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33. Das ist Leistungssport – Talk mit Annika Zeyen

10. November 2021

Für Menschen, die unseren Podcast nicht hören können, stellen wir hier ein Transkript zur Verfügung: Nach über 70 Jahren sind die Paralympischen Spiele endlich weltweit populär.

https://p.dw.com/p/42oee

Zum Podcast geht es hier.

Jingle: DW. "Echt behindert!"

Moderator Matthias Klaus: Herzlich willkommen zu "Echt behindert!" Mein Name ist Matthias Klaus und ich gestehe es, ich bin unsportlich. Gut, ich mache schon mal ein bisschen Gymnastik und ich wandere auch ganz gern, aber das war's dann eigentlich auch schon. Deshalb erkunde, zumindest ich, heute eine neue Welt.

Es geht um Sport. Es geht um Parasport: darum, was man als behinderter Mensch so alles sportlich tun kann, ob Sport gut ist für das Selbstbewusstsein oder gar nützlich ist für die Inklusion, und auch darum, ob der Parasport in Deutschland die Rolle hat, die er verdient.

Dazu begrüße ich im Podcast die Paralympics Goldmedaillen Gewinnerin und Mitarbeiterin des Internationalen Paralympischen Komitees, Annika Zeyen.

Schönen guten Tag, Frau Zeyen!

Annika Zeyen: Guten Tag, Herr Klaus. Ich freue mich, da zu sein.

Matthias Klaus: Frau Zeyen, wann redet man überhaupt von Parasport? Para heißt ja irgendwie "neben". Was ist da: "neben"?

Annika Zeyen: Ja, also Parasport ist ganz einfach "Sport für Menschen mit Behinderung".

Matthias Klaus: Gibt es da immer eine Trennung? Bei jeder Sportart? Oder gibt es auch Sport, den man sozusagen mit Behinderungen und auch ohne Behinderung im selben Wettbewerb machen kann?

Annika Zeyen: Also in Wettbewerben sollte es schon eigentlich so sein, dass es natürlich Parasport und quasi dann in Anführungszeichen den "normalen Sport", den "olympischen Sport" gibt, einfach um das Ganze fair zu gestalten. Aber das heißt natürlich nicht, dass man im Training nicht zusammen trainieren könnte.

Also wenn ich jetzt zum Beispiel mit meinem Handbike fahre, kann ich ja auch mit jemandem zusammen trainieren, der auf dem Fahrrad fährt. Oder genauso auch in der Leichtathletik kann jemand, der Weitsprung mit Prothese macht, genauso mit jemandem trainieren, der Weitsprung ohne Prothese macht.

Also da sind ja der Inklusion keine Grenzen gesetzt. Aber wenn man sich dann halt wirklich im Wettkampf messen möchte, dann muss es natürlich eine gewisse Fairness geben.

Matthias Klaus: Aber das gibt es schon, dass man auch zusammen trainiert?

Annika Zeyen: Ja, auf jeden Fall. Also für mich ist es auch so, dass ich ja ganz oft mit anderen Radfahrern sozusagen dann mein Training mache, die dann halt quasi in Anführungszeichen auf dem "normalen Fahrrad" sitzen, während ich halt im Handbike fahre.

Matthias Klaus: Erst mal ein bisschen zu Ihrer Arbeit: Sie arbeiten beim Internationalen Paralympischen Komitee. Was machen Sie da genau?

Annika Zeyen: Ich bin Brand-Managerin beim Internationalen Paralympischen Komitee, und zwar für die World Parasports. Das sind zehn Sportarten, bei denen die Internationale Föderation gleichzeitig, sozusagen beim IPC, mit drin sitzt. Und ich kümmere mich sozusagen ganz viel um die jeweiligen Events der Sportarten: um Weltmeisterschaften, um Weltcups, um Europameisterschaften, also alle Sportevents, die stattfinden.

Und da arbeite ich dann jeweils mit den Organisationskomitees zusammen am Branding: wie Logos platziert werden, wie vom Marketing her die Events beworben werden. Und das ist auf jeden Fall sehr vielschichtig, weil man natürlich verschiedene Sportarten hat.

