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Transatlantischer Wandel

27. November 2011

Am Montag empfängt US-Präsident Obama europäische Spitzenpolitiker zum Gipfeltreffen in Washington. Es geht um die Wirtschaft, internationale Krisenherde – und um die Zukunft der transatlantischen Beziehungen.

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USA-EU flaggen
Die transatlantischen Beziehungen erleben eine turbulente ZeitBild: AP Graphics/DW

Es ist erst wenige Wochen her, da bekam US-Präsident Barack Obama einen Crashkurs in europäischer Politik, wie er scherzend bemerkte. "Es gibt eine Menge Besprechungen hier", erklärte er während der Pressekonferenz zum Abschluss des G-20 Gipfels im französischen Cannes. "Alle diese Interessen zu koordinieren ist mühsam und zeitaufwändig", fügte er hinzu. Nicht nur für den Präsidenten ist es schwer zu verstehen, warum die Europäer sich so oft treffen, ohne zu konkreten Ergebnissen zu kommen.

Jetzt ist Europa in Washington zu Gast. Am Montag (28.11.2011) treffen der europäische Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Ratspräsident Herman Van Rompuy mit Präsident Obama zum jährlichen EU-US-Gipfel zusammen. Und auch dabei werden keine bahnbrechenden Ergebnisse erwartet. Es ist ein "kontinuierlicher Dialog", heißt es in europäischen Diplomantenkreisen in Washington. Gleichzeitig weist man darauf hin, dass es das erste Mal ist, dass die EU bei einem Gipfel in den USA nur von den "europäischen" Politikern und nicht mehr von einem Staats- oder Regierungschef einer der Mitgliedstaaten vertreten wird. Europa spricht also jetzt tatsächlich mit einer Stimme.

Wirtschafts- und Finanzkrise dominierendes Thema

Dominierendes Thema der Gespräche werden die Wirtschafts- und Finanzkrisen sein, die beiderseits des Atlantiks die politische Tagesordnung bestimmen. Geplant ist die Einrichtung einer Arbeitsgruppe, die Wege finden soll, die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen weiter zu verbessern, um Arbeitsplätze zu schaffen und das Wachstum anzukurbeln. Die Erkenntnisse dieses Gremiums sollen dann beim nächsten Gipfeltreffen 2012 vorgestellt werden. Dabei sind die transatlantischen Handels- und Investitionsbeziehungen bereits jetzt beispiellos in der Welt. Sie machen 49 Prozent des globalen Bruttoinlandsproduktes aus und ein Drittel des Welthandels. 1,8 Milliarden Euro an Waren und Dienstleistungen überqueren täglich den Atlantik, mehr als 15 Millionen Arbeitsplätze werden damit verbunden.

Neben der Wirtschaft, um die es außerdem bei dem transatlantischen Wirtschaftsrat am Dienstag gehen wird, gibt es bei dem Gipfel noch viele andere Themen zu besprechen: die Entwicklungen in der arabischen Welt, den Nahost-Friedensprozess, die nuklearen Ambitionen Irans, die Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus, in der realen Welt wie im Cyberspace, sowie Energiesicherheit und Klimawandel, um nur einige zu nennen. Hinzu kommen Abkommen wie das jüngst vereinbarte über den Austausch von Flugpassagierdaten, das den Europäern mehr Rechte einräumt als das jetzt gültige.

Kalte Schulter für Europa?

Obama, Hu Jintao
Die Ausrichtung Washington's nach Asien macht Europa zu schaffenBild: dapd

Doch die Europäer machen sich Sorgen, dass die USA sich verstärkt nach Asien orientieren. Schließlich hat der US-Präsident gerade eine zehntägige Reise in die Region hinter sich und dabei erklärt, dass jetzt das pazifische Jahrhundert angebrochen sei. Da ist man bei den Europäern besonders froh, dass der Gipfel diesmal nicht mit anderen Terminen kombiniert wurde, sondern für sich alleine steht. Sie wollen die Verhältnisse aus ihrer Sicht wieder gerade rücken.

Doch die Europäer machten sich unnötige Sorgen, meint Daniel Hamilton, Direktor des Zentrums für Transatlantische Beziehungen an der "Paul H.Nitze School of Advanced International Studies" in Washington, DC. Die umfangreichen Wirtschaftsbeziehungen zeigten, wie eng man miteinander verflochten sei. "Wir sind eine pazifische wie auch eine atlantische Macht, das ist seit ein paar Jahrzehnten so", sagt der Transatlantiker.

