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Ausbildungsmarkt

29. September 2011

Ausbildungsexperte Thilo Pahl spricht im Interview mit der Deutschen Welle über die aktuelle Lage auf dem Ausbildungsmarkt und erklärt, warum derzeit auch schwächere Jugendliche gute Chancen auf eine Lehrstelle haben.

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Dr. Thilo Pahl, Leiter des Referats Ausbildungspakt und Ausbildungsförderung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (Foto: Thilo Pahl)
Dr. Thilo PahlBild: Thilo Pahl

DW-WORLD.DE: Herr Pahl, der Herbst ist ja immer die Zeit der Lehrstellensuche, das heißt Ausbildungsverträge werden geschlossen zwischen jungen Schulabgängern und Betrieben. Früher hatte man den Eindruck, dass viele Jugendliche auf der Straße blieben, weil es zu wenige Ausbildungsplätze gäbe, heute sieht es eher so aus, dass viele Firmen keine Auszubildenden finden. Täuscht der Eindruck, oder hat sich da in den letzten Jahren tatsächlich einiges geändert auf dem Ausbildungsmarkt?

Thilo Pahl: Ihr Eindruck täuscht da nicht. Die Trendwende auf dem Ausbildungsmarkt ist da, nicht Stellen, sondern Bewerber sind inzwischen knapp geworden. Das liegt zum einen daran, dass die Unternehmen gerade in diesem Jahr, bedingt durch die gute konjunkturelle Lage, ihr Ausbildungsplatzangebot noch einmal erheblich ausgeweitet haben. Auf der anderen Seite ist die Zahl der Jugendlichen, die sich um Lehrstellen kümmern, die nach Lehrstellen suchen, deutlich zurückgegangen in den letzten Jahren. Und das führt dazu, dass sich die Lage auf dem Markt gedreht hat, dass zunehmend qualifizierte Bewerber gesucht werden.

Von Seiten der Industrie- und Handelskammer heißt es oft, am Ende fänden doch noch alle zusammen und es gäbe eigentlich gar kein wirkliches Ausbildungsproblem. Aber in den Medienberichten wird ganz oft gezeigt, dass gerade Jugendliche, die keinen hohen Schulabschluss haben, diejenigen sind, die dann doch auf der Strecke bleiben.

Gerade in diesem Jahr kann man sagen, dass viele schwächere Jugendliche mit schlechteren Schulabschlüssen hervorragende Chancen haben, einen Ausbildungsplatz zu finden. Aber Sie haben natürlich Recht: Wir haben immer noch auf dem Ausbildungsmarkt spezielle Problemgruppen, bei denen der Übergang schwieriger ist. Zu denen gehören zum Einen Jugendliche mit Migrationshintergrund, wobei man da ja auch differenzieren muss, da gibt auch ganz leistungsstarke Jugendliche, die gerade aufgrund ihres Migrationshintergrunds keine großen Schwierigkeiten haben, einen Ausbildungsplatz zu finden, weil sie einen guten kulturellen Hintergrund haben, mehrsprachig sind – die haben kein Problem. Aber Jugendliche, die mit Migrationshintergrund und schlechteren Schulnoten kommen, die haben es schwerer.

Aber: Wir haben auch noch die Leistungsstarken, nicht nur die Schwächeren. Es gibt auch sehr attraktive, schwere und anspruchsvolle Ausbildungsberufe, die gerade für Abiturienten Erfolgsperspektiven im Beruf bieten, und auch diese Klientel müssen wir verstärkt ansprechen, denn viele orientieren sich recht schnell in Richtung Hochschulen, und es gibt eine sehr gute Alternative mit einer Ausbildung und einer daran anschließenden Weiterbildung, nur das ist vielfach nicht bekannt.

Es gab ja im Jahr 2004 den sogenannten Ausbildungspakt zwischen der Wirtschaft und der Regierung. Da ging es darum, Betriebe zu veranlassen, mehr auszubilden. Jetzt sagen Sie, es gibt eigentlich genug offene Stellen und zu wenig Jugendliche. Müssen die Betriebe sich da auch anders orientieren, anders denken?

2004 wurde der Ausbildungspakt zwischen Bundesregierung und Wirtschaft geschlossen, um jedem Jugendlichen ein Angebot auf Ausbildung zu machen, jedem Jugendlichen, der ausbildungsreif und ausbildungswillig ist. Die Zeiten haben sich geändert. Daher liegt bei dem Pakt, der im letzten Herbst noch mal um weitere Jahre bis 2014 verlängert worden ist, der Schwerpunkt jetzt auf der Fachkräftesicherung. Und da sind die Unternehmen aktiv. Beispielsweise gibt es im Rahmen des Ausbildungspaktes die sogenannte Einstiegsqualifizierung. Das ist so eine Art Praktikum zwischen sechs und zwölf Monaten, wo schon Inhalte des ersten Ausbildungsjahres vermittelt werden, wo Jugendliche reinschnuppern können, ob das der richtige Beruf für sie ist, und wo Betriebe andererseits die Chance haben, Jugendliche, die schwächer sind, denen sie normalerweise keinen Ausbildungsplatz geben würden, mal zu testen. Viele sind ja oft viel besser als es die Schulnoten widerspiegeln.

