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9. Lose kaufen für die Inklusion – die Aktion Mensch

26. November 2020

Für Menschen, die unseren Podcast nicht hören können, stellen wir hier ein Transkript zur Verfügung. In Folge 9 wird das Konzept hinter der Aktion Mensch diskutiert: Lotterie spielen und Gutes tun.

https://p.dw.com/p/3lqq3

Zum Podcast geht es hier.

Moderator Matthias Klaus: Willkommen zu "Echt behindert!" Ich bin Matthias Klaus. Anfang der 80er Jahre. Ich ging damals zur Blindenschule in Marburg. Da hatten wir eine Schülerband. Auf dem VW-Bus, mit dem wir zu den Auftritten fuhren, stand groß der Schriftzug "Aktion Sorgenkind". Ok, wir hatten einen echten Band Bus. Das fanden wir natürlich super. Aber musste da wirklich "Aktion Sorgenkind" draufstehen?

Als Sorgenkinder fühlten wir uns nun wirklich nicht. In etwa zur selben Zeit gewann unser Musiklehrer an derselben Schule bei der Lotterie der Aktion Sorgenkind so viel Geld, dass er unserer Schule davon eine Ausstattung von Keyboards und Synthesizern spendieren konnte. "Naja", dachte ich dann, "So schlecht ist die Aktion Sorgenkind vielleicht doch nicht".

Das ist lange her. Aus der Aktion Sorgenkind ist inzwischen die Aktion Mensch geworden. Die ist heute ein wichtiger Player, wenn es um die Förderung von Inklusion geht. In "Echt behindert!" geht es heute um die Aktion Mensch, um die Frage: Was macht die eigentlich? Und wie funktioniert sie? Dazu begrüße ich hier Christina Marx von der Aktion Mensch. Hallo und schönen guten Morgen.

Christina Marx: Guten Morgen, Herr Klaus.

Matthias Klaus: Erste Frage was machen Sie denn genau bei der Aktion Mensch?

Christina Marx: Ja, ich leite den Bereich Aufklärung. Das heißt, mein Job ist es, die breite Öffentlichkeit für das Thema Inklusion zu interessieren, zu sensibilisieren, aber auch zu zeigen, wo es in unserer Gesellschaft noch Hindernisse gibt, wenn es um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geht.

Matthias Klaus: Das machen Sie jetzt wie lange schon?

Christina Marx: Das mache ich seit 2013, fast sieben Jahre.

Matthias Klaus: Die Aktion Mensch hieß früher Aktion Sorgenkind. Die gibt es jetzt auch schon eine Weile. Sie wissen vielleicht, wie das damals alles angefangen hat.

Christina Marx: Die Aktion Mensch oder damals Aktion Sorgenkind gibt es seit mehr als einem halben Jahrhundert. Angefangen hat es 1964 ganz genau. Der Ausgangspunkt der Aktion Sorgenkind war der Contergan-Skandal seinerzeit. Frauen hatten in der Schwangerschaft ein Medikament eingenommen, ein Schlafmittel der Firma Grünenthal Contergan, und in der Folge kamen Kinder mit schwersten Fehlbildungen zur Welt.

Das waren ungefähr 5.000 Kinder, die das betraf und Familien, die davon betroffen waren. Die Eltern haben schon seinerzeit darauf aufmerksam gemacht. Ein ZDF Journalist, Hans Mohl, ein Gesundheits- und Medienjournalist, ist auf diese Geschichte aufmerksam geworden und hat darüber berichtet. Er hat einfach gezeigt, wie schlimm auch die Verhältnisse in den Heimen oder damals sagte man ja auch noch Anstalten waren, wo die Kinder aufwuchsen und betreut wurden.