Zu den Sportarten zählen zum Beispiel die Paraleichtathletik, auch Paraschwimmen. Das sind die beiden größten Sportarten, um die ich mich kümmere. Und dann gehören auch viele Wintersportarten mit dazu. Also zum Beispiel Paraeishockey oder auch Paraski Alpin. Und insofern, wie gesagt, sind das ganz unterschiedliche Bereiche, die ich in meiner Arbeit abdecke.

Matthias Klaus: Können Sie ein wenig erzählen: Parasport ist ja eine Geschichte, die gibt es noch nicht immer. Die Olympischen Spiele gab es vorher. Wann hat die Paralympische Bewegung angefangen und wie kam es da eigentlich zu?

Annika Zeyen: 1948 gab es sozusagen den Vorreiter der heutigen Paralympischen Spiele. Das waren die Stoke Mandeville Games. Die wurden von Sir Ludwig Goodman ins Leben gerufen. 1948 war ja kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und da gab es sehr viele Kriegsverletzte, auch viele Querschnitte [Querschnittsgelähmte] durch den Krieg.

Zu der Zeit war es noch nicht so typisch, dass man eine klassische Rehabilitation durchläuft, wie das heutzutage ist. Und Sir Ludwig Goodman hat dann quasi in Großbritannien sich überlegt, dass gerade für Menschen mit Querschnitt [-slähmung] es doch super wäre, auch Sport zu machen, so quasi, um eine Art Rehabilitation durchzuführen. So hat das Ganze begonnen.

Und mittlerweile ist es so, dass die Paralympics immer an der gleichen Stelle stattfinden wie die Olympischen Spiele. Also das IOC und das IPC arbeiten da jetzt mittlerweile gemeinsam dran. Und das war natürlich ein langer Weg von 1948 bis jetzt, bis heute.

Matthias Klaus: Es gibt ja tausende Arten von Einschränkungen. Also es gibt ja: blind, sehbehindert, stark sehbehindert. Es gibt Querschnitt unten, weiter oben. Es gibt Leute, die sind sehr gelähmt. Leute, die sind gar nicht gelähmt. Leute haben einen Arm, Leute haben einen halben Arm, zwei Arme.

Wie kann man denn diese verschiedenen Arten von Behinderung so in ein System sortieren, dass die sozusagen einen fairen Wettkampf haben? Das ist ja doch grenzenlos, eigentlich. Wie funktioniert das?

Annika Zeyen: Ja, das ist natürlich eine ganz große Herausforderung, quasi das alles fair zu bekommen. Deshalb gibt es für jede Sportart ein Klassifizierungssystem.

Es gibt generell vom IPC, einen Klassifikationscode, an den müssen sich alle Sportarten halten, aber jede einzelne Sportart hat dann noch mal das eigene Klassifizierungssystem, wo dann verschiedene Klassifizierungsgruppen festgelegt werden, um das möglichst fair zu gestalten.

Man muss natürlich dazu sagen: Eine Klassifizierungsgruppe reicht natürlich immer von A bis B - sozusagen. Und dann hat man halt Leute, die sind näher an A und es gibt Leute, die sind näher an B. Das heißt, man hat halt immer Menschen, die entweder einen kleinen Vorteil oder halt einen kleinen Nachteil haben. Aber wenn man Parasport macht, dann muss man sich halt mit diesem Klassifizierungssystem einfach abfinden und das so akzeptieren.

Matthias Klaus: Es gibt ja verschiedene Arten der Olympischen Spiele. Es gibt die normalen: Winter, Sommer. Dann gibt es Paralympics. Dann gibt es Special Olympics. Es gibt auch die Deaflympics. Wie hängt das denn alles zusammen?

Annika Zeyen: Also generell hängen die Olympischen und Paralympischen Spiele sehr stark zusammen. Es gibt da eine Vereinbarung zwischen dem IOC und den IPC, dass es ein gemeinsames Organisationskomitee für die jeweiligen Spiele gibt und dass sie auch am gleichen Ort stattfinden, dass die gleichen Sportstätten genutzt werden, das gleiche Olympische und Paralympische Dorf. 