Wir haben bei unseren Recherchen aber auch Jugendliche gefunden, die sagen, eigentlich sind meine Schulabschlüsse ganz gut. Aber das, was das Unternehmen, bei dem ich anfangen soll, fordert – zum Beispiel werden in der IT-Branche Computer- und Programmierkenntnisse vorausgesetzt statt sie den Schülern beizubringen –, das ist kaum zu erreichen.

Es ist sicherlich so, dass in einigen Ausbildungsberufen die Anforderungen in den letzten Jahren gestiegen sind. Nehmen Sie das ganz einfach Beispiel des Kfz-Mechatronikers: Früher hieß er noch Kfz-Mechaniker, der hat vor 20 Jahren ganz andere Dinge gemacht, der konnte noch mit dem Schraubschlüssel an einem Wagen arbeiten. Jetzt muss man sehr komplizierte elektronische Systeme verstehen und beherrschen lernen. Da sind die Anforderungen gestiegen. Aber wie wir schon sagten: Diese Trendwende auf dem Ausbildungsmarkt führt automatisch dazu, dass die Unternehmen nicht so wählerisch sein können. Sie müssen es im Laufe einer Ausbildung vermitteln.

Wir haben gerade von den Erwartungen der Betriebe gesprochen. Wie sieht es denn bei den Erwartungen der Auszubildenden aus? Gibt es da auch Unterschiede im Vergleich zu früher? Es gibt ja immer noch Berufe, die besonders beliebt und gefragt sind, und wahrscheinlich auch solche, die keiner machen will.

Da haben Sie recht, das Berufswahlverhalten der Jugendlichen hat sich in den letzten Jahren nicht wesentlich verändert. Es konzentriert sich sehr stark auf die bekannten Berufe. Dazu gehören der Kfz-Mechatroniker, der Verkäufer und der Industriemechaniker bei den Jungen, und bei den Mädchen sind es die Verkäuferin und die Bürokauffrau, die sehr beliebt sind. In der Tat ist es ganz wichtig, und das ist auch eine Empfehlung, die die Wirtschaft den Jugendlichen gibt: Schaut über den Tellerrand hinaus, konzentriert euch nicht nur auf ein, zwei Berufe, ihr habt eine viel größere Auswahl als früher.

Es gibt ja auch das sogenannte "Arbeitnehmerfreizügigkeitsgesetz", das es auch Jugendlichen aus dem europäischen Ausland, gerade auch aus osteuropäischen Ländern, erlaubt, eine Lehrstelle in Deutschland zu suchen. Hat das die Situation auf dem Markt schon verbessert?

Das kann für einige Betriebe, gerade auch im grenznahen Bereich, eine Alternative sein. Viele Betriebe in den neuen Bundesländern grenzen an Polen oder an Tschechien. In diesen Bundesländern hat es in den letzten fünf Jahren bei den Schulabgängerzahlen einen Rückgang um die Hälfte gegeben. Dort ist die Not besonders groß, und die blicken natürlich über die Grenze hinaus und wollen dort auch junge Talente aus dem Ausland für sich gewinnen. Aber das kann insgesamt von der Masse an qualifizierten Jugendlichen aus dem Ausland nicht die Lösung sein.

Was würden Sie als Zuständiger für den Bereich Ausbildung denn ändern an der Situation und am Zugang zur Ausbildung, was würden Sie verbessern?

Der entscheidende Schritt, der in den nächsten Jahren gemacht werden muss, liegt schon am Übergang von der Schule in die Ausbildung. Da brauchen gerade die schwächeren Jugendlichen eine bessere Unterstützung, um den Einstieg in Ausbildung zu schaffen. Bereits in der Schule müsste es für die Schwächeren eine individuelle Begleitung geben, und es müssten Berufsorientierungsveranstaltungen organisiert werden. Jede Schule müsste einen Partner aus der Wirtschaft haben, damit dort regelmäßig Unternehmen hereinkommen und diese Berufe vorstellen. Was schlecht ist: Wenn ein Jugendlicher in der neunten oder zehnten Klasse die Schule verlässt und vielleicht nur ein, zwei Berufe kennt und noch kein auf seine individuellen Stärken und Schwächen abgestimmtes Bewerbungsprofil vor Augen hat. Diese Jugendlichen haben es schwer, die verlieren dann meistens noch mal Zeit, weil sie erst in Vorbereitungsmaßnahmen hineinkommen. Da müssen wir insgesamt besser werden. Wenn dieser Übergang von Schule in Ausbildung besser gelingt, dann wäre viel erreicht.


Das Gespräch führte Gaby Reucher
Redaktion: Claudia Unseld