Er hat das ins Fernsehen gebracht und damals gab es nur ARD und ZDF und kein Internet und kein Privatfernsehen, sodass es viele, viele Leute gesehen haben. Die haben dann gesagt "Na ja, man muss doch was tun. Können wir spenden?" Und daraus ist eigentlich diese ganz schlaue Idee der Lotterie geworden, dass nämlich Hans Mohl und das ZDF gesagt haben, "Naja, wir könnten das doch auch mit einer Lotterie verbinden, das Gute mit dem Gewinnen verbinden".

So ist das entstanden, was heute die Aktion Mensch/ Aktion Sorgenkind Soziallotterie ist.

Matthias Klaus: Mit der Aktion Mensch sind sie eine Lotterie und in behinderten Kreisen natürlich sehr bekannt. Aber wie ist das mit der deutschlandweiten Bekanntheit? Kann man das noch vergleichen mit damals?

Christina Marx: Wenn man jetzt mal die Bekanntheit der Aktion Mensch Marke misst und das tun wir ja, dann ist die Bekanntheit bei nahezu 100 Prozent. Wenn Sie Leute fragen Aktion Mensch, hast du schon mal was davon gehört? Dann sagt fast jeder Bürger, jede Bürgerin in Deutschland, "Ja, die Marke kenne ich".

Die Bekanntheit ist da, aber die Kanäle, wie man natürlich auch die breite Öffentlichkeit erreicht, die sind eine andere. Es gibt nicht mehr die große Fernsehshow. Das Internet und das Bezahlfernsehen haben viel mehr an Bedeutung gewonnen. Das hat auch uns natürlich dazu bewogen, anders zu kommunizieren, die Leute zu erreichen als vielleicht noch vor 50 Jahren.

Das heißt auch, dass wir YouTube oder auch Twitter und Social-Media als Kanäle haben. Aber das Fernsehen ist nach wie vor ein Massenmedium und das ist auch nicht zu unterschätzen. 

Matthias Klaus: Wie sich das damals angehört hat hören wir jetzt mal kurz.

Wim Thoelke: (Eine Glocke läutet) Guten Abend. Ich finde, wir reden beim Großen Preis viel zu oft von den wirklich großen Preisen, aber wenn Sie ein Monatslos kaufen für drei Mark oder ein Jahreslos für 36 Mark, können Sie ja nicht nur 10.000 oder 100.000 Mark  gewinnen. Nein, es gibt eine Unmenge von attraktiven anderen Preisen. Mehr als 150.000 Mitspieler haben in den letzten Jahren 100 Mark oder 1.000 Mark gewonnen. Damit kann man sich viele kleine Wünsche erfüllen, z.B. einen modernen Staubsauger kaufen oder einen Kühlschrank. Man kann sich einen Traum....

Matthias Klaus: Was haben Sie für Gefühle, wenn Sie sowas hören?

Christina Marx: Ja, das ist natürlich so ein bisschen auch Nostalgie. Ich war damals noch ein Kind und das war dann schon im Schlafanzug vorm  Fernsehen sitzen mit der Wolldecke über den Beinen... Wir haben uns immer darauf gefreut, wenn Wum und Wendelin kamen, die wir auch so lustig fanden. Die beiden - der Hund und der Elefant. Irgendwie ist man auch mit Wim Thoelke und den Rate Teams aufgewachsen und hat mitgeraten und mitgefiebert. Ich habe bei Risiko Fragen überlegt, "könnte ich die Antwort auch wissen?"

Matthias Klaus: Risiko!!!!

Christina Marx: Ja, genau. Das ist natürlich einfach ein Stück Kindheitserinnerung. Wahrscheinlich für viele ihrer Hörerinnen und Hörer auch.

Matthias Klaus: Gleichzeitig gab es die Behindertenbewegung. Es gab dann auch die Krüppel Bewegung. Wir hatten das hier neulich in der Folge mit zwei Menschen von Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben e.V., die aus den alten Zeiten erzählt haben.

