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Tourismus als Friedensindustrie?

27. September 2011

940 Millionen Reisende haben im vergangenen Jahr internationale Grenzen überquert – so viele nie zuvor. Das wirft für die UN-Welttourismus-Organisation Fragen nach der Ökobilanz dieser Branche auf.

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Sonnenschirme am Strand in Thailand (Foto: picture alliance)
Die Strände sind voll, denn die Menschen reisen gerneBild: picture alliance/Bildagentur-online

"Reisen veredelt den Geist und räumt mit unseren Vorurteilen auf", stellte der irische Schriftsteller Oscar Wilde im 19. Jahrhundert fest. Übersetzt ins Jahr 2011 heißt das: "Reisen ist ein demokratischer Akt. Jeder Mensch hat das Recht, sich frei zu bewegen. Das ist ein Menschenrecht, kein Luxus." So lautet das Kredo der UN-Welttourismus-Organisation UNWTO anlässlich des diesjährigen Welt-Tourismus-Tages. Generalsekretär Taleb Rifai möchte "die Menschen ermuntern, mehr zu reisen. Aber der Tourismus muss nachhaltig und verantwortlich wachsen", gibt er zu bedenken.

Ungeachtet aller Krisen - ausgelöst durch politische Umbrüche oder Naturkatastrophen - wächst der Tourismus stetig. Schon jetzt macht die Branche fünf Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Einer von zwölf Arbeitsplätzen weltweit hängt vom Tourismus ab; sechs Prozent aller globalen Warenexporte und Dienstleistungen werden im Reisesektor erwirtschaftet. 2020 werden 1,6 Milliarden Menschen grenzüberschreitend verreisen, so die Vorhersage der UNWTO. Doch das scheinbar grenzenlose Wachstum stellt Veranstalter, Politiker und die Reisenden selbst vor neue Herausforderungen.

Tourismusbranche ist in der Pflicht

Im Zeitalter des vom Menschen gemachten Treibhauseffekts, dem Streit um verbindliche Emissionsgrenzen von CO2 und der zunehmenden Versteppung und Verwüstung weiter Landstriche wirft so manches Tourismusprojekt Fragen nach der Ökobilanz dieser Branche auf. Kaum ein Reiseziel kann heute erreicht werden, ohne Kohlendioxid zu produzieren. Jede Hotelanlage verursacht enormen zusätzlichen Strom- und Trinkwasserverbrauch; Golfplätze konkurrieren häufig mit der örtlichen Landwirtschaft um knappe Wasserressourcen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Taleb Rifai (Archivfoto: DW)
Taleb RifaiBild: DW

Die UNWTO appelliert an die Selbsterkenntnis und Eigenverantwortung von Reiseveranstaltern und Politikern, um die negativen Auswirkungen der Tourismusindustrie zu begrenzen. "Wir müssen dafür sorgen, dass sich der Tourismus nicht negativ auf die Umwelt, auf Gesellschaft und Kultur und auf die Wirtschaft auswirkt, sondern nachhaltig wächst. Eine intakte Umwelt und das kulturelle Erbe sind das natürliche Kapital des Tourismus. Das gilt es zu bewahren und zu vermehren", sagt UNWTO-Generalsekretär Taleb Rifai.

Die Tourismus-Organisation der Vereinten Nationen fordert daher die verbindliche Verabschiedung eines Globalen Ethik-Codes für Tourismus, mit dem Ziel, die positiven wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Auswirkungen der Reisebranche verstärkt zu fördern und die negativen Folgen für Umwelt und Gesellschaft weitestgehend zu minimieren. Dieses Konzept von Nachhaltigkeit in der Reisebrache hat das Internationale Institut für Frieden durch Tourismus (IIPT) mit Sitz in den USA bereits 1998, vier Jahre vor dem UN-Nachhaltigkeits-Gipfel von Rio, auf der ersten Globalen Tourismus-Konferenz in Vancouver verabschiedet. Und das Konzept funktioniert: Reisende seien heute ökologisch, kulturell und gesellschaftlich gebildet, so der IIPT-Vorsitzende Louis D'Amore: "Touristen suchen heute das echte Leben, wenn sie verreisen. Sie wollen die Menschen an den Orten, wohin sie reisen, kennenlernen. Sie wollen etwas über ihre Kultur und ihre Geschichte erfahren."

