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Tour de France: Der Tod von Gino Mäder fährt mit

Tom Mustroph
28. Juni 2023

Gino Mäder war einer der vielversprechendsten Schweizer Radprofis. Gut zwei Wochen vor seinem möglichen Tour de France-Debüt kam er bei der Tour de Suisse ums Leben. Der Radsport sucht seitdem nach Halt.

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Plakat mit der Aufschrift "We ride for you Gino!" nach dem tödlichen Unfall des Schweizers bei der Tour de Suisse
Plakat mit der Aufschrift "We ride for you Gino!" nach dem tödlichen Unfall des Schweizers bei der Tour de SuisseBild: Vincent Kalut/IMAGO

Bei der Tour de France 2023 fährt der Tod mit. Denn die Radprofis werden sich währen der dreiwöchigen Rundfahrt immer wieder an den vor knapp zwei Wochen verstorbenen Berufskollegen Gino Mäder erinnert fühlen. 26 Jahre wurde Mäder alt, der Sturz in eine Schlucht auf der Abfahrt vom Albula-Pass in Graubünden während der 5. Etappe der Tour de Suisse wurde ihm zum Verhängnis.

Die Bilder des Abhangs und der bunten Punkte der unten versammelten Rettungskräfte haben sich in das Bewusstsein vieler eingeprägt: Der Fahrer, die unmittelbar dabei waren, derer, die das Rennen am Fernseher verfolgten und auch derer, die sich die Sequenzen immer wieder im Internet angeschaut haben. Bei jeder Abfahrt, die das Tour de France-Peloton in Angriff nimmt, werden die Gedanken an Gino Mäder durch den Kopf schießen.

Zu Ehren von Gino Mäder

"Wir wollen in Erinnerung an ihn fahren und diese Tour de France ihm widmen", kündigte der leitende Sportdirektor von Mäders Rennstall Bahrain Victorious, Gorazd Stangelj, bei der Vorstellung des aktuellen Tour de France-Kaders an. "Wir haben in diesem Jahr eine extra Motivation. Alle von uns sind schwer getroffen durch den Verlust von Gino. Wir wollen für ihn jeden Tag unser Bestes geben, für ihn fahren und ihn so ehren", sagte Mannschaftskapitän Mikel Landa. 

Eigentlich wollte der Baske bei dieser Tour auch auf seinen jungen Teamkollegen bauen. Denn die Zeit war reif für das Tour de France-Debüt des talentiertesten Schweizer Radprofis der Gegenwart. Vor zwei Jahren glänzte er mit einem Etappensieg beim Giro d'Italia. Bei der Vuelta a Espana 2021 fuhr er dank einer famosen Attacke auf der vorletzten Etappe durch das Hügelland Galiziens noch auf Platz 5 der Gesamtwertung vor. Selbstlos brachte er dabei seinen Kapitän Jack Haig aufs Podium der Rundfahrt. Ähnliche Glanztaten durften sich die Betreuer und Teamkollegen von Mäder auch bei der diesjährigen Frankreichrundfahrt erhoffen.

Unfallursache ungeklärt

Doch dann kam der Sturz dessen genaue Umstände noch immer nicht geklärt sind. Die Ermittlungen der Schweizer Polizei laufen. War es ein Materialfehler? War es ein Fahrfehler von Mäder oder einem anderen Fahrer? Mäders Landsmann Stefan Bissegger, der bei der Tour de Suisse dabei, sagte der Zeitung Blick: "Ich habe die Kurve nicht als gefährlich eingestuft." Auch Beat Wettstein, Bereichsleiter Sicherheit bei der Tour de Suisse, sieht keine außerordentliche Gefahr. "Die Kurve ist gut einsehbar, dann geht sie etwas zu, ehe es wieder nach rechts geht." Der Belag der Straße sei gut, sagte Wettstein. 

Ratlosigkeit und tiefe Trauer begleiten seit Mäders Tod den Radsport, der wohl selten so vereint war wie durch dieses Drama. Die Fahrer, der Weltverband UCI und die Organisatoren hatten sich während der Tour de Suisse unmittelbar nach der Todesnachricht dazu entschieden, die 6. Etappe in eine Gedenkfahrt für Mäder umzuwandeln. Mit bewegter Miene spulten die Radprofis an diesem 16. Juni die 20 Kilometer ab.

Rettungskräfte an der Unglücksstelle des Radprofis Gino Mäder an der Abfahrt vom Albula-Pass in den Schweizer Alpen.
Rettungskräfte an der Unglücksstelle an der Abfahrt vom Albula-PassBild: Zac Williams/picture alliance/KEYSTONE

Grüße gen Himmel

Ob Weltmeister Remco Evenepoel auf der 7. Etappe der Tour de Suisse, Mäders Landsmann Simon Pellaud bei der Slowenien-Rundfahrt oder der Slowene Matej Mohoric aus Mäders Team Bahrain Victorious (ebenfalls bei der Slowenien-Rundfahrt): Grußbotschaften in Richtung Himmel und somit dem verstorbenen Mäder sah man in den letzten Wochen häufig in den Rennen der UCI-World-Tour. 

Auch bei der Tour de France sind derartige Bekundungen zu erwarten. Als "tollen Radfahrer, aber vor allem einen guten Menschen", bezeichnete der größte Schweizer Radsportler der Geschichte, Fabian Cancellara, Mäder im Rahmen einer extra organisierten Gedenkfahrt eine Woche vor dem Tourstart in Bilbao. Cancellara stand Mäder nahe und machte sich Hoffnungen, den Landsmann im nächsten Jahr zu seinem aufstrebenden Tudor-Rennstall als Siegfahrer holen zu können.

Radsport-Idol Fabian Cancellara (vorne links) bei der Gedenkveranstaltung für den verstorbenen Gino Mäder
Radsport-Idol Fabian Cancellara (vorne links) bei der Gedenkveranstaltung für den verstorbenen Gino Mäder Bild: Michael Buholzer/KEYSTONE/picture alliance

"Die Traurigkeit kommt immer wieder, teilweise völlig unerwartet", sagte Cancellara am Rande der Gedenkveranstaltung am Samstag. "Aber ich habe auch schon geschmunzelt, als ich an die Gespräche mit Gino zurückgedacht habe." Bei aller Trauer soll die Fröhlichkeit, die Mäder ausstrahlte, nicht vergessen werden. Dass sein Lachen jetzt nur noch auf Fotos und Videos zu erleben ist, trägt andererseits wieder zur Trauer bei.

Erinnerungen an andere Todesfälle

Der Radsport durchlebt seit Mäders Tod nicht zum ersten Mal einen Prozess der kollektiven Trauer. "Wieder musste einer von uns zu früh gehen", twitterte der belgische Radprofi Thomas de Gendt und dachte dabei sicher auch an seinen früheren Kollegen und Freund Wouter Weylandt, der nach einem Sturz beim Giro d'Italia 2011 ums Leben gekommen war. De Gendt fasste damals die Risiken des Sports so zusammen: "Es ist ein gefährlicher Sport. Aber in dem Moment, in dem du auf die Bremse gehst, wirst du kein Rennen gewinnen."

Doch Todesfälle wie die von Weylandt und Mäder rufen die Frage nach der Priorisierungen im Radsport immer wieder auf schmerzliche Art und Weise in Erinnerung. Sieg und Spektakel, Leben und Tod - was ist im Radsport am wichtigsten?