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Politik

"Schluss mit dem Hass"

15. Januar 2019

Ein gespaltenes Land trauert und ringt mit sich selbst: In Polen offenbart sich nach dem Tod des Danziger Bürgermeisters Pawel Adamowicz erneut die politische Polarisierung. Aus Warschau Monika Sieradzka.

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Polen, Krakau: Öffentliche Versammlung nach der Ermordung von Pawel Adamowicz
Bild: picture-alliance/O. Marques

"Danzig wird nicht mehr dieselbe Stadt sein", steht im Trauerbuch, das nach dem Tod des am Montag verstorbenen Danziger Bürgermeisters im dortigen Stadthaus ausgelegt wurde. Viele Menschen sind bereit, stundenlang Schlange zu stehen, um Pawel Adamowicz ihren Respekt auszudrücken.

"Er hat meinem Sohn aus seiner Privatkasse ein Stipendium finanziert, was ich nie vergessen werde", sagt eine Frau im Gespräch mit dem Reporter eines Lokalsenders vor dem Rathaus. "Er war Bürgermeister der Stadt, die für Freiheit und Solidarität stand", sagt ein älterer Mann, der sich noch an die Streiks gegen die Kommunisten aus den 1970er-Jahren und an die hier geborene Solidarnosc-Bewegung der 1980er-Jahre erinnert.

Politische "Todesurkunde"

Pawel Adamowicz
Opfer einer Mordattacke: Danzigs Bürgermeister Pawel AdamowiczBild: picture-alliance/dpa/M. Fludra

Im seit 2015 nationalkonservativ regierten Land machte sich Adamowicz bei rechten Gruppierungen unbeliebt. Für seine Weltoffenheit bekam er vor zwei Jahren eine symbolische "Todesurkunde". Die mit Computergrafik erstellten falschen "politischen Todesurkunden" und im Internet veröffentlichten Falsifikate wurden für einige liberale Bürgermeister von der radikal nationalistischen "Allpolnischen Jugend" angefertigt.

Die Ermittlungen gegen die Initiatoren wurden vor kurzem eingestellt, weil sie laut polnischer Staatsanwaltschaft "keine Hass-Sprache", sondern ein Ausdruck der "Unzufriedenheit über die Entscheidungen der Bürgermeister" seien. Die Entscheidung der Staatsanwälte erreichte das Danziger Rathaus gerade einen Tag vor der tödlichen Messerattacke auf Pawel Adamowicz.

Die Autoren der "politischen Todesurkunden" hatten gute Gründe zu glauben, dass sie unbestraft bleiben würden, weil ihre Initiativen in der polnischen Öffentlichkeit immer häufiger auf Gleichgültigkeit oder scheinbare Toleranz stoßen. Eines der ersten Beispiele für diese Entwicklung war die Verbrennung einer Judenpuppe während einer anti-islamischen Demo in Breslau vor drei Jahren.

2017 haben radikale Nationalisten auf symbolischen Galgen mitten in Kattowitz Fotos von sechs polnischen EU-Parlamentariern gehängt. Die sechs Abgeordneten hätten den Galgen verdient, weil sie gewagt hätten, sich im Streit um die polnische Justizreform auf die EU-Seite zu stellen.

Polen Danzig Trauer und Gedenken nach Mord an Pawel Adamowicz, Bürgermeister
Millionen Bürger gedachten in Danzig des ermordeten Bürgermeisters und forderten ein Ende der Gewalt Bild: Reuters/Agencja Gazeta/Dawid Zuchowicz

Verbale Entgleisungen

Auch die politische Sprache verschärft sich. Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski hat kurz nach dem Sieg bei den Parlamentswahlen im Jahr 2015 durch seine Partei die gegen die PiS demonstrierenden Menschen als "Polen von einer schlechteren Sorte" eingestuft und damit zur ideologischen Polarisierung der ganzen Gesellschaft beigetragen.

Im Parlament hat er seine Gegner als "verräterische Mäuler" angegriffen und sie des Mordes an seinem 2010 im Flugzeugsturz umgekommenen Bruder Lech Kaczynski bezichtigt. Während der nationalistischen Demos wird die Opposition regelmäßig als "roter Pöbel" beschimpft, der "mit Hammer und Sichel" zu zerschlagen sei.

Pawel Adamowicz zählte zu denjenigen, die vor einer solchen Stimmungsmache gewarnt hatten. Doch schon wenige Stunden nach seinem Tod wälzte der regierungstreue öffentliche Sender TVP die Schuld für die Verschärfung der politischen Fronten in Polen auf die Opposition ab.

Erinnert wurde an den Vorsitzenden der Bürgerplattform (PO) Grzegorz Schetyna, der die PiS vor kurzem als "Heuschrecken" bezeichnet hatte, die man "vom gesunden Baum unseres Staates wegkriegen" sollte. Ex-Präsident Lech Walesa hatte der PiS 2017 vorgeschlagen, sie solle aus dem Fenster springen. Und Ex-Außenminister Radoslaw Sikorski kündigte im Hinblick auf die PiS 2007 eine "Notschlachtung der Horde" an.

Der Mord als Politikum

Zwar appellierte die Familie von Pawel Adamowicz, die Tragödie politisch nicht auszunutzen. Doch es scheint in weiten Teilen des Landes unmöglich zu sein, diese Bitte zu respektieren. Denn Adamowiczs Tod ist in dem politisch tief gespaltenem Land bereits zum Politikum geworden.

Die Trennung verläuft zwischen den nationalkonservativ und den liberal gesinnten Polen. Dabei geht es um die Einstellung zu Europa, um Toleranz gegenüber Andersdenkenden, um die Position der Kirche, und um die Deutungshoheit über polnische Geschichte. Der Politikermord ist in Polen ein Novum. Schon jetzt wird klar, dass er ähnlich wie die Smolensk-Katastrophe im Jahr 2010 die bereits vorhandene Spaltung der Gesellschaft weiter vertiefen wird.

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau