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Trauer um eine Ikone?

Jonathan Schulenburg2. März 2007

Der ganz normale Medien-Wahnsinn in den USA. Bestandsaufnahme eines Presse-Marathons.

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Es war ein gewöhnlicher Donnerstagmorgen, an dem ich in die Arbeit kam. Ich freute mich auf einen eher ruhigen Tag. Der sollte es auch werden. Zumindest für das deutsche Fernsehen. Unsere amerikanischen Kollegen dagegen hatten da schon mehr zu tun. Jemand starb. Eine Celebrity. Ein so genannter Star. Ich las den News-Ticker auf CNN: "Anna Nicole Smith gestorben."

Das ist doch diese Blondine, die so einen Milliardär geheiratet hat und dann sein ganzes Geld geerbt hat, dachte ich mir. Woher ich das wusste, ist mir bis heute unklar. Ich kümmerte mich nicht weiter darum und machte mich wieder an die Arbeit. Es gibt ja schließlich Wichtigeres.

Tagelanges Topthema

Falsch gedacht! Mit dem 8. Februar 2007 begann ein Marathon der Berichterstattung in den USA, den man seit Prinzessin Di’s Tod so nicht mehr gesehen hat. Das Ableben der vollbusigen Blondine fesselt noch immer Millionen vor der Mattscheibe. Alleine am Donnerstag, dem Tag, an dem sie starb, entfielen 50 Prozent der Berichterstattung von CNN, MSNBC und FOX nur auf den Tod von Anna Nicole Smith. Die folgenden Tage das gleiche Bild. Zeitungen und Internetseiten widmeten der Story tausende Seiten. Die "New York Post" brachte sie drei Tage in Folge auf Seite eins.

Während Palästinenser eine Einheitsregierung verkünden, Iran sein Atomprogramm nicht stoppt und sich Italien mitten in einer Regierungskrise befindet, berichten amerikanische Medien tagelang vom Tod eines ehemaligen Playmates. Was ist es, das so fasziniert? Sind es die Umstände ihres Todes? Wurde sie ermordet? Wer war es? Ist es die Frage, wer der Vater ihres fünf Monate alten Babys ist? Oder, wer ihre geerbten Millionen erbt?

Peinliche Hingucker

Nach einer Woche hatte Frau Smith Konkurrenz bekommen. Ebenfalls eine Blondine. Doch diese hatte sich gerade erst ihrer Haarpracht entledigt. Die Glatze von Britney Spears schien wichtiger zu sein als der immer stärker werdende Widerstand des Kongresses gegen Bushs Irakpläne oder der Präsidentschaftswahlkampf für 2008. Leute wissen, dass Britney innerhalb weniger Tage zum dritten Mal in der Reha-Klinik war. Wissen sie auch, dass die letzten Monate die blutigsten im Irak waren?

Schnell musste Britney wieder Anna weichen. In einer Gerichtsverhandlung wurde entschieden, wo der Leichnam der toten Blondine begraben werden soll. Texas? Bahamas? CNN und FOX stritten sich darum, wer am längsten aus dem Gerichtssaal berichtete.

The Show must go on

Für die Fernsehsender hat es sich ausgezahlt. Die Einschaltquoten waren so gut wie selten zuvor. Die Politik-Show "Situation Room" auf CNN, die am Todestag stundenlang berichtete, konnte seine Zuschauerzahl gar verdreifachen. Ihr Moderator, Wolf Blitzer, meinte nur: "Ich weiß, dass sich viele Leute über uns beschweren, aber genauso viele schauen es sich auch an."

In den amerikanischen Medien heißt es über Anna Nicole Smith: "Sie war berühmt dafür, berühmt zu sein." Darum geht es. Berühmtheit. Das Leben der Stars und Sternchen. Das ist interessanter als Irak, Iran oder Israel. Viel zu deprimierende Themen. Krieg, welcher Krieg? Die Leute wollen unterhalten werden. Anna Nicole Smith hat sie gut bedient. Zu Lebzeiten und auch noch jetzt - nach ihrem Tod.