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"Trocken zu sein ist wichtiger als alle Titel"

Joscha Weber8. Oktober 2012

"Volle Pulle" war sein Spielstil, "volle Pulle" war sein Motto nach dem Spiel am Tresen. Der Ex-Nationalspieler Uli Borowka spricht im DW-Interview über seine schwere Alkoholsucht - und wie er sie überwand.

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Uli Borowka aufgenommen bei einem Prominentenspiel am 2005 (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Ich war ganz oben und ganz unten. Ich war so gut wie tot." So fasst Uli Borowka, inzwischen 50 Jahre alt, sein Leben zusammen. In 388 Bundesligapartien für Bremen und Mönchengladbach sowie sechs Länderspielen für Deutschland lehrte er als beinharter Verteidiger seine Gegner das Fürchten. Doch außerhalb des Platzes hatte Borowka einen Gegner, der stärker war als er: den Alkohol. "Bier, Wein, Schnaps - ich soff alles, was ich in die Finger bekam", schreibt Uli Borowka in seinem Buch "Volle Pulle - Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker", das seit Montag (08.10.2012) im Handel ist. Im DW-Interview spricht der Ex-Profi über seine Veränderung durch den Alkohol, die Verdrängung seiner Sucht und dass sich heute aktive Bundesliga-Profis bei ihm mit ähnlichen Problemen melden. Deshalb plant Borowka auch einen Verein zu gründen, der suchtkranken Leistungssportlern helfen soll.

DW: Herr Borowka, in Ihrem neuen Buch beschreiben Sie eindringlich, wie Sie vom gefeierten Bundesliga-Star zum einsamen Alkoholiker wurden. Fiel es Ihnen schwer, so offen über Ihre privaten Probleme zu schreiben?

Uli Borowka: Meine Arbeit an diesem Buch war schon keine einfache Zeit, das muss ich ganz ehrlich zugeben. Nachdem ich das fertige Manuskript gelesen habe, bin ich für zwei, drei Wochen in ein Loch gefallen und hatte noch mal richtige Probleme.

Was war denn Ihre Motivation, sich all das von der Seele zu schreiben?

Es war die Resonanz, die ich seit letztem Jahr erfahren habe, seit dem ich wieder ein bisschen in die Öffentlichkeit gekommen bin. Auf die ersten Berichte in "11 Freunde" und im "Kicker" gab es schon einen wahnsinnigen Zuspruch. Die Leute haben mich offen angeschrieben und gesagt, sie finden das ganz klasse und ganz toll. Und für mich war es auch eine Aufarbeitung meines ganzen Lebens.

Der deutsche Mittelfeldspieler Uli Borowka (unten) bringt 1988 den argentinischen Mittelfeldregisseur Diego Maradona (l, oben) zu Fall. (Foto: dpa)
Er fällte die ganz großen: Uli "die Axt" Borowka brachte selbst den großen Diego Maradona unsanft zu BodenBild: picture alliance/augenklick

Wie konnte es überhaupt geschehen, dass ein Mann mit Familie, genügend Geld und einem Job, um den ihn andere beneiden, den Halt verlor?

Mein Kartenhaus, was ich mir persönlich aufgebaut habe, ist einfach eingestürzt. Mein Image als härtester Bundesligaspieler, das musste ich nach außen präsentieren. Aber in Wirklichkeit hätte ich auch gerne mal über meine Gefühle geredet oder auch mal gerne gesagt: 'Mensch, ich bin auch nicht ganz so stark.' Aber ich habe das dann alles mit in mein Privatleben genommen, habe den Halt verloren, der Boden ist aufgegangen. Ich habe dann eben das Ventil, den Alkohol, gesucht. Ich konnte damit selber nicht mehr umgehen.

Die Alkoholsucht sorgte in Ihrem Fall sogar dafür, dass Ihre Frau mit ihren Kindern vor Ihnen floh. Wie sehr hat der Alkohol Sie damals verändert?

Der hat mich bis auf das Äußerste verändert. Es ist ja eine schleichende Krankheit, bei der der Körper immer mehr Alkohol braucht. Am Anfang war ich ja auch ein lustiger Typ, wenn ich mal ein paar Gläser getrunken habe. Aber das ist dann mit den Problemen, die eben auch mit aufkamen, komplett umgeschlagen in eine Aggressivität und in Selbstmitleid. Deswegen kann ich aus heutiger Sicht nachvollziehen, dass mich viele Menschen verlassen haben, dass sich meine damalige Familie, die Kinder und viele Freunde abgewandt haben.

