von deutschen Reitern sind mittlerweile bekannt. Es handelt sich dabei um die Stuten Quadira und Casta Lee, Pferde von Thessa Thillmann und Tim Uwe Hoffmann, beides Schüler des Springtrainers Hilmar Meyer aus Thedinghausen, einige Kilometer südlich von Bremen. In Thedinghausen hat auch die bekannte deutsch-amerikanische Springreiterin Meredith Michaels-Beerbaum ihren Reitstall.

Otto Becker: "Eine Katastrophe"

Der Ausbruch sei "wahrscheinlich der schlimmste in Europa seit vielen Jahrzehnten", sagte Sabrina Ibanez, die Generalsekretärin des Weltverbands FEI. Insgesamt waren bei den Wettbewerben in Valencia rund 750 Pferde am Start.

Aachen CHIO - Otto Becker Bundestrainer Springreiten
Otto Becker, Bundestrainer der Springreiter, hofft auf eine schnelle Eindämmung des Herpes-AusbruchsBild: Hansjürgen Britsch/Pressefoto Baumann/imago images

"Es ist sehr schlimm", bestätigt auch der deutsche Bundestrainer der Springreiter, Otto Becker, im Gespräch mit der DW. "Es sind viele Tierärzte vor Ort, die die Tiere betreuen. Das ist echt eine Katastrophe gewesen, was da passiert ist." Dabei ist Herpes bei Pferden nicht ungewöhnlich. Tatsächlich sind viele Pferde Träger des sogenannten Equiden Herpesvirus (EHV), das in vier verschiedenen Virusstämmen auftritt. Für Menschen ist das Pferdevirus nicht ansteckend. "Gerade im Frühjahr hört man immer wieder mal von kleineren Ausbrüchen. Unsere Pferde sind auch alle dagegen geimpft", sagt Becker, der selbst einen Reitstall betreibt. Die Virusvariante in Valencia sei aber ungewöhnlich aggressiv. "Eine Impfung scheint nur bedingt zu helfen", so Becker.

Unkontrollierte Verbreitung

Bei der in Spanien aufgetretenen Variante des Herpesstammes EHV-1 befallen die Viren das zentrale Nervensystem. Die Tiere haben zunächst nur leichtes Fieber, später können Lähmungen auftreten, der Gleichgewichtssinn kann beeinträchtigt sein. Die Ursache sind Einblutungen ins Rückenmark, die zu Funktionsstörungen führen. Irgendwann können sich die Pferde nicht mehr selbstständig auf den Beinen halten und müssen mit Gurten aufgerichtet werden, damit man sie behandeln kann. Übersteht ein Pferd die Krankheit, die man mit der Gabe von Cortison zu bekämpfen versucht, bleiben oft Folgeschäden zurück. An Turniersport ist dann nicht mehr zu denken.

Die Lage in Valencia ist schon schlimm genug. Videos in den sozialen Medien zeigen, wie tote Tiere, kopfüber an Traktoren hängend, abtransportiert werden. Die Besitzer der bereits gestorbenen Pferde und der kranken Tiere, die noch in Behandlung sind, erheben schwere Vorwürfe gegen den Weltverband. Dieser habe zu wenig getan, um den Ausbruch einzudämmen und vor allem zu spät reagiert, heißt es.

Darüber hinaus besteht ein weiteres Problem: "Wir wissen, dass eine große Anzahl von Pferden den Veranstaltungsort in Valencia ohne ein offizielles Gesundheitszertifikat verlassen hat, was bedeutet, dass sie einen unbekannten Gesundheitsstatus hatten", sagt FEI- Generalsekretärin Ibanez. "Einige Pferde waren bereits krank, und das Risiko einer Übertragung durch diese Pferde ist ein großes Problem."

Positive Tests bei Pferden von Sven Schlüsselburg

Davon ist auch der deutsche Kaderreiter Sven Schlüsselburg betroffen, von dem zwei Pferde positiv getestet wurden. "Er ist schon eine Woche vor dem Ausbruch aus Valencia zu Turnieren nach Doha abgereist", sagt Otto Becker der DW. "Als der Ausbruch dann bekannt wurde, wurden seine Pferde dort separiert. Ein Pferd hatte am Dienstag leichtes Fieber, aber es ist wohl ein leichter Verlauf. Wir hoffen, dass da nichts nachkommt und es nicht schlimmer wird."

CHIO Aachen | Pferdespringen | Sven Schlüsselberg
Zwei Pferde des Springreiters Sven Schlüsselburg wurden positiv auf das aggressive Herpesvirus getestet Bild: Uwe Anspach/dpa/picture alliance

Auch Deutschlands Nationenpreis-Reiter Christian Ahlmann war zunächst in Valencia und ist nun in Katar, wo die Global Champions Tour starten sollte. Gegenüber dem Pferde-Fachmagazin "St. Georg" sagte er, sein Hengst Dominator, mit dem er am vergangenen Wochenende den Großen Preis gewonnen hatte, sei negativ auf Herpes getestet worden. Weltmeisterin Simone Blum, die sich mit ihrem Top-Pferd Alice ebenfalls in Spanien, aber nicht in Valencia aufhält, schrieb auf Instagram von einem "Alptraum, den niemand erleben möchte".

Der Weltverband FEI hat reagiert und am Montag alle internationalen Turniere in Deutschland und neun weiteren Ländern bis 28. März abgesagt. Auch das Deutsche Olympiade-Komitee für Reiterei (DOKR) handelte und schloss den Bundesstützpunkt in Warendorf für externe Pferde, zudem wurden alle im März anstehenden nationalen Turniere abgesagt. "Wir alle wollen unseren Beitrag dazu leisten, dieses Virus schnellstmöglich wieder einzudämmen", sagte Soenke Lauterbach, der Generalsekretär der FN.

Auswirkungen auf Olympia?

Auch Otto Becker begrüßt die Maßnahmen, will aber nicht ausschließen, dass - neben den Schwierigkeiten und Einschränkungen, die es wegen der anhaltenden Corona-Pandemie ohnehin schon gibt - auch das Herpesvirus noch länger für Probleme im internationalen Reitsport sorgen könnte. Vielleicht sogar bis hin zu den Olympischen Spielen in Tokio.

"Wenn es gelingen sollte, den Ausbruch schnell einzugrenzen, kann ich mir vorstellen, dass es Anfang April normal weitergeht. Dann sehe ich auch für Olympia kein Problem", sagt Becker im Gespräch mit der DW, möchte aber noch gar nicht so weit in die Zukunft schauen. "Die nächste Entscheidung wird sein: Kann das Weltcup-Finale in Göteborg in der ersten Aprilwoche stattfinden? Erst danach kommt die Frage nach Tokio. Aber dazu kann im Moment sicherlich noch niemand etwas sagen."