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Gesellschaft

Tokio streicht Geld für kritische Ausstellung

Martin Fritz
11. Oktober 2019

Weltweit haben Japanologen die Streichung einer staatlichen Subvention für eine Ausstellung kritisiert, die japanische Kriegsgräuel aufgreift. Rechtsnationales Denken reicht bis tief in Parlament und Regierung hinein.

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Japan |  Aichi Triennale 2019 | Statue Trostfrau
Bild: picture-alliance/AP Images/Y. Shimbun

Ein ungewöhnlicher Vorgang hat eine ungewöhnliche Reaktion hervorgerufen: Das japanische Bildungsministerium hat eine bereits zusagte Finanzhilfe von 78 Millionen Yen (660.000 Euro) für die diesjährige Aichi Triennale gestrichen. Daraufhin forderten 158 internationale Japan-Experten, darunter 99 Professoren aus 21 Ländern, die japanische Regierung auf, das Kunstfestival weiter zu unterstützen und die Meinungsfreiheit von Kunst und Wissenschaft sicherzustellen.

Auch in Japan kam es zu negativen Reaktionen. Der Gouverneur der Präfektur Aichi, Hideaki Omura, nannte die Entscheidung "einen offensichtlichen Verstoß gegen Artikel 21 der Verfassung", der die Meinungsfreiheit garantiert. Der Gouverneur will gerichtlich gegen die Streichung der Subvention vorgehen. Die liberale Zeitung Asahi meinte, das Vorgehen könnte international zu Misstrauen und Verachtung führen. Die Zeitung Mainichi kommentierte, die Politik sollte keine Ausstellungsinhalte mit Hilfe von Subventionen auswählen.

Umstrittene Skulptur einer Trostfrau

Der Stein des Anstoßes ist die Sonderschau mit dem Titel "Einschränkung der Ausdrucksfreiheit, danach". Sie zeigt Werke, die andere Kunstausstellungen abgelehnt oder entfernt hatten. Darunter sind Foto-Collagen mit Kriegskaiser Hirohito sowie die Skulptur "Mädchen des Friedens" (Artikelbild). Das Werk des koreanischen Künstlerpaares Kim Seo-Kyung und Kim Eun-Sung erinnert an zahllose koreanische Zwangsprostituierte – die "Trostfrauen" – in Bordellen der japanischen Armee während des Zweiten Weltkrieges. Die erste Skulptur der Kims steht seit 2011 vor der japanischen Botschaft in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Seitdem verlangt Japan von Südkorea, dass dieses künstlerische Mahnmal entfernt wird, bisher vergeblich. Die 

Der japanische Bildungsminister Koichi Hagiuda bestritt, dass die Finanzhilfe wegen des Inhalts der Ausstellung gestrichen wurde. Doch die Unterzeichner der Petition sehen die Meinungsfreiheit bedroht und verlangen die Wahrung der Verfassungsrechte von Künstlern, Journalisten und Wissenschaftlern. Der deutsche Japanologe Reinhard Zöllner von der Universität Bonn erklärte, das Amt für kulturelle Angelegenheiten hätte "eindeutig" in politischem Auftrag gehandelt. Bislang sei vor allem kritischen Zeitungen und Rundfunksendern mit dem Entzug von Subventionen und Lizenzen gedroht worden. "Aber die Bestrafung einer Kunstausstellung durch eine staatliche Behörde bedeutet eine neue Qualität im Umgang mit der Kriegsvergangenheit", sagte Zöllner auf DW-Anfrage.

Südkorea Begräbnis "Trostfrau" Kim Bok-dong in Soul
Die Kontroverse um südkoreanische Zwangsprostituierte in Bordellen der kaiserlichen Armee Japans dauert anBild: Reuters/Kim Hong-Ji

Organisierter Telefonterror

Mit ihrer Unterschriftenaktion machen die ausländischen Japanologen auch darauf aufmerksam, dass die Kontroverse um die Sonderschau kein Einzelfall ist. Denn offizielle Stellen, ranghohe Politiker und ultrakonservative Aktivisten üben schon länger einen starken Druck auf Medien, Künste und Wissenschaft aus, ein positives Bild von Japan zu zeichnen. Andersdenkenden drohen sie Gewalt, Boykott und Strafverfolgung an. Auch die Aichi Triennale wurde von Protestanrufen überflutet. Als ein anonymes Fax einen Brandanschlag ankündigte, musste die Sonderausstellung nach nur drei Tagen schließen. Erst am Dienstag kurz vor Ende des Festivals öffnete sie unter verschärfter Sicherheit wieder für eine begrenzte Zahl von Besuchern.

Jedoch steckte hinter dem Telefonterror keineswegs spontane Bürgerwut. Vielmehr war der Protest gut organisiert, berichtete Triennale-Leiter Daisuke Tsuda. Viele Anrufer lasen ihre Argumente offenbar von schriftlichen Unterlagen ab, hätten seine Mitarbeiter berichtet. Zu solchen Aktionen ist nach Ansicht von Beobachtern nur die Organisation Nippon Kaigi (Japan-Konferenz) fähig. Diese Sammelbewegung von Revisionisten setzt sich seit 1997 laut Selbstdarstellung für die "Wiederherstellung eines schönen Japans und den Bau einer stolzen Nation" ein. Dazu gehören die patriotische Erziehung in den Schulen, die Überarbeitung der pazifistischen Verfassung und eine Rückkehr zu einem kaiserzentrierten System.

Leugnung von Japans Gräueltaten

Koichi Hagiuda japanischer Bildungsminister
Bildungsminister Hagiuda: "Streichung von Subventionen hat nichts mit Zensur zu tun" Bild: picture-alliance/AP Images/K. Sasahara

Ihre 2016 gegründete Unterorganisation "Historical Awareness Research Committee" führt "Geschichtskriege", so ein Buchtitel der konservativen Zeitung Sankei, gegen angeblich falsche und übertriebene Darstellungen von japanischen Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg. Vielmehr hätten sich die "Trostfrauen" freiwillig prostituiert und seien nicht von der japanischen Armee rekrutiert worden. Auch das Massaker von Nanking leugnet dieser Arm der Revisionistengruppe.

Was nach Extremismus klingt, gehört in Japan zum Establishment. "Nippon Kaigi lenkt die Politik in Japan", meinte Tawara Yoshifumi vom Verein "Children and Textbooks Japan Network 21". Mehr als ein Drittel der Parlamentsabgeordneten und über die Hälfte des Kabinetts sind Mitglieder dieser Organisation, Premier Shinzo Abe tritt als Berater dieser Gruppe von Abgeordneten auf. Zu den Anhängern von Nippon Kaigi zählt auch Bildungsminister Hagiuda, der die Subvention für die Aichi Triennale streichen ließ und von Zensur nichts wissen wollte.