Touristen auf einem selbstgebauten Floß (Foto: CC/bloodless)
Ökotourismus, wie hier auf einem Fluß in Kolumbien, trägt zum Umweltschutz beiBild: CC/bloodless

D'Amore sieht seine Einschätzung durch aktuelle Entwicklungen belegt: Die am schnellsten wachsenden Tourismussektoren sind Kultur- und Bildungsreisen sowie der sogenannte Freiwilligen-Tourismus. "Jeder fünfte international Reisende ist heute unter 25 Jahre alt. Diese jungen Menschen reisen durch die Welt und wollen mit anderen jungen Menschen in Kontakt kommen. Diese junge Generation ist unsere Zukunftshoffnung. Wir erleben gerade die Entstehung einer Generation von Weltbürgern."

Diese Weltbürger sind für UNWTO-Generalsekretär Rifai Kulturbotschafter im weitesten Sinne: "Kultureller Wandel geht Hand in Hand mit dem Tourismus. Wir wünschen uns, dass dieser Wandel einen Beitrag zu einer toleranteren Welt leistet, einer Welt, in der Respekt vor den Besonderheiten und Eigenschaften der Völker herrscht. In unserem globalen Ethik-Code fordern wir, dass die Werte der Länder und Kulturen, die ein Tourist bereist, respektiert werden müssen!"

Eine dynamische Wachstumsbranche

Dass die weltweite Reisebranche trotz Naturkatastrophen und politischer Krisen ungebremst wächst, verdankt sie ihrer Flexibilität. Doch des einen Segen ist des anderen Fluch: Sobald ein Reiseziel ausfällt, werden die Touristenströme umgeleitet. So haben Hoteliers in Tunesien und Ägypten in dieser Saison vielfach vergeblich auf die sonnenhungrigen Europäer gewartet. Verunsichert durch die Aufstände in Nordafrika haben diese stattdessen an den Stränden in Spanien, Italien oder auch der Karibik Erholung gesucht.

Doch der arabische Frühling ist nicht das Ende des Tourismus für diese Länder. "Die demokratische Öffnung und Transparenz wird für ein besseres Geschäftsklima sorgen, das die Entwicklung des Tourismus beflügeln wird", gibt sich Taleb Rifai optimistisch, und verweist zur Bestätigung auf ähnliche Entwicklungen: "Spanien ist heute eines der erfolgreichsten Reiseziele der Welt. Die meiste Infrastruktur des Landes sowie viele Hotels sind noch unter der Franco-Diktatur entstanden. Doch erst seit das Land demokratisch ist, ist es zu einem der wichtigsten Reiseziele der Welt geworden. Denn erst unter der Demokratie konnten die kreativen Kräfte der kleinen und mittleren Unternehmer freigesetzt werden. Wir sind davon überzeugt, dass Ägypten und Tunesien ähnliche Erfahrungen machen werden."

Tourismus als Entwicklungsmotor und als Friedensindustrie – eine anspruchsvolle Vision, die jedoch nicht dazu verleiten darf, die Schattenseiten wie Umweltbelastung, Konflikte um Zugang zu Wasser, Prostitution etc. zu ignorieren. Dennoch: die wirtschaftliche Bedeutung der Reisebranche macht sie zu einem weiteren Instrument, um die Millenniumsentwicklungsziele umzusetzen, so Taleb Rifai abschließend: "Tourismus ist Teil der Entwicklungsangenda der Vereinten Nationen: er trägt zur Armutsbekämpfung bei, zur Stärkung der Position von jungen Frauen in der Gesellschaft und in der Arbeitswelt sowie zu mehr Umweltbewusstsein."

Hotel am Strand von Mallorca (Foto: dpa)
Der Tourismus in Spanien ist zum Massenphänomen gewordenBild: picture-alliance/ ZB

Autorin: Mirjam Gehrke
Redaktion: Marco Müller