Man war auch teilweise ein bisschen verfeindet. Die Aktion Sorgenkind wirkte immer so ein bisschen wie "Wir helfen den armen Behinderten". Und dann machten sie noch was mit Pränataldiagnostik. All das gab vielleicht Unmut jetzt unter den Behinderten selbst. Sie waren nicht persönlich dabei. Aber wissen Sie, wie das war? Dass man dann irgendwann gesagt hat: "Vielleicht müssen wir mal überlegen, ob wir das hier noch alles richtig machen". 

Christina Marx: Am Ende stand im März 2000 die Umbenennung von Aktion Sorgenkind in Aktion Mensch. Aber das war 2000. Daran sieht man: Das war ein langer, langer Weg. Die Krüppelbewegung war Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre und ich kann den Podcast mit Horst Frehe, der war bei Ihnen in "Echt behindert!" zu Gast, eigentlich wirklich nur empfehlen - sich das mal anzuhören.  Das hat natürlich ein gewisses Feindbild hervorgerufen, was ich auch gut verstehen kann. In der Rückschau noch besser wahrscheinlich als in der Zeit damals. Die Aktion Sorgenkind, da steckt ja schon im Namen drin, wie man Behinderung und behinderte Menschen eigentlich betrachtet hat. Man muss sich Sorgen machen, man muss für sie sorgen.

Sie haben eben das Thema Pränataldiagnostik angesprochen: Das technische, medizinische Bild von Behinderung lag vielem zugrunde. Das heißt, kann man Behinderungen vermeiden? Kann man Behinderung auch vielleicht heilen? Das stand der selbstbestimmt leben Bewegung und der Krüppebewegung natürlich total zuwider.

Matthias Klaus: Deswegen mochten wir das auch damals nicht als jugendliche Rockstars mit der Aktion Sorgenkind. Wir waren Rock'n'Roller, wir waren selbstbewusst und wir wollten auf keinen Fall so betrachtet werden. z.B.: Wie uns muss man jetzt irgendwie helfen oder retten oder, am besten, ist es sowieso schade, dass wir eigentlich überhaupt geboren werden mussten? Das war uns allen extrem unangenehm.

Christina Marx: Ja, ich glaube, unangenehm ist noch vorsichtig ausgedrückt. Herr Klaus, ich kann das super gut verstehen, wenn man als Rockstar oder sich als Rockstar fühlt und dann in einem Sorgenkind... Das passt nicht zusammen. Aber wahrscheinlich hat ihnen ihr Lehrer damals gesagt. Sie können aber das Logo leider nicht überpinseln. Weil: Das ist Teil der Förderrichtlinie. Und das muss jetzt da drauf. Aber nochmal zurückzukommen auch auf die Entwicklung von der Aktion Sorgenkind hin zur Aktion Mensch: Die wurde sehr stark getrieben und zum Glück auch getrieben durch die selbstbestimmt-leben-Bewegung und durch die Aktivistinnen und Aktivisten, die gesagt haben: "Wir brauchen eigentlich keine Fürsorge mehr."

Das hat sich auch bis zur Umbenennung auch schon in der Kommunikation und in Kampagnen der Aktion Mensch dann niedergeschlagen. Mitte der 1990er Jahre - vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch daran - gab es die erste Kampagne, die hieß "Ich will kein Mitleid. Ich will Respekt". Und darum ging es.

Das ist der erste Schritt zur Teilhabe zu sagen, "Hey, ich hab genauso Rechte, ich hab genauso Bedürfnisse und ich will genauso Rockstar sein als behinderter Mensch wie als jemand, der vielleicht sehen kann. Und ich kann das auch genauso gut. Also singen kann ich auch, wenn ich nicht sehen kann oder: Gitarre spielen kann ich auch, wenn ich nicht gut sehen kann".

