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Vitamin-D-Mangel in Afrika weit verbreitet

2. Juli 2020

Vitamin-D-Mangel ist ein Problem – vor allem in Regionen, in denen es eher grau als sonnig ist. Eine Studie stellt nun aber fest: Auch in sonnenverwöhnten Ländern Afrikas mangelt es vielen an Vitamin D.

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Landschaft Kenia Masai Mara
Bild: Imago/blickwinkel

Der Himmel ist grau. Es regnet. Von Sonne keine Spur. Es ist ein Tag Anfang Juli in Deutschland und gleichzeitig ein Tag, der veranschaulicht, weshalb hierzulange ein eklatanter Vitamin-D-Mangel herrscht: Es gibt schlicht zu wenig Sonnenlicht.

Mehr als 30 Prozent der in Deutschland lebenden Erwachsenen haben ein Vitamin-D-Defizit. In ganz Europa sind es etwa 40 Prozent. Wie stark der Mangel ausgeprägt ist, unterliegt unter anderem saisonalen Schwankungen: Im Winter ist das Defizit entsprechend größer als im Sommer.

Ohne Sonne geht es nicht

Der Vitamin-D-Spiegel steht und fällt hauptsächlich mit dem Sonnenlicht. Trifft ausreichend UV-Strahlung auf die Haut, ist der Körper in der Lage, das Vitamin selbst herzustellen. Nur geschätzte zehn bis 20 Prozent des Bedarfs werden über die Nahrung gedeckt.

Es ist deshalb naheliegend, dass Menschen, die in einem eher sonnenverwöhnten Teil der Welt beheimatet sind, mit Vitamin-D-Mangel wenig am Hut haben. In Afrika zum Beispiel, wo gefühlt häufiger die Sonne scheint. 

Tatsächlich aber leiden auch große Teile der Bevölkerungen afrikanischer Länder unter einem Defizit des "Sonnenvitamins". So das Ergebnis einer Studie aus Kenia, die im Fachmagazin "The Lancet” veröffentlicht wurde.

In dieser Meta-Analyse schauten sich die Forscher 129 Studien mit insgesamt knapp 21.500 Probanden aus 23 verschiedenen afrikanischen Ländern an. Demnach leidet jeder Dritte an einem schweren Vitamin-D-Mangel.

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Jörg Reichrath ist leitender Oberarzt der Hautklinik in Homburg und beschäftigt sich seit 35 Jahren mit diesem besonderen Vitamin. Besonders überrascht ist der Mediziner nicht von den Ergebnissen der Studie. Mit einem solchen Ausmaß des Defizits hat er allerdings auch nicht gerechnet.

Ist ein Mangel denn so schlimm?

Es sei wahrscheinlich die Urbansierung und der damit einhergehende, sich verändernde Lebensstil vieler Menschen, der den Vitamin-D-Mangel auch in den sonnigsten Regionen Vorschub leistet, vermuten sowohl die Studienautoren als auch Jörg Reichrath.

Denn die Sonne kann noch so schön scheinen – wer in geschlossenen Räumen lebt und arbeitet, hat wenig davon.

Die Studienautoren um den Wissenschaftler Reagan Mogire stellten fest, dass der Vitamin-D-Mangel in ländlichen Regionen, in denen das Leben vornehmlich im Freien stattfindet, viel geringer ist. Ansonsten sei das Defizit aber vergleichbar mit dem in Europa.

Wozu Vitamin D?

Eine schlechte Versorgung mit Vitamin D kann ganz unterschiedliche Folgen haben – offensichtliche und weniger offensichtliche. Nicht einmal bei der Frage, wann überhaupt von einem Mangel die Rede sein kann, herrscht Konsens. Stattdessen werden oft mehrere Grenzwerte als Maßstab genommen.

Von einem schweren Vitamin-D-Mangel ist die Rede, wenn die Stoffmenge des Vitamins pro Liter Blut geringer als 30 Nanomol (oder auch etwa 12 Nanogramm pro Milliliter) ist. 

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Wird dieser Grenzwert unterschritten, kann das zu schweren und schmerzhaften Knochenverformungen und damit zu Rachitis im Säuglings- und Kindesalter und zur sogenannten Osteomalazie bei Erwachsenen führen. Auch Osteoporose kann eine Folge des Vitamin-D-Mangels sein.

Neben der Regulierung des Calcium-Spiegels im Blut und der Bedeutung für den Knochenaufbau wird ein Vitamin-D-Mangel mittlerweile auch in Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einem höheren Infektionsrisiko, Diabetes Typ 2 und einigen Krebsarten in Zusammenhang gebracht.