Die Special Olympics und die Deaflympics haben damit nichts weiter zu tun, außer quasi einen ähnlichen Namen. Aber von der Organisation her ist da jetzt keine direkte Connection.

Matthias Klaus: An wen richten sich die Special Olympics? 

Annika Zeyen: Also die Special Olympics richten sich auf jeden Fall an Menschen mit geistiger Behinderung. Und soweit ich weiß, geht es da auch nicht primär darum, Leistungssport zu machen. Sondern es ist mehr nach dem Motto: "Dabeisein ist alles".

Aber ich bin jetzt nicht der Experte für Special Olympics. Insofern möchte ich da jetzt auch nichts Falsches sagen.

Matthias Klaus: Als die Olympischen Spiele dann jetzt endlich waren im Sommer, konnte man in den Medien lesen: "Die Deutschen holen überhaupt nicht genug Medaillen, das reicht uns alles nicht." Sie haben ja jetzt eine Medaille gewonnen, oder ich glaube auch zwei?

Annika Zeyen: Ja, genau. eine goldene und eine Silbermedaille gewonnen.

Matthias Klaus: Als diese Artikel auftauchten, war das noch nicht geschehen. Der Platz der deutschen Mannschaft hat sich ja verbessert im Laufe der Olympischen Spiele. Aber es wurde immer wieder gesagt: "Ja, in Deutschland würde ja auch nicht genug für die Parasportler getan." In anderen Ländern können Parasportler Profi sein, in Deutschland nicht.

Sie haben ja auch einen anderen Job. Wie sehen Sie das? Ist das etwas, wo Deutschland nachholen muss? Oder gibt es inzwischen vielleicht auch Parasportler und Sportlerinnen die Profis sind in Deutschland? 

Annika Zeyen: Generell gibt es viele Parasportler in Deutschland, die Profis sind. Aber es gibt da auf jeden Fall noch viel Nachholbedarf. Also wir haben es jetzt bei den Paralympics als Nation noch nicht mal in die Top Ten geschafft, beim Medaillenspiegel.

Da sind kleinere Länder wie die Niederlande, die sind da weit vorne im Medaillenspiegel. Und das hängt einfach mit der Sportförderung zusammen. Also es geht da nicht nur um das Finanzielle, sondern einfach auch um die Strukturen, die geschaffen werden müssen.

Also es muss natürlich auch die entsprechenden Trainer geben, es muss die entsprechenden Trainingsstätten geben. Wenn man noch nicht so leistungsfähig ist oder noch jung ist, muss da quasi schon eine Förderung stattfinden, damit man immer weiter von seiner Leistungsfähigkeit her ausgebildet werden kann. Und da sehe ich auf jeden Fall viel Nachholbedarf in Deutschland.

Wir Radsportler waren jetzt trotzdem recht erfolgreich, aber für die Zukunft sehe ich, dass es auch in der Sportart sehr, sehr schwierig wird, wenn die Strukturen nicht weiterentwickelt werden. Und da muss man aber auch dazu sagen: Das betrifft jetzt nicht nur den paralympischen Bereich, sondern das betrifft auch mit den olympischen Bereich. Wenn man auf andere Nationen guckt, da sind auch oft der olympische und paralympische Bereich noch viel mehr ineinander verstrickt.

Ich habe ja vorhin schon mal das Beispiel der Niederlande angeführt oder auch eine Nation wie Großbritannien: Das ist in beiden Nationen das sehr, sehr eng verstrickt. Da sind sehr professionelle Strukturen, sowohl für die olympischen als auch für die paralympischen Athleten. Und man sieht halt mit einem Blick auf den Medaillenspiegel, dass das gut funktioniert und erfolgreich ist.

Matthias Klaus: Reden wir doch mal über Ihre Geschichte. Sie waren ja nicht von Anfang an behindert, soweit ich das weiß. Wie ging das? Wie kamen Sie denn zum Parasport?

