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Truppenübungsplatz wird Nationales Naturerbe

29. Oktober 2016

Militärgelände als Naturparadies? Ein Areal auf Rügen, mit Munition gespickt, soll als Teil der Heimat gewürdigt und als Basis für künftige Generationen bewahrt werden? Das funktioniert. Dank einer genialen Idee.

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Bildergalerie Herbst in Deutschland 2015
Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Es war Anfang 1989, im Jahr des Mauerfalls. Im politischen Bonn rechnete noch niemand mit dem schnellen Ende der DDR und dem daraus resultierenden Finanzbedarf für den bevorstehenden Aufbau Ost.

Der war also noch nicht absehbar - da hatte jemand im Bundesfinanzministerium eine geniale Idee. Der Verkauf der bundeseigenen Salzgitter AG stand an. Mit dem Erlös könne man eine Stiftung gründen, um sich Belangen des Umweltschutzes zu widmen. Der damalige Finanzminister Theo Weigel war Feuer und Flamme. 

Der Anfang zweier Erfolgsgeschichten 

Heute gehört das börsennotierte Unternehmen Salzgitter AG zu den größten Stahlproduzenten Europas. Und die damals durch den Verkauf erzielten umgerechnet 1,3 Milliarden Euro standen dem Naturschutz über die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) zur Verfügung. Die gigantische Summe machte 1989 mehr als das Doppelte des Etats des Bundesumweltministeriums (BMU) aus. "Alles, was wir als BMU nicht fördern konnten, konnten wir über die DBU fördern", sagte damals der Umwelt-Staatssekretär Clemens Stroetmann. 

Symbolbild Waldsterben
Saurer Regen brachte Bäume zum Absterben. Heute geht es dem Wald wieder besser. Bild: picture alliance/chromorange

Probleme waren reichlich vorhanden und nun auch Geld, diese anzugehen: Saurer Regen hatte das Waldsterben befördert, Müllberge türmten sich und der Rhein glich einer Kloake. In der DDR, rund um den Chemie- und Braunkohlestandort Bitterfeld, waren Böden und Gewässer so stark kontaminiert, dass die Umweltschäden als Bitterfeld-Syndrom in die Geschichte eingingen. 

Natur auf Truppenübungsplatz und im Tagebau

Nach der Eingliederung der DDR in die Bundesrepublik wurden zunächst wertvolle Kulturgüter, die vom sauren Regen geschädigt worden waren, mit DBU-Mitteln saniert, darunter die Leipziger Thomaskirche oder der Meißener Dom. Doch was sollte mit den Truppenübungsplätzen geschehen, die während des Kalten Krieges von Panzern der Warschauer Pakt-Staaten in der DDR und der NATO auf dem Gebiet der Bundesrepublik malträtiert worden waren?

Wer sollte sich um die Natur in den Tagebauen kümmern, nachdem die Kohlebagger der Erde die letzten Brocken Braunkohle zum Verheizen entnommen hatten? Und wie sollte man mit der Natur entlang der früher bestbewachten Grenze verfahren, die sich durch beide Teile Deutschlands zog?

Aus dem Todesstreifen wurde das "Grüne Band"

An der innerdeutschen Grenze gab es wegen der hohen Mauern, Stacheldraht und Wachtürmen 40 Jahre lang kaum ein Durchkommen. Doch gerade auf diesem scheinbar öden Grenzverlauf fand man mehr als 1.200 Tier- und Pflanzenarten, die international auf der "Roten Liste der gefährdeten Arten" stehen. 

Selbst in dicht besiedelten Arealen fanden sich Sumpfoasen, Heidelandschaften, Waldparadiese. Auch viele militärisch genutzte Flächen waren für Tiere und Pflanzen ein wichtiger Lebensraum. Diese meist riesigen unzerschnittenen Areale waren nicht bewirtschaftet worden und wiesen einen geringen Nährstoffeintrag auf. Das war ideal für viele Arten. 

Munitionsfund auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Heidehof
Achtung Lebensgefahr auf einem Truppenübungsplatz: Noch immer gibt es an vielen orten alte Munition zwischen Sand und Gräsern. Bild: Naturstiftung David

Naturschutz nach Plan

Frank Bölke betreut seit 32 Jahren als Förster ein solches ehemaliges Militärgebiet auf der Ostseeinsel Rügen. "Die militärische Nutzung war ein Segen, weil sich Flora und Fauna von sich aus entwickeln konnten," sagt der Förster.

Sein Revier Prora enthält drei Ökosystemen: Wald, offenes Land und Feuchtgebiete. Es wurde 1993 als erstes Gebiet zum Nationalen Naturerbe erklärt. Bölke kennt jeden Winkel und Standort seltener Orchideen, weiß, wo Seeadler ihre Kreise ziehen. 

Heideflächen entstanden durch walzende Panzer der Nationalen Volksarmee. Heute laben sich Wasserbüffel an Gräsern und Moosen. "Die Tiere sind ein Highlight für Besucher", sieht Bölke den touristischen Nutzen. Bölke macht auch Öffentlichkeitsarbeit. "Wir sind auch dafür verantwortlich, dass sich Wildnis entwickelt. Das wird noch einige Jahrzehnte dauern."

Mancher bedachte und behutsame Eingriff ist also notwendig. Die Pflanzen sollen dezimiert werden, da sie sonst die Landschaft verändern würden, die seltenen Arten einen einzigartigen Lebensraum bietet. Schnell wachsende Fichten und Douglasien müssen entfernt werden. "Sie wurden als Sichtschutz fürs Militär gepflanzt. Die Bäume gehörten aber ursprünglich nicht in das Gebiet", begründet der Förster die Maßnahme. 

Bölke hat einen Plan, nach dem sich die Fläche in den nächsten zehn Jahren bei entsprechender Pflege entwickeln soll. Dazu gehört ein ausgeklügeltes Wege- und Informationskonzept mit Baumwipfelpfad und Aussichtsturm. Die Eingriffe des Menschen sollen in Grenzen gehalten werden und sich über Jahrzehnte hinziehen. 

Rügen Baumwipfelpfad Prora
Spektakuläre Architektur: Diese Aussichtsplattform gehört zum Baumwipfelpfad Prora auf Rügen. Bild: picture-alliance/dpa/S. Sauer

Die Politik setzt auf Wildnis 

Natur gehört zur Heimat und Naturschutzpolitik zu den Standardprogrammen der politischen Parteien. Der fortschreitende Artenverlust soll gestoppt werden. Da wundert es nicht, dass Bundes- und Länderregierungen das Nationale Naturerbe inzwischen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe höchsten Ranges eingestuft haben und seit 2005 im Koalitionsvertrag festschreiben.

Seither verschenkt der Staat gezielt Flächen, mit der Auflage, sie ausdrücklich nicht ökonomisch, zur Jagd oder Bewirtschaftung zu nutzen. Dort soll Wildnis entstehen. Am Freitag hat der Bund durch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) der DBU weitere 10.500 Hektar Fläche übertragen, die einst militärisch genutzt wurden. Erstmals seit Gründung der Stiftung soll es dadurch auch einen Naturschutzschwerpunkt im Westen Deutschlands geben.