Matthias Klaus: Wir wollten natürlich als "normal" angesehen werden und nicht "Das ist der blinde Klavierspieler!", sondern "Hey, das ist ein Klavierspieler! Ja, blind ist er auch noch". Das war mehr so die Richtung, wie wir das alle wollten. Dann kam eben die Aktion Sorgenkind mit ihrem Hach, wir stecken euch in eine beschützende Werkstatt. Das Wort "beschützende Werkstatt" hab ich mir gut gemerkt von damals. 

Christina Marx: Sprache ist auch etwas, was so Zuschreibungen hervorruft. Die "beschützende Werkstatt", die "Anstalt." Heute sind auch die Sozialhelden mit dem Projekt "Leidmedien" sehr stark aufklärerisch unterwegs, um zu sagen: man ist nicht an den Rollstuhl "gefesselt" oder man lebt nicht "in völliger Dunkelheit" oder man "leidet" nicht an einer Behinderung. Das sind alles auch gesellschaftliche Entwicklungen, die da stattgefunden haben.

Matthias Klaus: Heute sind sie jetzt mitten in der Inklusionsbewegung und haben ihren Namen geändert und heißen jetzt Aktion Mensch. Es geht immer noch um Behinderung, aber nicht nur. Wenn Sie das tun, haben Sie denn da auch mal Widerstand von Ihren Verwaltungsgremien? Geht es immer gut, oder müssen Sie da auch mal Sachen durchsetzen.

Christina Marx: Das wir das Thema Inklusion, gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung, in den Fokus unserer Arbeit stellen, da gibt es keinen Widerspruch. Da gibt es keinen Widerstreit und da ist auch ein dicker Haken dran.

Wenn man unsere Verfasstheit anguckt: Wir haben natürlich Verwaltungsgremien, aber wir haben natürlich auch Mitgliedsverbände. Das sind die Wohlfahrtsverbände und das ZDF, die damals auch die Aktion Sorgenkind oder Aktion Mensch gegründet haben.

Die haben natürlich als Geschäftsmodell die Behindertenhilfe. Das heißt, natürlich kümmern sie sich auch sehr stark noch um Wohnheime für Menschen mit Behinderung. Aber wir haben uns sehr stark davon wegbewegt und auch unsere Verbände machen eine Transformation durch.

Ich nenne mal ein Beispiel. Das Thema "beschützende Werkstätten" haben Sie ja gerade eben genannt. Werkstätten fördern wir nicht mehr. Wir wollen eben eher gemeinnützige Inklusionsbetriebe fördern, wo Menschen mit und ohne Behinderung zusammen auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig sind. Das ist die Stoßrichtung. Ich glaube, das ist auch der richtige Weg, den wir eingeschlagen haben.

Matthias Klaus: In fast jedem Projekt der Aktivistinnen, die es heute gibt, steckt irgendwie Aktion Mensch Geld. Wie kommen Sie aus mit den Leuten? Sehen Sie sich als zusammengehörig? Zieht man am selben Strang oder wird auch mal gerungen und gestritten?

Christina Marx: Ach, das ist wie in allen guten Familien. Natürlich wird da gerungen und gestritten. Und natürlich sind die Aktivistinnen und Aktivisten auch nicht immer einverstanden mit dem, was wir tun. Das ist auch verständlich. Das ist auch richtig so. Man muss ein bisschen in den Blick nehmen, was auch unsere Rolle ist.

Wir sind bestimmt nicht Teil dieser Behindertenbewegung und der Aktivistenbewegung. Wir versuchen aber als größter privater Förderer und auch, ein Stück weit als Vernetzer, die Aktivistinnen und Aktivisten darin zu unterstützen, ihre Forderungen z.B. gegenüber der Politik durchzusetzen.

Aber wir sind eben kein politischer Akteur im Sinne, dass wir Lobbyarbeit betreiben oder dass wir uns in Gesetzesvorhaben zum Bundesteilhabegesetz z.B. aktiv einbringen. Das ist manchmal schon ein Knackpunkt in unserer Beziehung, dass die Aktivisten schon vielleicht auch denken: wir könnten lauter werden oder wir könnten ihnen mehr Geld geben, damit sie lauter werden.