Annika Zeyen: Ja, genau, das ist richtig. Ich hatte einen Reitunfall, als ich 14 war. Seitdem sitze ich im Rollstuhl, bin querschnittsgelähmt und habe dann in der Reha das erste Mal Rollstuhlbasketball gespielt.

Matthias Klaus: Kurze Zwischenfrage: Waren Sie vorher schon sportlich oder kam das erst da?

Annika Zeyen: Ich war schon immer sehr, sehr sportlich und dementsprechend, als ich dann das erste Mal in der Reha Rollstuhlbasketball gespielt habe, das war wie so ein riesengroßer Stein, der mir vom Herzen gefallen ist zu wissen: "Ok, ich kann auch im Rollstuhl Sport machen." Das war für mich superwichtig, weil ich könnte mir so ein Leben ohne Sport definitiv nicht vorstellen.

Nachdem ich dann aus der Reha wieder zu Hause war, habe ich dann auch direkt im Verein angefangen zu spielen und so hat sich dann mein Weg im Rollstuhlbasketball entwickelt.

Matthias Klaus: Sie waren im Rollstuhlbasketball ja wirklich extrem erfolgreich in der Zeit, als sie das gemacht haben. Irgendwann haben Sie den Sport gewechselt. Geht das so einfach? Warum haben Sie nicht einfach weiter Rollstuhlbasketball gespielt? Oder suchten Sie einfach eine neue Herausforderung?

Annika Zeyen: Also ich habe mich 2016 nach den Paralympics entschieden, dass ich mit dem Rollstuhlbasketball aufhören würde. Im Rollstuhlbasketball oder generell in einem Mannschaftssport ist es natürlich so, dass man sich vom Training her und von den Wettkämpfen her ja immer nach der Mannschaft richtet. Ich habe immer gleichzeitig Bundesliga und Nationalmannschaft gespielt.

Das heißt dann: Man ist eigentlich nur unterwegs, weil man die Bundesligaspiele jedes Wochenende hat, dann den ganzen Sommer reist man mit der Nationalmannschaft durch die Gegend. Und ich wollte da einfach auch mal so ein bisschen mehr selber bestimmen.

Aber ich hatte halt noch richtig Lust auf Training und auf Sport-machen. Und insofern passte es mit dem Einzelsport für mich sehr, sehr gut, weil ich da ein bisschen flexibler bin. Da muss ich zwar mindestens genauso viel trainieren, aber meine Trainingszeiten kann ich halt ein bisschen flexibler gestalten, so wie es für mich passt. 

Matthias Klaus: Sie waren mit dem Rollstuhlbasketball auch mal eine Zeit lang in den USA. Wie kam das dazu?

Annika Zeyen: Ich habe vier Jahre lang in den USA Rollstuhlbasketball gespielt, und zwar hatte ich ein Sport-Stipendium an der University of Alabama und konnte da quasi mein Studium komplett machen und gleichzeitig College Basketball spielen in einem sehr erfolgreichen Team. Wir sind auch zweimal amerikanischer Meister geworden in der Zeit und: Ja! Das war eine richtig tolle Zeit, sowohl vom Training her als natürlich auch vom Studium!

Matthias Klaus: Sport hat ja dieses: Man kann seine Grenzen ausloten. Man kann etwas tun für sich Man kann sozusagen Begrenzung, auch Behinderung, vielleicht hinter sich lassen, überwinden. Was ist für Sie persönlich am Sport wichtig? Anders gefragt: warum machen Sie das eigentlich? Sie könnten ja auch einfach einen Job haben und damit ist es gut.

Annika Zeyen: Das könnte man. Aber ich liebe Sport einfach. Und wie gesagt, ich habe Sport auch geliebt, bevor ich meinen Unfall hatte. Also das hat jetzt nichts damit zu tun, dass ich jetzt meine Behinderung habe, sondern mir macht es Spaß. Ich liebe die Herausforderung. Ich liebe es halt, mich mit anderen zu messen und ich bin einfach ein sehr ehrgeiziger Mensch.

