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Treibjagd auf die Akten

Bernd Riegert, Brüssel30. Januar 2008

Bürokratieabbau ist ein leidiges Thema in der EU-Zentrale in Brüssel. Zwei ehemalige Politiker aus Deutschland versuchen ihr Glück dabei - der eine schon lange, der andere seit neuestem.

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Bild: DW
Porträt von Bernd Riegert (Foto: DW)
Brüssel-Korrepondent Bernd Riegert

Die EU hier in Brüssel empfinden die Bürger als ein bürokratisches Monster. Diese Erkenntnis reifte vor drei Jahren im deutschen Industriekommissar Günter Verheugen. Und da zog er aus, den Bürokraten das Fürchten zu lehren. Er wollte das Monster bei den Hörnern oder Aktendeckeln packen, an dem sich vor ihm schon einige vergebens abgemüht hatten.D

Don Quichote Verheugen will die Bürokratiekosten für europäische Unternehmen abbauen, um immerhin ein Viertel bis 2012. Der Sozialdemokrat, der sich nicht scheute, das Beharrungsvermögen der 25.000 EU-Beamten öffentlich zu geißeln, zog jetzt eine erste Bilanz.

Einige Gesetze konnten tatsächlich gestrichen werden, weit weniger als ursprünglich geplant. Angeblich wanderten 5000 Seiten der 95.000 Seiten europäischer Gesetzestexte bereits in den Reißwolf. Günter Verheugen verkündete stolz, 500 Millionen Euro seien schon eingespart worden. Das ist immerhin ein stattliches Drittel eines Prozents (!) der Summe, die bis 2012 zusammenkommen soll, schlappe 150 Milliarden Euro.

Tja, da bleibt noch einiges zu tun. Und wie das bei Monstern und Fabelwesen so ist: Schlägt man hier die Schwanzspitze ab, wächst dort sofort ein neuer Schlangenkopf nach. Denn während Günter Verheugen werkelt, verabschiedet die EU-Maschine immer neue Gesetze, die von Chemikalien bis Lebensmittelkennzeichnung wieder neue Bürokratie schaffen. Mehrere hundert Gesetzesvorhaben sind in der Mache. Die Zahl der nachgeordneten EU-Behörden, Agenturen genannt, wächst stetig. Die Zahl der Beamtenstellen nimmt zu statt ab.

Doch jetzt naht vielleicht Rettung in Gestalt des wackeren bayerischen Polit-Rentners Edmund Stoiber, abservierter CSU-Ministerpräsident und bekennender Aktenfresser. Super-Ede wurde zum EU-Berater ernannt und hatte mit seiner 14-köpfigen so genannten High Level Group seinen ersten Arbeitstag und versprach gleich das Blaue vom Himmel herunter. Er werde Krach schlagen. Er sei kein Placebo, kenne die Praxis und werde die Sorgen der Bürger ernst nehmen.

Die EU-Beamten winkten angesichts der krachledernen Töne des Alt-Bayern ab. Das Problem sei, das jeder in Brüssel für Bürokratieabbau sei, aber immer beim jeweils anderen Fachbereich. Edmund Stoiber will jetzt die Folgenabschätzung für jedes Gesetz durchboxen. Sinnlose Statistiken und Meldepflichten sollen abgeschafft werden. Daran sind schon viele Arbeitsgruppen ob high oder low level verzweifelt, lächeln die Beamten.

Immerhin hat Stoibers Ankunft dem recht müde wirkenden Kommissar Günter Verheugen etwas neuen Elan eingehaucht. Verheugen machte sich zunächst im kleinen Kreis über Stoibers lustig, jetzt lächelt er bittersüß bei dem Satz, er erwarte wertvolle Hinweise. Mal sehen, ob sich die beiden geltungsbedürftigen Ritter wider die Bürokratie nun gegenseitig blockieren.

Eines ist sicher: Bürokratieabbau ist für den Steuerzahler nicht umsonst zu haben. Zwar erhält Edmund Stoiber kein Honorar für seine Mühen, dennoch unterhält der bayerische Staat für ihn in München eine Büroflucht mit 13 Zimmern, einem Pressesprecher, einem Europaexperten, zwei Sekretärinnen und einem Fahrer. Kostenpunkt jährlich rund 450.000 Euro. Ganz zu schweigen von Spesen und Reisekosten für die Tagungen in Brüssel. Qualitativ hochwertige Monsterjagd hat eben ihren Preis.