Uli Borowka von Fußball-Bundesligist Borussia Mönchengladbach aufgenommen vor der Saison 1984/85 (Foto: dpa)
Borowka als junger Spieler in Mönchengladbach: "Ich war vom Talent betrachtet immer im hinteren Drittel."Bild: picture-alliance/dpa

Es folgten Alkoholfahrten mit dem Porsche und ein gescheiterter Selbstmordversuch – Empfinden Sie es als Glück, heute noch am Leben zu sein?

Das ist heute Glück für mich, ja. Ich habe heute eine komplett andere Einstellung. Ich bin mit mir im Reinen. Ich muss offen über meine Alkoholkrankheit reden, das ist für mich sehr, sehr wichtig. Seitdem ich mit dem Thema in der Öffentlichkeit bin, habe ich hunderte von persönlichen Mails bekommen, in denen sich Menschen dafür bedanken, dass ich so offen damit umgehe. Ich muss ganz ehrlich sagen, mit so einer Resonanz habe ich überhaupt nicht gerechnet.

Warum danken Ihnen die Menschen dafür?

Ich möchte es mal so sagen: Alkohol ist aus meiner Sicht eine Volksdroge, und es gehört in Deutschland zum Kulturgut. Jeder, der dieses Interview oder mein Buch liest, wird sehr wahrscheinlich im Familien- oder Freundeskreis auch Problemfälle kennen. Es freut mich, wenn jetzt ein bisschen offener über die Alkoholkrankheit geredet wird.

In Ihrem Buch beschreiben Sie auch gemeinsame Alkohol-Eskapaden mit Mitspielern. Ist Alkohol ein Problem in der Bundesliga?

Es hat sich viel verändert. Ich habe damals wirklich viel zu viel Alkohol in mich reingeschüttet, aber es fiel nicht so auf. Heute gibt es eine große Presse-Präsenz beim Training. Es ist mittlerweile ja schon schwierig, dass eine Mannschaft in einer Kneipe mal einen Geburtstag feiert und dabei nicht beobachtet wird. Das schreckt natürlich ab. Aber während der letzten Wochen haben sich bei mir aktive und ehemalige Fußballer gemeldet, die die gleichen Probleme haben.

Wie haben Sie die Alkoholsucht überwinden können?

Ich selber habe es ja überhaupt nicht eingesehen, dass ich alkoholkrank war, noch nicht mal bis zum letzten Tag, bis zur letzten Stunde, bevor ich in die Klinik gebracht worden bin. Und auch in der Klinik war ich in den ersten Wochen der Meinung: 'Ich guck’ hier mal für zwei Wochen vorbei und kann dann wieder kontrolliert trinken.' In der Klinik habe ich dann relativ schnell auf dramatische Art und Weise erkennen müssen, dass es doch wirklich besser ist, sofort aufzuhören. Ich habe Menschen gesehen, die haben aufgrund ihrer Alkoholkrankheit nur noch ein paar Monate zu leben gehabt. Das ist mir brutal vor Augen geführt worden.

Buchcover von Uli Borowka (Foto: Verllag Edel Vita)
Borowkas Buch: "Meine ganz persönliche Therapie"

Wenn Sie auf Ihre Karriere als Fußballer zurückblicken: Haben Sie das erreicht, was Sie erreichen wollten?

Ich habe sogar mehr erreicht. Wenn wir jetzt mal offen reden: Ich war vom Talent betrachtet immer im hinteren Drittel, auch in den Jugendmannschaften schon. Aber mein Wille und mein Ehrgeiz, den ich da gezeigt habe, hat mich bis zum Nationalspieler gebracht. Aber ganz ehrlich: Das, was ich für mich selber hier vollbracht habe, dass ich jetzt trocken bin, das ist für mich hundert Mal wichtiger als meine ganzen Titel, die ich mit Werder gewonnen habe. Mein großes Ziel ist jetzt, dass ich erstmal trocken bleibe, das ist das Allerwichtigste. Ich möchte einfach die nächsten Jahre noch genießen.

Das Gespräch führte: Joscha Weber

Redaktion: Arnulf Boettcher