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"Trauer ist ein Gespenst, das uns würgt"

Christoph Hasselbach28. Juli 2016

Würzburg, München, Ansbach: Nach den Attentaten der vergangenen Woche standen die Täter im Zentrum der Aufmerksamkeit, nicht die Opfer. Ein DW-Gespräch über den Schmerz der Angehörigen mit der Trauer-Expertin Petra Hohn.

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Kerzen und Blumen (Foto: picture-alliance/AP Photo/J. Meyer)
Bild: picture-alliance/AP Photo/J. Meyer

Deutsche Welle: Die tödlichen Attentate in Deutschland und Frankreich haben viele Menschen in tiefe Trauer gestürzt. Wie erleben Hinterbliebene den gewaltsamen Tod ihrer Angehörigen?

Petra Hohn: Man ist erst einmal in einer Schocksituation. Man rechnet ja mit so etwas nicht. Man rechnet nicht mit dem Tod, wenn er plötzlich kommt. Und dann reagiert jeder anders. Der eine schreit und tobt. Der andere ist still, hält inne, ist sprachlos. Das ist ganz unterschiedlich. In München ist natürlich die Wut ein großer Faktor, man ist wütend auf das Geschehene. Man fühlt sich sicher und ist nicht sicher. Es passiert einfach. Und man ist so hilflos.

Überlebt der Hinterbliebene den Tod eines Angehörigen, der durch einen Amoklauf ums Leben kommt, anders als bei einem Unfall oder bei einem Selbstmord?

Das ist bei jedem anders. Wie jeder anders trauert, so nimmt auch jeder den Verlust anders wahr. Aber das Plötzliche, dieser plötzliche Einschnitt, ob es Amoklauf ist oder Suizid oder Unfall, das kann man nicht unterscheiden oder werten, was schlimmer ist. Jedem ist das eigene Schicksal das schlimmste.

Verarbeiten Eltern den Tod anders als Geschwister?

Jeder trauert anders. Eltern trauern anders als Kinder. Geschwister trauern anders als ihre Eltern. Das Problem ist, dass die Eltern durch den plötzlichen Verlust vollkommen geschockt und isoliert sind und überhaupt keinen Sender für ihre noch lebenden Kinder haben. Und deswegen kommt es vor, dass diese Geschwister sich benachteiligt fühlen. Aber das muss nicht so sein. Wenn man diese Menschen betreut, muss man auf die ganze Familie eingehen. Und dann kann die Familie auch mit gemeinsamen Ritualen der Erinnerung einen gemeinsamen Weg finden.

Wie genau versuchen Sie mit Ihrer Arbeit, den Angehörigen zu helfen?

Petra Hohn (Foto: privat)
Petra Hohn verlor ihren Sohn im Alter von 18 Jahren. Durch ihre Arbeit für den Bundesverband "Verwaiste Eltern" (VEID) setzt sie sich für trauernde Angehörige einBild: privat

Was München betrifft, sind wir noch nicht dran. Die Menschen sind noch in der ersten totalen Schockphase. Sie werden erst einmal die schreckliche Tat und den Tod begreifen müssen. Und begreifen kann man erst, wenn man Abschied genommen hat. Abschiednehmen ist wichtig, um die Realität des Todes zu spüren, um seinem Kind die letzte Geste zu geben, auch wenn man Angst hat, den zerstörten Körper zu sehen - alle haben Angst davor, Eltern Geschwister, aber auch die Helfer. Aber später bereuen es viele Eltern, dass sie es nicht getan haben, weil das für ihren weiteren Verarbeitungsweg ganz wichtig ist.

Wenn die Nachricht kommt "Dein Kind ist tot", nehmen die Eltern die Realisierung des toten Körpers in Trance, im Schock mit. Sie müssen gut betreut und begleitet werden. Das ist das A und O. Sie müssen jemanden an ihrer Seite haben, der ihnen Mut zuspricht, ihnen hilft und bei ihnen ist. Wenn sie es ablehnen, sollte man sie lassen, aber man sollte es ihnen anbieten. Leider bekommen viele die Möglichkeit gar nicht angeboten, Abschied zu nehmen.

Wie lange sollte oder kann Trauer dauern?

Trauer hat verschiedene Gesichter. Sie verändert sich. Sie ist am Anfang ein furchtbares Gespenst, das uns würgt, und das auch sehr lange. Deswegen muss man den Familien drei bis fünf Jahre lassen, bis sie eine Orientierung bekommen, wie ihr weiteres Leben aussieht. Und dann wandelt sich die Trauer. Sie begleitet uns noch als Gespenst, aber sie kann uns nicht mehr solche Schmerzen zufügen. Wir sind noch traurig, wir vermissen unsere Kinder, wir leben mit unseren toten Kindern. Das ist eine Form der Trauer, die sich aber wandelt in Liebe und in einer Art Erinnerungskultur. Denn man kann nicht einfach aufhören und sagen: So, jetzt trauere ich nicht mehr. Man hat dann Momente, Rituale - Tage, an denen man auf den Friedhof geht oder man der Kinder gedenkt, aber es ist dann nicht mehr jeden Tag. Es verändert sich. Trauer ist Veränderung.

Petra Hohn ist die erste Vorsitzende des Bundesverbands "Verwaiste Eltern in Deutschland". Sie ist Autorin des 2008 im Gütersloher Verlagshauses erschienenen Buches "Plötzlich ohne Kind".

Das Gespräch führte Christoph Hasselbach.