Sprecher/Sprecherin: Sie hören "Echt behindert!" den Podcast für Barrierefreiheit und Inklusion der Deutschen Welle. Wir sind auf allen gängigen Podcast Plattformen. Email Feedback und Kommentare an echt.behindert@dw.com. Mehr Infos und Links gibt es unter dw.com/echbehindert. Bewerten Sie uns, wo immer Sie uns hören.

Matthias Klaus: Wie viel Geld können Sie denn pro Jahr ausgeben? Wie viel nehmen Sie da durch die Lotterie ein? Wie viel davon wird ausgegeben? Ist das mehr oder weniger geworden in den letzten Jahren? Stehen Sie gut da?

Christina Marx: Es ist mehr geworden in den letzten Jahren. Das hat damit zu tun, dass wir auch in der Lotterie immer kontinuierlich wachsen, sogar jetzt, in Zeiten von Corona. Wir schütten im Jahr zwischen 180 und in diesem Jahr etwas mehr bis 200 Millionen Euro aus. Das geht an Projekte von Antragstellern.

Matthias Klaus: Das ist wie viel Prozent der Einnahmen?

Christina Marx: Das ist ungefähr 36 - 37 Prozent der Einnahmen. Das ist der sogenannte Zweckertrag.

Matthias Klaus: Eine Frage, die ich, mein Blinden-  und Sehbehindertenverein (wir stellen auch regelmäßig Anträge bei Ihnen) die wir als Geförderte uns immer stellen: Am Ende gibt es jemanden, der ablehnt oder zustimmt. Wie viele Behinderte sind bei Ihnen vertreten oder Haben Behinderte bei Ihnen in diesen Gremien überhaupt nichts zu sagen?

Christina Marx: Das Kuratorium entscheidet wer am Ende das Geld kriegt. Das sind nicht wir als Aktion Mensch. Im Kuratorium sitzen Vertreter der Mitgliedsverbände, der Wohlfahrtsverbände, aber auch noch von Fachverbänden.

Da sind Menschen mit Behinderung vertreten, weil sie eben auch den blinden und sehbehinderten Verband ansprachen. Auch der Präsident des blinden und sehbehinderten Verbands aus Niedersachsen ist dort vertreten. Es sind Menschen vertreten, die eine schwere Behinderung haben. Insofern ist das Kuratorium sehr paritätisch besetzt. 

Matthias Klaus: Haben Sie auch im Vorstand der Aktion Mensch selbst Behinderte?

Christina Marx: Also der Vorstand der Aktion Mensch besteht aus einer Person. Das ist Armin von Buttlar. Wir haben eine Geschäftsleitung, der ich auch angehöre. Da ist niemand mit einer Behinderung. Bis vor einigen Jahren unsere Personalchefin hatte eine schwere Behinderung. Die hat aber dann den Weg in die Selbstständigkeit gewagt und ist sehr erfolgreich mit einem Assistenzdienst. Insofern haben wir in den Führungsgremien der Aktion Mensch selber derzeit keine Menschen mit Behinderung.

Matthias Klaus: Haben Sie mal überlegt, das zu ändern?

Christina Marx: Ja. Das heißt, es kommen natürlich immer ein paar Sachen zusammen. Es muss die fachliche Eignung da sein. Es muss eine Stelle da sein und es muss auch ein Stück weit menschlich passen. Wir haben in der Strategie der Aktion Mensch, die wir jetzt für die nächsten fünf Jahre verabschiedet haben, auch erstmals eine Kennzahl festgeschrieben, dass wir die Zahl der Menschen oder der Beschäftigten mit Schwerbehinderung auf 15 Prozent innerhalb der Aktion Mensch anheben wollen. Wir sind im Moment bei einer Quote von etwa 11-12 Prozent und die wollen wir deutlich anheben. 

Matthias Klaus: Die Inklusionskampagnen, die Sie seit längerem machen, dafür sind Sie sozusagen in der Szene bekannt: Inklusion steht immer im Mittelpunkt bei Ihnen.  Als die Verbreiter dieser Idee. Haben Sie da auch manchmal Zweifel? Gibt es so Momente, wo Sie denken: "Um Gottes Willen, das mit der Inklusion klappt vorne und hinten nicht. Die Schulen und die Lehrer kriegen das nicht hin. Sollten wir nicht nochmal ein bisschen warten?" Oder: "Wie können wir den Leuten helfen, die zu uns kommen und sagen 'Hey, es ist ja schön, ihr macht da schöne Sprüche', aber die Realität sieht ganz anders aus"?

Christina Marx: Ja, ich würde nicht sagen, dass ich Zweifel habe an dem, was ich persönlich jetzt tue oder was auch die Aktion Mensch tut. Ich bin von zu Hause aus ein ziemlich optimistischer Mensch, das wir auch wirklich etwas erreichen können. Aber natürlich gibt es Grenzen. Und Grenzen, die erlebt man täglich.

Wenn Sie sagen, beim Thema Schule, "klappt es mit der Inklusion gar nicht oder ist es immer noch am schwersten"? Da haben wir einmal organisatorisch Grenzen, weil wir in Schulen nicht fördern können. Wir fördern nichts, wo die öffentliche Hand in der Verantwortung ist. Und das ist sie nun mal bei Schulen.

Die Politik muss dafür sorgen, dass die Bedingungen so sind, dass ein Regelschulsystem inklusiv ausgerichtet ist. Aber wir können nicht hingehen und sagen, "Na dann fördern wir jetzt eben mal die Schulbegleiter dort" oder "Wir fördern jetzt mal den Umbau von Schulen". Das können wir leider nicht. Da sind uns schon von da Grenzen gesetzt.

Ein Mindset zu ändern, das ist ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel. Das ist natürlich auch etwas, was sehr, sehr, sehr lange dauert. Ich weiß, dass viele Aktivist*innen da auch langsam ungeduldig werden. Das kann ich auch gut verstehen, dass man immer nur sagt, "Wir sind auf dem Weg. Wir sind auf dem Weg - aber lange noch nicht da". Aber das ist eben ein langer Prozess.

Da sehe ich auch in unserer Arbeit Grenzen. Meine Aufgabe mit den Kampagnen, die wir bei der Aktion Mensch umsetzen ist: Ich möchte Menschen ohne Behinderung auch erreichen und will ihnen aufzeigen, was sie selber tun können, wo sie selber vielleicht auch nochmal mehr hingucken können.

Das sind manchmal ganz alltägliche Barrieren. Wenn man durch den Bahnhof geht und der Aufzug ist kaputt, dass man auch sensibel wird dafür zu sagen, "Oh, das ist aber jetzt für jemanden, der im Rollstuhl sitzt, ein gravierendes Problem". Für mich nicht. Ich nehme die Treppe. Aber da ein Bewusstsein zu schaffen für Barrieren im Alltag et cetera.

Einspieler von einer Werbung der Aktion Mensch: 

Sprecher/Sprecherin: Das ist Jan im Ruhestand mit 40, er sagt, er hat es sich verdient, weil er Gutes getan hat.

Jan: Glaube ich auch.

Sprecher/Sprecherin: Jan, du hattest einfach Glück und hast mit einem Los von Aktion Mensch gewonnen.

Jan: Mit dem ich gleichzeitig über tausend soziale Projekte unterstütze.

Sprecher/Sprecherin: Trotzdem Glück gehabt.

Jan: Aber auch verdient.

Sprecher/Sprecherin: Gutes tun und gutes gewinnen mit dem Glücks-Los jetzt auf aktion-mensch.de.

Matthias Klaus: Solche Kampagnen verantworten sie. Wie ist das Verhältnis von Los kaufen? Gutes tun? Gewissen beruhigen durch Los kaufen? Haben Sie da schon mal den Gedanken, "Kanalisieren wir nur Geld, was wir sonst nicht kriegen würden"? Oder Gibt es auch viele Leute, die einfach so spenden bei Ihnen?

Christina Marx: Es gibt Leute, die auch so Spenden bei uns. Der Anteil ist relativ klein. Es gibt tatsächlich viele Lotteriespieler, die schon den Antrieb haben, gewinnen zu wollen. Das muss man einfach sagen. Wenn ich Lotto spiele, dann will ich auch gewinnen. Das hat man auch in dem gehörten Spot so herausgearbeitet, "Ich habe mir das verdient. Ich bin in Rente. Ich hab was Gutes getan, weil ich auch soziale Projekte unterstützt habe".

Das ist immer der andere Teil der Motivation unserer Lotteriespieler, dass sie sagen, "Selbst wenn ich nicht gewinne, dann hab ich immer was Gutes getan". Das sind auch Sätze, die ich immer höre, dass das auch ein Antrieb ist, bei uns mitzuspielen.

Matthias Klaus: Eine kurze Schlussfrage: Wie gehen Sie mit Corona um? Haben Sie selber Aktionen gemacht, die sich dezidiert mit Corona beschäftigen?

Christina Marx: Ja, wir haben im März zum ersten Lockdown sehr schnell ein Corona-Soforthilfe-Programm auf den Weg gebracht, das gerade kleineren Vereinen oder Vereinen aus der Lebensmittelhilfe Unterstützung angeboten hat z.B. den Tafeln, weil die ihr Konzept total umstellen mussten.

Die Leute konnten nicht mehr zu den Tafeln kommen. Die Tafeln mussten zu den Leuten gehen. Die Ehrenamtlichen waren vielfach in der Risikogruppe und konnten nicht mehr bei der Lebensmittelausgabe helfen. Da haben wir die Lebensmittelhilfe und Assistenzdienste unterstützt, damit persönliche Assistenz weiter gezahlt werden konnte. Und Inklusionsbetriebe, die von der Krise auch sehr stark betroffen sind.

Matthias Klaus: Das war "Echt behindert!" Heute über die Rolle, die Funktion, die Geschichte und die aktuellen Aktivitäten der Aktion Mensch. Bei mir im Studio war Christina Marx von der Aktion Mensch. Vielen Dank, dass Sie da waren. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag und frohes Weiterschaffen.

Christina Marx: Vielen Dank! Es hat sehr großen Spaß gemacht. 

Matthias Klaus: "Echt behindert!" gibt es inzwischen auch in einer schriftlichen Version. Es gibt ein Transkript für jede Folge, wo Menschen, die das nicht so gut hören können oder teilweise auch mal lieber lesen wollen unsere Texte mitlesen können. Das finden Sie bei dw.com/echt behindert. Dort gibt es zu jeder Folge ein Transkript. Außerdem können Sie uns mailen an echt.behindert@dw.com. Wir freuen uns immer auf Ihr Feedback. Das war "Echt behindert!" für heute. Mein Name ist Matthias Klaus.

Hinweis der Redaktion: Ende November 2020 war die Redaktion noch dabei, Transkripte einzelner Sendungsfolgen nachzuarbeiten. Wir danken unseren Lesern für die Geduld. 

Mehr Folgen unter dw.com/echtbehindert. 

Zum Podcast geht es hier.  

Hinweis der Redaktion: Dieses Transkript wurde unter Nutzung einer automatisierten Spracherkennungs-Software erstellt. Danach wurde es auf offensichtliche Fehler hin redaktionell bearbeitet. Der Text gibt das gesprochene Wort wieder, erfüllt aber nicht unsere Ansprüche an ein umfassend redigiertes Interview. Wir danken unseren Leserinnen und Lesern für das Verständnis.