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Trauma Flucht

7. Oktober 2016

Genau wie vor einem Jahr wird beim diesjährigen Weltgesundheitsgipfel das Thema Flüchtlinge, Gesundheit und psychische Erkrankungen großes Thema sein. Hat sich bislang etwas geändert? Kaum, resümiert Zulfikar Abbany.

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Griechenland Unbegleitete Jugendliche Flüchtlinge
Bild: Getty Images/AFP/S. Mitrolidis

Falls sie gerade aus einem einjährigen Tiefschlaf erwacht sind, haben Sie nicht viel verpasst - zumindest dann nicht, wenn Sie sich über die Gesundheit von Migranten und Flüchtlingen Gedanken machen.

Migration und die Gesundheit von Flüchtlingen war eines der Top-Themen auf dem Weltgesundheitsgipfel (WHS) 2015 in Berlin. In ein paar Tagen startet der diesjährige Gipfel, das Thema ist wieder Top-Thema. Hier ein Ausschnitt aus dem Programm:

"Die derzeitige Migrationswelle nach Europa ist in der Geschichte des Kontinents unvergleichbar", schreiben die Organisatoren: "Die Migration ist massiv, beispiellos, extrem divers und überwiegend unreguliert." Einfache [medizinische] Hilfe wird nicht länger ausreichen. Neue Konzepte sind erforderlich, um gesundheitspolitische Strategien anzupassen…"

Im Programm von 2015 wurde die Debatte zum Thema Migration und Flüchtlinge mit fast denselben Worten beworben. Dabei ist das weniger ein Indiz für die Faulheit der Verfasser als für die unveränderte Situation, mit der Europa und die Welt hadern.

Ägypten Einwanderung Kinder
Eins von fünf Flüchtlingskindern kommt ohne Eltern oder Verwandte nach EuropaBild: Getty Images/AFP/D. Azzaro

"Ich würde sogar sagen: Es ist leider schlimmer geworden", sagt Roumiana Petrova-Benedict, die schon 2015 auf dem Panel saß. "Es gab Lücken bei der Rekrutierung des nötigen medizinischen Personals. Es gab zuwenige Mediatoren und Übersetzer, Psychologen und praktische Ärzte. Die Zahl [der Migranten] ist heute höher und sie stehen vor größeren Unsicherheiten. Trotz aller Anstrengungen der [Europäischen] Kommission, kann ich nicht konstatieren, dass die Situation besser geworden ist." 

Seelische Gesundheit steht ganz oben

Die psychologische Gesundheit der Flüchtlinge sei dabei die größte medizinische Herausforderung, sagt Petrova-Benedikt, die bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM) als regionale Gesundheitsmanagerin arbeitet.

Vor allem das EU-Türkei-Abkommen habe dazu geführt, dass immer mehr Flüchtlinge in Griechenland steckenbleiben. Diese Situation führe zu Verunsicherung und "verschlimmert die seelischen Belastungen", sagt sie. "Das kommt zu all dem hinzu, was sie auf der langen Reise erlebt haben". Immer mehr Kinder seien jetzt dabei - etwa ein Drittel, jedes Fünfte sei unbegleitet.

Das schaffe "viele Verwundbarkeiten" unter den jungen Migranten, außerdem sei es nicht leicht, diese Erkrankungen aufzuspüren. Auch das sei ein Teil des Problems, sagt Petrova-Benedict.

Wie sieht es vor Ort aus?

"Die Zahl derjenigen, die unmittelbare medizinische Hilfe benötigen, ist in [Mittel- und West-] Europa stark zurückgegangen", ergänzt Florian Westphal, Direktor von Médecins Sans Frontières-Deutschland. Westphal spricht dieses Jahr beim Weltgesundheitsgipfel zu diesem Thema.

"Zumindest was die Route durch die Türkei nach Griechenland und die Balkanstaaten angeht, ist es so, dass weniger Menschen durchkommen". Dadurch sei die Belastung der Gesundheitssysteme, der Hilfsorganisationen und der freiwilligen Helfer geringer.

Anders sieht die Lage in den Staaten des Mittelmeers aus. Denn hier ist die Zahl der Menschen, die aus den Krisengebieten kommen nicht zurückgegangen. Viele kommen jetzt aus Libyen.

"Aber es geht auch um die etwa 60.000 Menschen, die jetzt in Griechenland festsitzen und die nicht wissen, was mit ihnen passieren wird und ob sie je mit ihren Familien anderswo in Europa zusammengeführt werden können oder ob sie in die Türkei abgeschoben werden", sagt er.

Unsicherheit schadet der Gesundheit

Im März 2016 unterschrieben die EU und die Türkei das Abkommen, welches vorsieht, neue Flüchtlinge, die auf inoffiziellen Wegen in Griechenland ankommen, in die Türkei zurückzuschicken. Im Gegenzug würde die EU für jeden zurückgesandten Migranten einen syrischen Flüchtling direkt aus der Türkei aufnehmen.

Die Betroffenen sind darüber nicht glücklich. Die Unsicherheit über ihre Zukunft und ihr Schicksal sowie die Tatsache, dass sie keinen Einfluss mehr darüber haben, was mit ihnen passieren wird, habe ihre Gesundheit "stark beeinträchtigt", sagt Westphal.

"Das Abkommen verhindert, dass viele Menschen Schutz und Hilfe in Europa finden", beklagt Westphal. "Unsere Kollegen vor Ort berichten, dass viele von ihnen unter unhaltbaren Zuständen festgehalten werden. Es gibt keine angemessenen Unterkünfte und keine medizinische Unterstützung. Das betrifft Kinder, Schwangere und psychisch Kranke umso mehr."

Worte aber keine Taten

Das wirft die Frage auf, was ein dreitägiger Gipfel in Berlin erreichen kann, um die Situation zu verbessern. Da schon im Laufe des letzten Jahres so wenig passiert ist, dass das Programm mit dem von 2015 weitgehend identisch ist - was ist da zu erwarten?

"Es war schon letztes Jahr ein Schritt nach vorne, dass der Gipfel das Thema Flüchtlinge und Migration ganz oben auf der Tagesordnung hatte", so Roumiana Petrova-Benedict. "Das Interesse daran wächst", versichert und hofft, dass dem Interesse auch Taten folgen.

"Das beste, was wir uns vom Weltgesundheitsgipfel erhoffen können, ist, dass es Licht auf den Widerspruch wirft - zwischen dem was die EU und ihre Mitgliedsstaaten über ihre Flüchtlingspolitik und ihre Werte sagen und der Realität", sagt Westphal. Denn es gehe um "den tatsächlichen Schaden an der Gesundheit der Flüchtlinge - an der Gesundheit der schwächsten Menschen. Einen Schaden, den die Politik der EU und das EU-Türkei-Abkommen täglich anrichten."