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Politik

Trump bedroht Grundpfeiler amerikanischer Gesellschaft

James K. Galbraith
26. November 2016

Während viele noch dabei sind, die Wahl Donald Trumps zum nächsten US-Präsidenten zu verarbeiten, zerbricht der soziale und politische Zusammenhalt in den USA, meint Gastautor James K. Galbraith.

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Donald Trump mit Waffe in der Hand (Foto: Getty Images/R.Ellis)
Bild: Getty Images/R.Ellis

Bereits die Wahl Donald Trumps signalisiert das Ende der moralischen Weltherrschaft der Amerikaner. Dem Ton, den die deutsche Kanzlerin am nächsten Tag in ihrem Grußwort angeschlagen hat, werden alle Demokratien folgen - aus politischem Kalkül, aber nicht immer aus Überzeugung: "Deutschland und Amerika sind durch Werte verbunden - Demokratie, Freiheit, den Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung", sagte Angela Merkel. Auf der Basis dieser Werte biete sie dem künftigen US-Präsidenten eine enge Zusammenarbeit an. Eine elegantere Unabhängigkeitserklärung ist wohl kaum vorstellbar.

Die Supermacht USA ist nicht mehr "einzigartig"

Diese Entwicklung war nicht allein Trumps Werk. Der "amerikanische Exzeptionalismus" - die Sonderstellung Amerikas - hat schon lange ihren Zenit überschritten. Vielleicht bereits mit dem Ersten Golfkrieg unter Präsident George Herbert Walker Bush. Auch das Ende des Kalten Krieges, die Deutsche Wiedervereinigung, der Aufstieg (und Fall) Europas und der Aufstieg Chinas haben die Supermacht Amerika bereits herabgesetzt. Tödlichen Schaden hat auch die zweite Bush-Regierung verursacht - auch Obama konnte da nichts mehr reparieren. Aber Obama verlangte immerhin persönlichen Respekt ab - Trump nicht. Die Bindung ist gekappt, die Ära vorbei und sie wird nicht wiederkehren.

Als wie streitlustig Trump sich am Ende erweist, bleibt abzuwarten. Provokationen und präventive Aktionen können jedoch Fakten schaffen: Der Nuklear-Deal mit dem Iran ist solch ein potenzieller Krisenherd. Aber jetzt treten Russland und China als Weltmächte auf den Plan, die nicht weniger Autorität haben als die USA. Das ist nicht unangemessen. Und sofern ihre Führung es verdient, werden sie sogar noch mehr Macht gewinnen können. Chinas frühe Warnung an Trump, am Pariser Klimaabkommen festzuhalten, ist ein gutes Beispiel dafür. Die Weltordnung hat vorerst neue Wächter.

Spaltung schreitet voran

Langsamer entwickelt sich innerhalb der USA eine parallele Dynamik. Die Bundesregierung war der Grundpfeiler amerikanischen Lebens seit den 1930er Jahren, in moralischer Hinsicht sogar seit der Bürgerrechtsära. Dieser Grundpfeiler wird nun bröckeln. In Fragen der Abtreibung, der Gesundheitsversorgung, der Umwelt, des öffentlichen Schulwesens und vieler anderer Themen wird sich das Land spalten, da diese Aufgaben wieder den einzelnen Bundesstaaten übertragen werden. Lohnlücken werden sich vertiefen, da Mindestlöhne in einigen Staaten steigen, in anderen nicht.

US-Ökonom James Galbraith (Foto: privat)
US-Ökonom James Galbraith Bild: privat

Der Staat New York und die Stadt Los Angeles haben sich bereits verweigert, bei Massen-Razzien gegen Einwanderer zu kooperieren. Da die Regierungen der einzelnen Staaten die Wahlen in den USA durchführen, werden Stimmrechte der aktuellen politischen Teilung folgen. Sie werden die Spaltung verstärken und sie verstetigen - bis die nächste Bürgerrechtsbewegung einlenkt. Wenn sie denn jemals kommt.

Die Legitimität der US-Regierung als Demokratie beruht auf einer breiten Akzeptanz der Verfassung, wie sie insbesondere in Folge des Bürgerkriegs abgeändert wurde. Heute allerdings kann jede Institution innerhalb dieser Struktur in Frage gestellt werden: Der US-Senat gibt Kalifornien genauso viel Gewicht wie jedem einzelnen von 21 Staaten, die zusammen genommen nicht so viele Einwohner haben wie das bevölkerungsreiche Kalifornien.

Im Repräsentantenhaus ist die Partei überrepräsentiert, die die einzelnen Bundesstaaten kontrolliert - eine Verzerrung, die dazu führt, dass die Republikaner das Repräsentantenhaus dominieren. Das Wahlmännergremium verleiht kleineren Staaten mehr Gewicht und hindert somit vier von fünf der größten Staaten daran, eine aktive Rolle in der Präsidentschaftskampagne zu spielen. Die Bundesgerichte fallen in die Hände von anti-föderalen Rechtsextremisten.

Trump hat diese Bedingungen nicht selbst geschaffen, aber er macht sich schnell daran, sie auszunutzen. All das deutet auf eine Rückkehr zu einem konföderalen System hin - etwas, was in der Geschichte der USA bereits zweimal probiert wurde und beim zweiten Versuch erst nach einem langen und brutalen Krieg wieder aufgegeben wurde.

Angst und Wut bei Minderheiten

Das Konfliktpotenzial ist offensichtlich. In New York streiten Demonstranten bereits die Legitimität der Wahl von Trump ab. Die Ansicht, dass das System manipuliert sei, ist weit verbreitet. Angst und Wut suchen die Communities heim, die die Demokraten vertreten: Die Afroamerikaner, die Latinos, die LGBT Community, Migranten, die Frauenbewegung. Diese Gruppierungen, die selbst nicht gerade wohlhabend sind, haben tendenziell in den reichsten Staaten ihr größtes politisches Gewicht, an den beiden Küsten und in Illinois. Die dominanten politischen Kräfte dort und die im Inneren betrachten sich gegenseitig nun mit Verachtung. Identität und geographische Polarisierung verstärken sich also gegenseitig.

Wie lange wird das Konzept der amerikanischen Identität also noch Bestand haben, wenn die Bundesstaaten nun als Orte der politischen Macht hervortreten? Die Bürger der ehemaligen Sowjetunion und Jugoslawien haben erlebt, wie schnell ein großer Staatenverbund zusammenbrechen kann. Die Europäer sehen zu, wie die Europäische Union vor ihren Augen rissig wird.

Die Vereinigten Staaten sind davon zwar noch weit entfernt. Die Verfassung ist starker Kitt. Aber wird das auch so bleiben, wenn die nun aufsteigenden reaktionären Elemente ihren Willen durchsetzen bei allem, was sie ängstigt und sie verabscheuen?

Der Wirtschaftswissenschaftler James K. Galbraith lehrt an der Universität von Texas in Austin. Er ist Autor des Buches "Wachstum neu denken: Was die Wirtschaft aus den Krisen lernen muss". Sein Vater ist der bekannte US-Ökonom John Kenneth Galbraith.