Und im Sport kann ich mir hohe Ziele setzen und dann darauf hinarbeiten und die erreichen. Also ich kann da meinen Ehrgeiz voll ausleben. Aber generell: Auch wenn ich jetzt keinen Leistungssport machen würde, würde ich trotzdem Breitensport machen. Ich denke auch, gerade als Rollstuhlfahrer ist es auch ganz wichtig, Sport zu machen, damit man auch gut seinen Alltag bewältigen kann, weil man braucht einfach kräftige Arme, damit man es schafft, sich vom Rollstuhl ins Auto oder ins Bett oder sonst wohin zu heben.

Man muss ja sein ganzes Leben mit den Armen bestreiten. Man hat nicht die Beine zur Verfügung und dementsprechend müssen halt die Arme gut trainiert sein. Je besser man trainiert ist, desto einfacher ist auch der Alltag.

Matthias Klaus: Würden Sie sagen, Parasportler und Sportlerinnen sind Vorbilder, haben Vorbildfunktion für Menschen mit Behinderung, ihr Leben in die Hand zu nehmen? Oder ist das ein bisschen Helden-Überhöhung?

Annika Zeyen: Also ich denke schon, dass Parasportler ein gewisses Vorbild für Menschen mit Behinderung sein können. Einfach zu zeigen, dass man viel machen kann, dass man nicht irgendwie zu Hause sitzen muss und sich schlecht fühlen muss wegen seiner Behinderung, sondern das einfach ganz, ganz viel möglich ist.

Aber das heißt nicht, dass jeder Mensch mit Behinderung jetzt irgendwie ein Leistungssportler werden muss. Also das auf gar keinen Fall. Aber trotzdem: Auch wenn man jetzt nicht Leistungssportler sein möchte, kann man sich trotzdem einige Aspekte von Parasportlern abgucken, denke ich. 

Matthias Klaus: Wie ist das denn mit der Inklusion im Breitensport? Sie haben ja bestimmt auch Erfahrungen in normalen Vereinen. Man ist ja nicht direkt paralympische Mannschaft, sondern muss ja auch mal irgendwo trainieren. Funktioniert das gut, dass Menschen mit und ohne Behinderung in Sportvereinen tätig sind, oder ist es immer noch schwierig?

Annika Zeyen: Also ich denke, das kann man schwer pauschal beantworten. Ich finde, ganz oft findet in Vereinen Inklusion statt, ohne dass man das Ganze überhaupt Inklusion nennen muss, weil es einfach automatisch passiert. Und das ist auch super so. Als Beispiel: Wenn jetzt jemand mit einer Prothese in einem Sportverein ist und da den Weitsprung mitmacht oder das Sprinten mitmacht, das ist ja völlig inklusiv.

Genauso wie wenn man als Handbiker mit jemandem zusammen Fahrrad fährt oder genauso, wenn man zusammen Tennis spielen geht: ein Rollstuhlfahrer und ein Fußgänger spielen zusammen Tennis. Das ist ja quasi alles inklusiv, ohne dass man es vielleicht als "Inklusion" bezeichnen muss.

Und ich denke auch Das Ziel der Inklusion haben wir erreicht, wenn wir gar nicht mehr über Inklusion reden müssen, sondern wenn die Inklusion halt einfach da ist.

Matthias Klaus: Meinen Sie, da sind wir schon oder müsste man etwas tun? Haben Sie vielleicht auch eine Idee, was man institutionell tun müsste, damit das besser wird? Also ich erlebe ja schon... Ich fand es schon persönlich im Yogakurs schwierig, wenn ich da hingehe. Und dann versuchen die mir das erst mal auszureden, damit ich den Kurs nicht kompliziert mache.

Annika Zeyen: Da bin ich ganz bei Ihnen. Wir sind da definitiv noch weit von entfernt. Das hat natürlich zum einen auch mit den tatsächlichen Barrieren von Sportstätten zu tun, aber noch viel gravierender denke ich, sind da die Barrieren, die einfach in den Köpfen von vielen Menschen da sind. Und ja, das ist sehr traurig.

