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Vernetzte Infrastruktur ist anfällig, aber nicht unheilbar

4. Juni 2018

Der Stromausfall in Hamburg zeigt: In hochentwickelten Industriestaaten können kleine Auslöser riesige Systeme zum Absturz bringen. Notfallsysteme sind schnell überlastet, weil sie viel zu selten gebraucht werden.

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Deutschland Stromausfall im Hamburger Flughafen
Wie geht die Reise weiter? Gestrandete Reisende am Wochenende in HamburgBild: picture-alliance/dpa/D. Reinhardt

An diesem Wochenende legte ein Stromausfall den kompletten Hamburger Flughafen lahm. Schon gut ein Jahr zuvor, war der Betrieb am selben Flughafen durch eine schwere Computerpanne durcheinander gekommen.

Erst im Dezember hatte ein Kabelbrand in Atlanta einen der größten Flughäfen der USA ins Chaos gestürzt. Der dortige Zusammenbruch wirkte sich auf fast alle bedeutenden US-Flughäfen aus, da die Flugpläne eng miteinander verwoben und die Landezeiten knapp getaktet sind. Wie bei fallenden Dominosteinen ging es von einem Flugausfall zum nächsten.

Große Gemeinwesen - komplexe Systeme

Derartige Systemzusammenbrüche gibt es nicht nur im Flugverkehr. Zum Fahrplanwechsel der Deutschen Bahn im Dezember kam es nach Einführung eines neuen Zugbeeinflussungssystems (ECTS) tagelang zu Verspätungen im Fernverkehr. Peinlicherweise geschah das ausgerechnet auf einer neu eingeweihten Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen München und Berlin. Kurz danach legte auch noch ein Orkan den gesamten Bahnverkehr im Lande lahm. 

Aber auch bewährte Anlagen sind nicht störungsfrei: Stellwerksausfälle oder Computerpannen legen immer wieder ganze Metropolenregionen für Stunden oder Tage lahm. 

 

Mehr dazu: Gefahren für Kritische Infrastrukturen durch Cyberattacken und Terroranschläge

Warum ist unsere Hochtechnologie nicht dagegen gefeit?

Da fragt man sich: Wie kann es eigentlich sein, dass hochentwickelte Industriegesellschaften derartig anfällig für technische Systempannen sind?

Eigentlich sind alle kritischen Systeme immer redundant ausgeführt: Gibt es beispielsweise einen Stromausfall, setzt eine unterbrechungsfreie Stromversorgung ein. Die überbrückt die Zeit, bis die Notstromaggregate laufen, und stellt sicher, dass zumindest Rechner und Geräte, die für den Betrieb lebenswichtig sind, ununterbrochen weiterlaufen.

Dasselbe gilt für die Computer selbst: Bei großen Unternehmen werden die Server immer doppelt ausgeführt - die sogenannte Redundanz. Bricht ein System zusammen, übernimmt automatisch das zweite die Aufgaben. Meist passiert das so, dass die Nutzer es kaum oder gar nicht merken.

Idealerweise stehen diese redundanten Systeme nicht an einem Standort, sondern sind über mindestens zwei Unternehmenssitze verteilt - am besten in einer anderen Stadt oder gar in einem anderen Land. 

Redundanz ist nicht alles - Vernetzung schafft Abhängigkeiten

Die Redundanz selbst, die heutzutage bei jedem komplexen System dazugehört, stellt sicher, dass es im Großen und Ganzen eher selten zu totalen Systemausfällen kommt. Wären die Rechenanlagen der heutigen Flughäfen, Banken und Bahnnetze nicht entsprechend konstruiert, könnten wir täglich solche schweren Havarien wie jetzt in Hamburg erleben.

Gleichzeitig wächst aber die Komplexität der Aufgaben, die uns die Technik abnimmt, immer weiter. Die Anzahl der Schnittstellen, die miteinander kommunizieren, wird unübersichtlicher. Ohne das eine System funktioniert das andere nicht. So kann es schnell passieren, dass eine scheinbar kleine Ursache Folgewirkungen auslöst, die sich zu einer mittelgroßen Blockade hochschaukeln können.

Geringe Komplexität - einfache Lösungen

Ein kleiner Flughafen in einem Land, indem es regelmäßig zu Stromausfällen kommt, kann oft besser damit umgehen: Der Flughafen ist meistens nur tagsüber anzufliegen, so dass ein Pilot auch Sichtflug wagen kann. Und pragmatische Lösungen liegen nahe: Fallen die Gepäckbänder aus, nehmen sich die Passagiere ihre Koffer eben direkt vom Rollfeld mit. Streiken die Computer, bekommen die Reisenden vorgedruckte Bordkarten ausgehändigt und werden per Hand auf einer Liste vermerkt. 

So etwas geht jedoch nicht bei einem großen Flughafen wie in Hamburg, der im Jahr etwa 18 Millionen Passagiere abfertigt. Dort kann es trotz aller eingebauten Redundanz zu Situationen kommen, mit denen der Betrieb überfordert ist.

Pragmatische Lösungen verbieten sich oft, weil dann die gesamte Sicherheitsarchitektur des Flughafens in Frage stünde. Da reicht es schon, wenn die Gepäckbänder nicht mehr mitspielen oder der Scanner am Gate die Bordkarten nicht mehr einlesen kann. So mussten 2009 in Frankfurt nach einer Computerpanne zehntausende Passagiere Bordkarten bekommen, die von Hand ausgefüllt wurden. Die Folge: massive Verspätungen im Flugbetrieb. 

Wenn - wie jetzt geschehen - durch einen Stromausfall viele einzelne Teilsysteme betroffen sind, ist das vielleicht für die Einzelsysteme gesehen nicht existenziell. Fallen die vielen Bausteine eines Flughafens aber in der Masse aus, ist ein ordnungsgemäßer Betrieb nicht mehr möglich.

Hohe Komplexität - große Leistungsfähigkeit

Je seltener eine solche Situation eintritt, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass im Ernstfall die Belastungsgrenzen des Betriebes schnell erreicht werden, weil es weniger Erfahrung und Routine im Umgang mit solchen Pannen gibt. 

Das gleiche gilt übrigens für die Bahn: Züge die mit 300 Kilometern pro Stunde fahren, sind auf hochmoderne Steuerungstechnik angewiesen. Müssen sie wegen eines Systemausfalls plötzlich langsamer fahren, bringt das den gesamten Fahrplan durcheinander - meistens nicht nur auf einer Strecke.

Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Immerhin gelingt es bei solchen Pannen meist, sie innerhalb von Stunden bis zu wenigen Tagen zu beheben. Und dann dauert es auch nicht lange, bis diese Riesenbetriebe ihre volle Leistungsfähigkeit wieder erreichen. Dank - nicht trotz - der komplexen Technik, ohne die unsere Industriegesellschaften schon längst nicht mehr funktionieren würden.