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Kommissar Wallander geht

30. April 2010

Ein Kommissar geht: Kurt Wallander, Krimi-Galionsfigur mit depressiver Ader, scharfem Verstand und leichtem Übergewicht. Die Romanfigur von Henning Mankell löst ihren letzten Fall. Ein Brief zum Abschied.

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Lippenstift-Kussabdruck auf einem Blatt Papier (Foto: Bilderbox)
Bild: Bilderbox.com

Lieber Kurt Wallander,

zur Feier unseres gegenseitigen Abschiednehmens habe ich Zimtschnecken gekauft. Bevor ich Sie vor zehn Jahren kennen gelernt habe, wusste ich nicht, dass Schweden so verrückt sind auf Zimtschnecken und dass es zum guten Ton gehört, immer einen Kaffee anzubieten, wenn Gäste kommen, selbst wenn der Kommissar eine Todesnachricht überbringt. Zum Abschied gibt es von mir einen Brief, weil Sie selbst nicht gerne Briefe schreiben. Nur wenn Sie Ihrer Schwester Kristina zum Geburtstag gratulieren.

Die Briefe wurden von Jahr zu Jahr kürzer. Er fragte sich finster, wo es enden würde. Er las das Geschriebene durch, fand es dürftig, hatte aber nichts hinzuzufügen.

Cover des Krimis 'Der Feind im Schatten' von Henning Mankell (Paul Zsolnay Verlag)

Sie haben allerdings noch eine Menge hinzuzufügen, bevor Sie wirklich aus unserem Leben verschwinden. Von Seite 17 an hadern Sie auch im letzten Buch "Der Feind im Schatten" wie gewohnt mit Ihrem Leben und allem, was daraus bis jetzt so geworden ist.

Ich bin sechzig (...).Da hat man die Schleuse passiert, durch die nur noch die hindurchgelassen werden, die richtig alt werden.

Sechzig also. Ich habe miterlebt, wie Sie jemanden im Dienst getötet haben, wie Sie zu viel getrunken, zu wenig geduscht und zu selten geschlafen haben. Ich habe Ihre Ehe mit verfolgt, die inzwischen gescheitert ist, habe die väterlichen Kämpfe mit Ihrer Tochter Linda amüsiert gelesen und deshalb fühle ich jetzt auch mit, wenn Sie merken, dass Sie alt werden und es ignorieren, so weit es geht.

Plötzlich löste sich eine Plombe in seinem Mund. Sofort spürte er ein Ziehen im Zahn. (...) Irritiert dachte er, dass sein Körper immer mehr zerfiel. Ein Teil nach dem anderen wurde losgeschüttelt. Wenn die wichtigsten Teile zu funktionieren aufhörten, würde eines Tages alles vorbei sein.

Der schwedische Schauspieler Rolf Lassgard bei Dreharbeiten zu der ZDF-Produktion 'Die fünfte Frau'. Lassgard spielt den Kommissar Kurt Wallander (Foto: dpa)
So sieht Wallander in der ZDF-Verfilmung aus...Bild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Das macht Sie aus, lieber Kurt Wallander, dieses Grüblerische, die Selbstzweifel, das macht Sie sympathisch. Sie sind ein Denker, bei dem es privat nie richtig rund läuft, kein durchtrainierter Superkommissar. Sie ärgern sich, weil die Hose zum Wechseln, die Sie im Büro lagern, zu eng geworden ist. Sie haben inzwischen Diabetes, trinken aber trotzdem abends eine Flasche Rotwein. Eigentlich hat sich nur eins verändert: Sie leben nicht mehr in der Mariagatan in der südschwedischen Hafenstadt Ystad, sondern jetzt außerhalb, in einem alten Bauernhaus mit ihrem Hund.

Als er jung war, hätte er nie gedacht, dass dies das Leben war, das er mit sechzig führen würde. Eines Morgens am Fenster stehen und in den Nebel über der schonischen Landschaft hinausblicken, in einem eigenen Haus mit Hund, mit einer Tochter, die gerade ihr erstes Kind bekommen hatte, sein Enkelkind. Der Gedanke machte ihn wehmütig. Er schüttelte das Gefühl ab, indem er ins Bad ging und duschte.

Abgesehen von Ihren gewohnt dunklen Gedanken und den nachlässig-sympathischen Macken, ist Ihr letzter Fall aber leider kein gewohnter Wallander-Fall. Er ist nicht hochgradig spannend, es gibt kaum Überraschungen, kein Thrillerambiente, der Fall ist nur der rote Faden für Ihren Rückblick. Es geht zwar um Spionage – um den vergangenen Kalten Krieg – Ost gegen West - die Amerikaner mischen mit – die Russen – sogar die Deutschen. Aber das ist alles weder spannend, noch wichtig. Wichtiger ist, dass Sie alle paar Seiten aus heiterem Himmel auf Menschen treffen, die treue Leser wie ich natürlich aus Ihrer Vergangenheit kennen. Mona, zum Beispiel, Ihre Ex-Frau seit 15 Jahren, inzwischen alkoholsüchtig.

Es gab Augenblicke, in denen er von Trauer über das Scheitern ihrer Ehe überwältigt wurde. Dies war ein solcher Augenblick. Er sah auf das wirbelnde Wasser hinunter und dachte, dass sein Leben sich immer mehr darum drehte, sich zweifelhafte Rechenschaften über all das abzulegen, was er mit der Zeit verloren hatte.

Der schwedische Schauspieler Krister Henriksson in seiner Rolle als Kommissar Kurt Wallander in der ARD-Vefilmung (Foto: dpa)
...und so in der aktuellen ARD-Verfilmung.Bild: picture alliance / dpa

Auch Baiba taucht wieder auf, Ihre große Liebe aus Lettland. Aber das hat nie etwas mit dem Fall zu tun, an dem Sie arbeiten. Diese Menschen wirken wie extra eingearbeitet in den Stoff, nur um Ihnen Anlass zu geben zu resümieren, zu grübeln, zurückzuschauen. Dieses letzte Buch ist von der ersten Seite an ein einziges Abschiednehmen von Ihnen. Auf 588 Seiten.

Er würde so lange wie möglich in seinem Haus wohnen. Wenn er nicht mehr zurechtkam, würde es hoffentlich schnell gehen. Mehr als irgendetwas anderes fürchtete er sich vor einem Alter, das nur ein Warten auf das Ende war, eine Zeit, in der es ihm nicht mehr möglich war, sein normales Leben zu leben.

"Der Feind im Schatten" ist ein langsames Buch und ich habe das nur akzeptiert, weil ich eben ein treuer Fan bin. Und weil ich wusste, dass ich beim Lesen von Ihnen Abschied nehmen muss.

Ein plötzliches Unbehagen überfiel Wallander. Es gab kein Zurück im Leben, wie sehr er es in seiner Naivität auch wünschen mochte. Man konnte keinen einzigen Schritt zurück tun.

Ach, Herr Walllander, Sie schaffen das nach vorne Gehen schon. Allerdings ohne uns. War aber schön mit Ihnen. Tschüss!

Alle Zitate aus:
Henning Mankell: Der Feind im Schatten. Paul Zsolnay Verlag Wien. 588 Seiten. ISBN 978-3-552-05496-7, 26 Euro


Autorin: Marlis Schaum
Redaktion: Gabriela Schaaf