Ich denke halt, in jede Trainerausbildung gehört auch Parasport mit rein, egal welche Sportart das ist - damit zumindest schonmal bei den Trainern die Hemmschwellen nicht mehr da sind. Ich weiß zum Beispiel von meinem Bruder, der einen Tennis-Trainerschein hat: Die haben tatsächlich auch während der Trainerausbildung den Rollstuhl-Tennis mit dabei gehabt. Und ich finde, das ist auf jeden Fall der richtige Weg.

Also das sollte in jeder Sportart so sein, dass wenn man einen Trainerschein im Radsport macht, man auch mal irgendwie mit einem Handbike in Berührung kommt. Wenn man im Tennis einen Trainerschein macht, das Rollstuhl-Tennis dazugehört, dass wenn man in der Leichtathletik eine Ausbildung als Trainer macht, dass auch da dann zum Beispiel auch mal als Guide läuft oder so, dass verschiedene Behinderungen in der Ausbildung schon mit abgedeckt werden.

Und dann würde das Ganze vereinfachen, wenn dann jemand mit einer Behinderung an einen Verein herantritt und fragt: "Kann ich hier mitmachen?" und die Trainer das ganze schon kennen und da nicht mehr die Hemmschwellen sind. Ich denke, das wäre toll.

Matthias Klaus: Ich kenne Menschen, die mir erzählt haben: "Ach, mit den Paralympics: Da ist man als Behinderter eigentlich schneller, als man als nicht behinderter Mensch bei einer Olympiade ist. Das ist gar nicht so schwer. Vielleicht gibt es da gar nicht so viele, die da mitmachen!" Ist es so? Also ist es wirklich einfacher? Ist es vielleicht auch eine Chance für Leute, die immer denken: "Ach: Ich würde ja nie Leistungssport machen wollen." Kann man vielleicht als Behinderter in manchen Klassifikationen auch schneller ans Ziel kommen als im Durchschnitt als normaler Sportler? 

Annika Zeyen: Das würde ich so nicht sehen. Der Parasport wird immer professioneller und es wird immer schwieriger, da auch Erfolge zu haben. Und wir haben jetzt ja auch beim Medaillenspiegel als deutsche Mannschaft nicht so gut abgeschnitten. Das heißt, es muss in Deutschland auch noch viel professioneller werden.

Man muss da schon unheimlich viel Training reinstecken. Ich trainiere zwei Einheiten am Tag und wenn ich weniger trainieren würde, dann hätte ich auch nicht die Erfolge. Und das ist quasi das gleiche Trainingspensum, was auch die olympischen Athleten in ihren Sport reinstecken. Und genauso musste ich mich halt ganz professionell vorbereiten auf die Paralympics.

Ich habe zwei Höhen-Ketten gemacht, also war lange in den Höhen Trainingslagern und habe wirklich unheimlich viele Leistungsdiagnostiken gemacht, damit ich in Tokio wirklich in Topform war. Und da muss natürlich auch wirklich alles zusammenpassen auf den Punkt, dass man dann auch Medaillen gewinnen kann.

Und da bin ich sehr froh, dass es bei mir so gepasst hat. Aber das ist halt nicht selbstverständlich und auch nicht ausrechenbar, sondern das ist, wie gesagt, Leistungssport.

Matthias Klaus: Wie viel pro Woche müssen Sie trainieren?

Annika Zeyen: Also es sind immer über 20 Stunden pro Woche reine Trainingszeit. Generell sage ich aber immer, wenn man ein Athlet ist, dann ist man eben immer Athlet, weil man natürlich schon alles auf den Sport ausrichtet. Wenn man gerade nicht trainiert, dann muss man sich natürlich richtig ernähren. Zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Nährstoffe zu sich nehmen, muss gucken, dass die Regeneration gut funktioniert, muss ausreichend schlafen. Also da gehört einfach noch so viel mehr dazu als das eigentliche Training. 

Natürlich muss man auch noch zur Physio gehen. Abends legt man sich nicht vor den Fernseher, sondern dann legt man sich irgendwie auf den Boden, noch mal auf die Black Roll und dehnt noch mal, und da gehört einfach so viel dazu, um dann am Ende erfolgreich zu sein.

Matthias Klaus: Eine Frage noch: Ich habe hier viel mit Behinderten-Aktivismus zu tun. Da gibt es ja immer dieses Wort "Inspiration Porn". Also man tut etwas, um andere Leute zu inspirieren und das verselbstständigt sich dann. Wie kommen Sie als Parasportlerin, die ja dann auch so einen gewissen Heldenstatus hat, damit klar? Haben Sie schon mal das Gefühl, dass Sie jetzt eher die Behinderte sind? Oder sind Sie immer die Leistungssportlerin in den Augen der anderen?

Annika Zeyen: Generell hat man ja schon einfach so eine Plattform, auf der man sich zeigt, dadurch, dass man Leistungssportler ist und erfolgreich ist. Und man hat natürlich immer die Chance, sich zu zeigen und präsent zu sein. Und generell finde ich das auch gut, wenn man sozusagen als Leistungssportler angesehen wird.

Aber der sogenannte, ja, "Inspiration Porn"... Für mich ist es so: Es ist gut, wenn die Leute mich als Inspiration sehen, weil ich Sport mache. Aber ich finde es nicht gut, wenn Leute mich, sozusagen, als Inspiration sehen, nur weil ich quasi eine Behinderung habe und meinen Alltag bewältige. Also wenn ich jetzt in den Supermarkt gehe, und dann sagen sie gleich: "Oh, das ist aber toll, dass Sie alleine einkaufen, gehen können." Das ist für mich eher so, ja, "Inspiration Porn". Das finde ich nicht gut.

Aber, ja, ich kann es schon verstehen und finde es auch gut, wenn Leute einen als Inspiration sehen, sozusagen: einen Schicksalsschlag gehabt zu haben und da das Beste draus gemacht zu haben und einfach ein lebensfroher Mensch zu sein und das Beste sozusagen aus einer Situation zu machen. Denn jeder hat ja mal schwierige Situationen im Leben und einfach so das mitzunehmen: Auch wenn es eine schwierige Situation ist, kann man trotzdem irgendwie was Gutes im Endeffekt draus machen.

Matthias Klaus: Würden Sie sich als lebensfroher Mensch bezeichnen? Oder ärgern Sie sich manchmal auch darüber: "Ach, dieser blöde Unfall damals, wär's mal besser nicht passiert!"?

Annika Zeyen: Nee, also generell bin ich ein sehr lebensfroher Mensch und meinen Unfall habe ich so akzeptiert. Natürlich gibt es aber Situationen, wo ich mir denke: "Ja, wäre schon schön, wenn man jetzt irgendwie vor eine Treppe steht, wenn man da jetzt einfach mal hoch laufen könnte, statt dann irgendwie zu gucken, dass man entweder einen Aufzug findet. Das ist ja schön, wenn es dann einen gibt... Oder wenn man dann andere Leute um Hilfe fragen muss. Und das sind aber ja mehr so einfach Barrieren, die es einem dann schwer machen. Aber ich lass mich davon nicht entmutigen, sondern würde trotzdem sagen: Ich bin ein lebensfroher Mensch.

Matthias Klaus: Das sagt Annika Zeyen, Paralympische Gold-Gewinnerin und Mitarbeiterin des International Paralympics Committee hier in Bonn. Frau Zeyen, ich danke Ihnen sehr herzlich, dass Sie Zeit für uns hatten.

Annika Zeyen: Ja, danke, dass ich da sein durfte.

Matthias Klaus: Das war "Echt behindert!" Mein Name ist Matthias Klaus.

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Hinweis der Redaktion: Dieses Transkript wurde unter Nutzung einer automatisierten Spracherkennungs-Software erstellt. Danach wurde es auf offensichtliche Fehler hin redaktionell bearbeitet. Der Text gibt das gesprochene Wort wieder, erfüllt aber nicht unsere Ansprüche an ein umfassend redigiertes Interview. Wir danken unseren Leserinnen und Lesern für das Verständnis.