Vier Transatlantische Zukunftsszenarien

Daniel Hamilton ist einer der Herausgeber einer Studie der Heinrich-Böll-Stiftung mit dem Titel "Transatlantik 2020 – Eine Geschichte von vier Zukunftsszenarien". Darin werden vier mögliche Bilder einer transatlantischen Zukunft entworfen: ein erweitertes, einflussreiches atlantisches Netzwerk, das Afrika und Lateinamerika mit einschließt; ein isoliertes Amerika, das an Einfluss verloren hat; ein Europa, das ins Hintertreffen geraten ist; und schließlich: Europa und Amerika, die beide aufgrund ihrer Finanzprobleme und der überalterten Bevölkerung hinter die aufstrebenden Schwellenländer zurückgefallen sind.

euro und dollar münzen
Die jeweiligen Finanzkrisen verschieben die traditionellen MachtzentrenBild: picture alliance / dpa

Fest steht, so Hamilton: "Politisch ist das Bündnis nicht mehr das, was es war." Das sei aber als positive Entwicklung zu sehen, denn die Stabilität Europas sei eben nicht mehr, wie im 20. Jahrhundert, das Hauptproblem der Amerikaner, als Europa der "Gefahrenherd der Welt" war. Jetzt gehe es darum, "ob die Europäer fähig sind, mit den Amerikanern als Partner aufzutreten, um Klimaschutz, um Afghanistan, um den Herausforderungen in der arabischen Welt gemeinsam zu begegnen – oder nicht." Und ob die Amerikaner fähig seien, mit Partnern zu arbeiten, wenn sich die Zusammenarbeit aus amerikanischer Sicht frustrierend und schwierig gestaltet.

Hat die transatlantische Beziehung noch Kraft?

Die Politiker hätten es in der Hand, die Richtung der Entwicklung mit zu bestimmen, so Hamilton. Der Umgang mit der schwierigen Wirtschaftslage, die auf beiden Seiten des Atlantiks auch eine politische Krise ist, sei hier entscheidend. Um international weiter als Vorbild zu gelten und Einfluss zu haben, müssten sie zeigen, so Hamilton, dass die eigene Bevölkerung davon profitiert. Und die wichtigste Funktion der transatlantischen Gemeinschaft müsse gestärkt und gegebenenfalls erweitert werden, so Hamilton: "Wenn wir uns einig sind, transatlantisch, bilden wir fast immer den Kern einer erweiterten globalen Koalition, um ein Ziel – was auch immer das sein mag – zu erreichen." Wenn es aber keine transatlantische Einigkeit gibt, dann gebe es keine andere Koalition, die diese Aufgabe übernehmen könne. Hamilton ist optimistisch, dass die Probleme gelöst werden und die transatlantischen Beziehungen auch in Zukunft bedeutsam bleiben.

Globale Kräfteverschiebung?

Stephen Szabo, Direktor der Transatlantischen Akademie in der US-Hauptstadt, ist da pessimistischer: "Die USA verlieren den Glauben daran, dass die EU die Stimme Europas ist, angesichts dessen, was in den letzten ein bis zwei Jahren in Europa passiert ist." Sie hätten es gerne, so Szabo, dass die EU geschlossen auftritt, aber die Skepsis, dass das tatsächlich der Fall ist, würde wachsen. In Washington sei man zunehmend der Ansicht, dass das eigentliche Machtzentrum Europas derzeit vor allem in Berlin zu finden ist. Europa werde als Problem, nicht als Partner gesehen.

Szabo geht sogar noch weiter: Dies sei einer der Wendepunkte in der Geschichte, in der der Einfluss des Westens zurückgehe und der Einfluss der aufstrebenden Nationen zum Beispiel im Pazifik zunehme. "Es besteht die Aussicht, dass es zu einer grundlegenden Verschiebung der Kräfteverhältnisse in der Welt kommt", so Szabo. Und die politische Polarisierung in den USA sowie die politische Unfähigkeit in Europa, wichtige Entscheidungen gemeinsam zu treffen, stimmten ihn pessimistisch. "Wir verlieren die Kontrolle über unser eigenes Schicksal." Auch die USA könnten schon bald, wie Europa, aufgrund von schwierigen wirtschaftlichen Umständen zu Entscheidungen gezwungen sein, die man eigentlich nicht wolle. Die Folge: Es werde keine dominante globale Macht mehr geben, was die Lösung von internationalen Problemen noch schwieriger mache.

Ganz gleich, ob Optimisten oder Pessimisten Recht behalten: Die Veränderung des transatlantischen Verhältnisses ist nicht mehr aufzuhalten. Die Richtung aber ist möglicherweise noch beeinflussbar.

Autorin: Christina Bergmann, Washington
Redaktion: Rob Mudge