Kleines Vitamin, große Wirkung

"In den letzten zehn Jahren hat sich in der Forschung zum Vitamin D einiges getan", sagt Jörg Reichrath und erklärt, weshalb ein Defizit auch dann problematisch ist, wenn er sich nicht so offensichtlich äußert, wie das bei einer Rachitis der Fall ist. Denn mittlerweile wissen Wissenschaftler wie Reichrath: "Vitamin D spielt im Grunde überall eine Rolle."

Verschleierte Frauen auf dem Berg Souda I Abha I  Saudi-Arabien I Asien
Vitamin D kann nur dann synthetisiert werden, wenn die Haut der UV-Strahlung der Sonne ausgesetzt wirdBild: picture-alliance/M. Runkel

Das Vitamin D, das wir durch die Sonnenstrahlung oder die Nahrung aufnehmen, sei zunächst nicht biologisch aktiv. Einige Stoffwechselprozesse müssten erfolgen, bevor die biologisch aktive Form des Vitamins, das sogenannte Calcitriol, in der Niere gebildet und von dort ins Blut abgegeben werde.

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"Früher dachte man, das Calcitriol, das im Blut ist, sei der entscheidende biologisch aktive Metabolit, der alle Wirkungen vermittelt. Das ist aber nicht so", erklärt Reichrath. "Wahrscheinlich reguliert das Calcitriol im Blut nur den Calcium-Knochen-Stoffwechsel." 

Mehr als nur ein Knochenjob

Lange galt die Annahme: Wer genug Calcitriol im Blut hat, kann nicht unter Vitamin-D-Mangel leiden, erklärt Reichrath. Doch dann entdeckte die Forschung vor einigen Jahren, dass sich der Körper das Vitamin D noch auf einem ganz anderen Weg nutzbar macht.

"Fast alle Organe haben Vitamin-D-Rezeptoren", sagt Reichrath. Ein Umstand, der schon länger bekannt ist. An diesen Rezeptoren bindet eine Vorstufe des Calcitriol, die sich ebenfalls im Blut befindet, aber noch nicht biologisch aktiv ist. Aus dieser Vorstufe stellen die Organe dann selbst Calcitriol her, das für unzählige weitere Prozesse im Körper genutzt wird. 

So reguliert diese Form des Vitamin D die Insulinausschüttung, hemmt das Tumorwachstum, fördert die Bildung der roten Blutkörperchen und das Überleben sowie die Tätigkeit der für das Immunsystem wichtigen Makrophagen. Das von den verschiedenen Organen produzierte Calcitriol gelangt allerdings nicht zurück ins Blut, weshalb dieser Syntheseweg lange vor den Forscher verborgen blieb.

Für unseren Bedarf an Vitamin D heißt das: Wir brauchen viel mehr als der früher als ausreichend betrachtete Grenzwert. "Man geht heute davon aus, dass wir etwa 20 bis 30 Nanogramm Vitamin D pro Milliliter Blut benötigen", sagt Reichrath. Also etwa doppelt bis dreimal so viel wie lange angenommen.

Eine Frage des Lifestyles

Die kenianischen Wissenschaftler begründen ihre Forschung zur Bedeutung von Vitamin D mit dessen Funktion für das Immunsystem. "Afrika leidet sowohl unter Infektions- als auch unter nichtübertragbaren Krankheiten. Der Kontinent verzeichnet beispielsweise eine der höchsten Rachitisraten der Welt", schreibt Studienautor Mogire in einem Beitrag für The Conversation.

Allerdings wird ein potentieller oder tatsächlicher Vitamin-D-Mangel wahrscheinlich niemanden dazu veranlassen, den Bürojob zu kündigen und Farmer zu werden oder die religiöse Verschleierung abzulegen, um sich die Sonne auf die Haut scheinen zu lassen.

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Mogire und seine Kollegen plädieren deshalb umso mehr dafür, dass das Vitamin-D-Defizit in den Fokus afrikanischer Gesundheitsbehörden rückt. Jörg Reichrath empfiehlt Vitamin D-Tabletten, um dem Mangel entgegen zu wirken. 

Allerdings setzt die UV-Strahlung auch noch weitere wichtige Stoffwechselprozesse in Gang, so Reichrath. Die Sonne sei deshalb auch durch das beste Vitamin-D-Substitut nicht zu ersetzen.